Von Andreas Scheffel – Kandel. Die Polizei ermittelt gegen einen Teilnehmer des nationalistischen Aufmarschs „Kandel ist überall“ am Samstag, 3. März, wegen schwerer Körperverletzung. Der Mann soll eine Polizeikette durchbrochen und einen Gegendemonstranten angegriffen haben. Das Opfer hat Strafanzeige gegen den Angreifer erstattet. Die AfD hat weitere Aufmärsche in der rheinland-pfälzischen Kleinstadt Kandel für den 24. März und den 7. April angekündigt. Dagegen gibt es zivilgesellschaftlichen Protest.
Anlass der rechten Demonstrationen ist angeblich der Tod der 15-jährigen Mia. Die baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum sprach jedoch in einer Videobotschaft bereits von einer „Party“ bei der nächsten Kundgebung.
Vertreter der rheinland-pfälzischen Grünen reagierten entsetzt auf die Vorgänge. „Es ist nicht hinnehmbar, dass rechtsextremistische und rechtsradikale Kreise den Tod eines jungen Mädchens instrumentalisieren, um Hass und Hetze in eine Kleinstadt zu tragen“, erklärte der Landesvorsitzende Josef Winkler.
Der Karlsruher Bundestagsabgeordnete der Linken Michel Brandt rief dazu auf, auch weiterhin vor Ort gegen die rechten Aufmärsche zu protestieren: „Die Erfahrungen haben gezeigt, überall dort, wo genau, das eben nicht passiert, wo die zivile Gesellschaft nicht aufsteht und sich gegen die rechten Umtriebe wehrt, werden die Rechten größer und gewinnen an Raum.“
Angreifer trug Ringe an der Schlaghand
Am 3. März hatte sich vor einem Gebäude in der Rheinstraße – von der Polizei von der Demoroute der Rechten abgeschirmt – eine kleine Gruppe von Nazi-GegnerInnen versammelt. Einem Teilnehmer der rechten Demonstration gelang es jedoch, die Polizeikette zu durchbrechen (wir berichteten). Der Täter, der mehrere Ringe an der Schlaghand hatte, soll unvermittelt auf den friedlichen Gegendemonstranten eingeschlagen haben.
Das Opfer erlitt eine Gehirnerschütterung und musste ärztlich versorgt werden. Wie die Polizei auf Nachfrage bestätigte, wird gegen den Angreifer wegen schwerer Körperverletzung ermittelt. Weitere Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht seien ebenfalls eingeleitet worden. Das Opfer erklärte uns gegenüber, die Aggressionen der rechten Demonstranten seien förmlich explodiert (siehe unten im Wortlaut). Er bedankte sich bei den Polizeibeamten, die ihm als Verletztem halfen, sich hinter ein Hoftor zu retten.
Einsatzleitung unterschätzt Gewaltpotenzial
Aus schwer ersichtlichen Gründen hatte die Einsatzleitung der Polizei das Gewaltpotenzial des rechten Aufmarsches offenbar falsch eingeschätzt. Es wurde nicht nur Alkohol während der Demonstration konsumiert, sondern es gab auch mehrere Verstöße gegen das Vermummungsverbot.
Selbst der Ausschank von harten Alkoholika am Rand der Route durch Anwohner in der Rheinstraße wurde von den Einsatzkräften nicht geahndet. Nun stellt sich die Frage, wie die Einsatzleitung zukünftig gegen solche Verstöße vorgehen und welche Maßnahmen sie ergreifen wird, um friedliche GegendemonstrantInnen vor Gewalt durch Rechtsextreme zu schützen.
Von wegen „Trauermarsch“
Mehrere zivilgesellschaftliche und antifaschistische Gruppen, Organisationen und Privatpersonen hatten zum Protest dagegen aufgerufen, dass der Tod der 15-jährigen Mia von Rechten vereinnahmt wird. Die Schülerin wurde vermutlich von ihrem Ex-Freund, einem afghanischen Flüchtling, mit mehreren Messerstichen getötet.
Am 3. März beteiligten sich 4000 Personen an der rechten Demonstration, die von der baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum initiiert war und bei der es einen Schulterschluss der AfD mit Gruppierungen wie „Der Dritte Weg“, der NPD, Anhängern „Freier Kameradschaften“, Hooligans, Identitären und Pegida-Aktivisten gab. Laut Baum werde man sich nicht auseinander dividieren lassen.
AfD-Landtagsabgeordnete spricht von Party
Die Organisatoren feierten den rechten Aufmarsch in Kandel, gegen den etwa 500 Nazi-GegnerInnen protestierten, als „Durchbruch im Westen“. Für den 24. März und 7. April, meldeten die Rechten um Christina Baum weitere Aufmärsche an. In einer Videobotschaft spricht die Abgeordnete von einer „Party“.
