Von unseren ReporterInnen – Stuttgart/Schwäbisch Gmünd. Bis zu 400 KritikerInnen des Erdogan-Regimes überwiegend kurdischer Herkunft protestierten am Samstagnachmittag, 10. März, in der Stuttgarter Innenstadt gegen den Angriff der türkischen Armee auf Afrin. Die Demonstration führte von der Lautenschlagerstraße zum Schlossplatz und verlief ohne Zwischenfälle. Am Vormittag hatten etwa 120 TeilnehmerInnen einer Kundgebung in Schwäbisch Gmünd ebenfalls gegen den Krieg in Nordsyrien protestiert.
Zur Auftaktkundgebung hatten sich zunächst etwa 250 TeilnehmerInnen in der Lautenschlagerstraße in Stuttgart versammelt. Nach einigen kurzen Ansprachen zogen sie zum Rotebühlplatz, ohne dass es besondere Vorkommnisse gegeben hätte. Dort provozierten jedoch zwei türkische Frauen aus dem Fenster eines Restaurants im 1. Stock heraus, indem sie das Wolfszeichen zeigten – ein Zwischenfall, der vor allem die Polizei nervös machte.
Nach der Kundgebung konnte der Demonstrationszug wegen einer Baustelle nicht die vorgesehene Route zum Schlossplatz nehmen. Stattdessen zog er über die Kronprinzstraße zur Schlusskundgebung auf dem Schlossplatz. Dort wurde die Versammlung nach einigen Ansprachen für beendet erklärt. Die Zahl der TeilnehmerInnen war bis dahin auf etwa 400 angewachsen. Der Einsatzleiter der Polizei bestätigte unsere Beobachtung, dass es keine Zwischenfälle gab.
Türkische Nationalisten provozieren
In Schwäbisch Gmünd begann die Polizei die TeilnehmerInnen bereits zu fotografieren, als die Kundgebung auf dem Marktplatz noch gar nicht begonnen hatte und es auch sonst keinerlei Anlass für Aufnahmen gab. Es sei in Schwäbisch Gmünd immer so, dass die Polizei mache, was sie wolle, erklärten uns TeilnehmerInnen auf Nachfrage. Möglicherweise sei den Beamten noch nicht einmal bewusst, ohne Rechtsgrundlage zu handeln.
Die Polizei war mit starken Einsatzkräften vor Ort. Vor allem in den Seitenstraßen führte sie schon im Vorfeld Rucksack- und Personenkontrollen durch. Etwa 30 bis 35 türkische Nationalisten versuchten, die Kundgebung mit etwa 120 TeilnehmerInnen zu stören. Die Nationalisten zeigten türkische Flaggen und immer wieder das Wolfszeichen. Auf Vorwürfe der Redner gegenüber Staatschef Recep Tayyip Erdogan reagierten sie mit Sprechchören „PKK Terrorist“.
Es traten RednerInnen der Linken Schwäbisch Gmünd, der Gruppe „Zusammen kämpfen“, des Internationalistischen Bündnisses, der MLPD, des Rojava-Bündnisses Schwäbisch Gmünd und von kurdischen Organisationen auf. Sie solidarisierten sich mit der kurdischen Bevölkerung in Nordsyrien und verurteilten die Angriffe auf Afrin. Ein Musiker rundete die Kundgebung stimmungsvoll ab.
PolizistInnen schirmten den Kundgebungsort mit dem Rücken zu den Rednern ab. Die versammelten KurdInnen ließen sich nicht provozieren. Türkische Nationalisten bedrohten auch unseren Fotografen. Die Polizei fragte nach seinem Presseausweis und ließ ihn dann unbehelligt seine Arbeit machen. Auch die Versammlung in Schwäbisch Gmünd verlief letztlich ohne Zwischenfälle.
Wir dokumentieren nachstehend den Redebeitrag von „Zusammen kämpfen“.
„Liebe Passantinnen und Passanten,
seit dem 20. Januar greift die türkische Armee zusammen mit dschihadistischen Kämpfern den Kanton Afrin in Nordsyrien / Rojava an. Seitdem gibt es Tag für Tag Bombardements und Angriffe seitens der Bodentruppen. Hunderte Tote ZivilistInnen und noch mehr Verletzte, sowie die komplette Zerstörung der aufgebauten Infrastruktur sind die Folge.
Der türkische Staatspräsident Erdogan spricht bei dem Krieg von einer „Säuberung“ und nennt diese Operation dann noch zynischerweise „Olivenzweig“. Mit dem Krieg verfolgt die Türkei einerseits ihre Gebietsansprüche in Syrien zu verwirklichen und andererseits die kurdische Bewegung zu schwächen bzw. zu zerschlagen. So will die Türkei von der inneren politischen und wirtschaftlichen Krise ablenken und gleichzeitig ihr Ziel eines großtürkischen Reiches faktisch untermauern. Der ideologische und inhaltliche kurdische Feind, der aktuell vor allem in Rojava aktiv ist, kommt da gerade recht und wird aufs äußerste bekämpft.
Und nicht nur die Türkei hat ein Interesse an diesem Krieg. Russland und die USA verfolgen ihre eigenen Interessen in dem Krieg und nehmen Afrin als Verhandlungsmasse, um ihre Position im geostrategisch wichtigem Mittleren Osten zu stärken. Die BRD, ihrerseits, unterhält wichtige Beziehungen mit der Türkei und hat in dem jüngst ausgehandelten Koalitionsvertrag die strategisch wichtige Bedeutung der Türkei als Partner schriftlich fixiert. Hintergrund ist einerseits der sogenannte „Flüchtlingsdeal“ bei dem die Türkei die Flüchtlinge, die vor dem Krieg in Syrien flüchten und in der EU nicht erwünscht sind, von der Ausreise nach Europa abhalten soll. Als Gegenleistung erhält die finanziell angeschlagene Türkei knapp 6 Milliarden Euro und die Repression gegen türkische und kurdische Oppositionelle wird verschärft.
Andererseits spielt das Waffengeschäft eine große Rolle. Der Panzerdeal von Sigmar Gabriel unmittelbar vor Beginn des Krieges musste zwar auf Grund des öffentlichen Drucks vorerst ausgesetzt werden, aber die Türkei ist schon lange einer der wichtigsten Bezieher von deutschen Waffen und spielt damit für die BRD eine äußerst wichtige Rolle. Auch im Krieg in Afrin wurden mehr als nur einmal deutsche Waffen gesichtet. D.h. nichts anderes als dass die BRD selbst am Kriegsgeschehen beteiligt ist und ein Profiteur des Kriegs in Afrin ist. So wird auch klar, warum die die Offensive der Türkei seitens der BRD eher wohlwollend als ablehnend zur Kenntnis genommen wird.
Der Krieg hat aber noch eine weitere Dimension, denn neben den ökonomischen und geostrategischen Interessen der genannten Mächte, geht es auch darum das Projekt Rojava an sich zu schwächen und zu zerschlagen.
Denn Rojava ist als selbstverwaltete Region im Norden Syriens zu einem positiven Bezugspunkt für freiheitsliebende Menschen weltweit geworden und das in einer Region, die von reaktionären und repressiven Regimes dominiert ist. Denn in Rojava steht nicht der Profit im Mittelpunkt, sondern die Bedürfnisse der Menschen. Durch kommunale Rätestrukturen werden alle Ethnien und Völker in die Gestaltung der Gesellschaft mit einbezogen. Es ist der Kampf für Freiheit inmitten von Unfreiheit und bedeutet für die Völker in der Region einen bedeutenden Fortschritt. Rojava ist damit das Beispiel für einen fortschrittlichen und solidarischen Gesellschaftsentwurf unserer Zeit, nicht nur im Mittleren und Nahen Osten, sondern weltweit.
So ist der Krieg in Afrin nicht nur ein Angriff gegen die Bevölkerung vor Ort, sondern ein Angriff auf das fortschrittliche und solidarische Gesellschaftsprojekt Rojava und damit ein Angriff auf den Kampf um Freiheit und Befreiung an sich.
Umso notwendiger ist es, dass wir uns der türkischen Aggression entschlossen entgegenstellen und internationale Solidarität mit Rojava und den in Rojava Kämpfenden aufbauen.
- Konkret indem wir Informationsarbeit leisten,
- indem wir gemeinsam auf die Straße gehen,
- indem wir die Kämpfenden vor Ort politisch und praktisch unterstützen z.B. durch Gelder für blutstillende Celox Verbände,
- aber auch indem wir die Verantwortlichen klar benennen, wie z.B. die BRD, als Waffenexporteur und Profiteur von Kriegen
Umso notwendiger ist es,
- den fortschrittlichen Gesellschaftsentwurf in Rojava zu unterstützen,
- gemeinsam Afrin und Rojava gegen die türkischen Angriffe zu verteidigen,
- internationale Solidarität aufzubauen
- und weltweit den Kampf für eine befreite Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg voranzubringen.
Daher: Verteidigen wir gemeinsam Afrin und Rojava. Gegen den IS, das türkische Regime und die imperialistischen Staaten!
Hoch die internationale Solidarität!“
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