Facebook-User zeigten sich entsetzt und kommentierten die Botschaft so: „Schön das die Maske fällt und das wahre Gesicht sich zeigt“ oder „wie empathielos muss man sein, um diesen Aufmarsch als Riesenparty zu feiern? Die Opfer sind ihnen völlig egal. Die werden einfach benutzt.“
Michel Brandt, Linke: „Wir müssen weiter zusammenstehen“
„Für uns als Linke ist völlig klar, dort in Kandel weiterhin zu Gegenprotesten aufzurufen und zu mobilisieren. Immer wenn Nazis, RasisstInnen und Menschenfeinde meinen, den öffentlichen Raum einnehmen zu können, werden wir als Linke dagegenstehen“, erklärte der Bundestagsabgeordnete Michel Brandt. Wo die zivile Gesellschaft nicht aufstehe, um sich gegen die rechten Umtriebe zu wehren, gewönnen die Rechten an Raum: „Wir als Linke werden das nicht zulassen.“ Man müsse weiter zusammenstehen und „dem rechten Mob Einhalt gebieten“.
Auch aus Sicht des rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden der Grünen Josef Winkler ist es nicht hinnehmbar, dass rechtsextremistische und rechtsradikale Kreise den Tod eines jungen Mädchens instrumentalisieren, um Hass und Hetze in eine Kleinstadt zu tragen. „Teils gewalttätige Übergriffe aus der Demo und offen skandierte rechte Parolen“ machten klar, dass der Begriff „Trauermarsch“ bloße Fassade sei. „Abgeordnete der AfD solidarisieren sich nicht nur mit diesen Gewalttätern, sondern marschieren in der ersten Reihe mit“, kritisierte Winkler: „Wir danken allen, die den Rechtsextremisten nicht die Straße überlassen, sondern zeigen, dass die Zivilgesellschaft bereit ist, für den Rechtsstaat und unsere demokratischen Werte einzutreten.“
Der Erfahrungsbericht des Angegriffenen im Wortlaut:
„Alles ging unglaublich rasant. Kaum war die erste Spitze des Marsches auf unserer Höhe, erklangen die typischen rechte Parolen. Die Aggressionen, ausgehend von den rechten Demonstranten, explodierten förmlich. Der Lärmpegel explodiert. Dann ging es los. Vereinzelt rannten die rechten TeilnehmerInnen schreiend und drohend auf die Polizisten, die eine Schutzreihe gebildet hatten, zu.
Die allem Anschein nach alkoholisierten und aufgebrachten TeilnehmerInnen der rechten Menge bewarfen die Beamten und uns mit Flaschen, die in der Hofeinfahrt zerschlugen. Ein großer glatzköpfiger Mann links von uns fiel uns auf. Dieser stand zuerst ruhiger vor der Polizei als die restliche grölende Meute. Anschließend drohte die glatzköpfige Person uns mit der mit Ringen besetzten Faust.“
Und weiter: „Dann riss für einen kurzen Moment eine Lücke in der Polizeikette auf. Mit zwei schnellen langen Schritten rannte der Angreifer auf mich zu und donnerte mir die Faust auf den Schädel. Ich konnte den Schlägen nicht ausreichend ausweichen. Sofort nach dem Durchbruch wandten die Polizisten Pfefferspray und Schlagstock gegen die Meute an. Die herbeieilenden Einsatzkräfte drängten den Angreifer zurück, und meine Bekannten und ich wurden hinter das Hoftor von den Beamten gebracht.
Im weiteren Verlauf ging ich benommen zu Boden. Anschließend wurde mein Kopf mit Kühlpacks behandelt. Nachdem es wieder ruhig war und es mir zuerst auch etwas besserging, wollte ich mich mit meinen Bekannten noch der Gegendemonstration ‚Kandel ist bunt‘ anschließen. Jedoch war mein Zustand doch nicht der beste. Eine halbe Stunde später erbrach ich und musste im Rettungswagen mich ambulant behandeln lassen.
Anschließend schlossen wir uns einer größeren Gruppe an, die sich in Richtung Bahnhof auf dem Weg machte, und fuhren nach Hause. Am Tag darauf erstatte ich gegen den Angreifer bei einer Polizeidienststelle Anzeige, die die Ermittlungen aufgenommen haben. Am Montag, also zwei Tage später, musste ich nach anhaltenden Kopfschmerzen mich ins Krankenhaus begeben. Noch heute spüre ich deutlich, wo die Ringe meinen Kopf getroffen haben. Abschließend möchte ich an das Polizeiteam, welches mir geholfen hatte, meinen aufrechteren Dank bekunden, ich weiß nicht ob ich es aus eigener Orientierung hinter dieses Hoftor geschafft hätte.“
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