Von Angela Berger – Kirchheim. Sieben Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima kamen am Sonntag, 11. März, etwa 700 Menschen in Kirchheim am Neckar zusammen, um an die schrecklichen Ereignisse zu erinnern.
Wie an den vergangenen Jahrestagen gab es nach einer kurzen Auftaktkundgebung am Bahnhof von Kirchheim einen Demonstrationszug zum Kernkraftwerk Neckarwestheim. Dort wurden die Teilnehmenden schon von der Ton-Steine-Scherben-Coverband Einheizfront empfangen.
Erster Redner war der Journalist Masao Fukumoto mit einem Bericht zur aktuellen Situation in Fukushima. Er war auch am 12. März Gast der Radiosendung „Leute„. Jörg Schmid verlas ein Grußwort der Anti-Atom-Bewegung aus Kyoto.
Davor gedachte man Frieder Müllers, eines sehr engagierten Mitstreiters des Bunds der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar BBMN, der vor kurzem im Alter von 88 Jahren gestorben war. Er galt als Urgestein der Anti-Atom-Bewegung in der Region Mittlerer Neckar, war jahrelang der Motor vieler Aktionen und lebte sein ganzes Leben in Walheim.
Monika Knoll verlas eine Rede von Angelika Claussen, der Europavorsitzenden der IPPNW (Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) zum Thema „Atomausstieg sofort und Energiepolitik“. Claussen konnte krankheitshalber nicht selbst teilnehmen. Von Daniel Bannasch (MetropolSolar) als letztem Redner war ein Beitrag zum Thema „Energiewende“ zu hören.
Die Zahl der Opfer in Fukushima bis heute nicht bekannt
Auch sieben Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima findet man immer noch keine genauen Angaben über die Zahl der Todesopfer. Es gibt zwar Angaben über die Menschen, die bei dem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami gestorben sind – etwa 18 500 Menschen, wo die offizielle Zahl der Opfer.
Aber es gibt keine Zahlen über die Menschen, die sofort durch die Verstrahlung gestorben sind, oder über diejenigen, die an den Langzeitfolgen wie Krebs oder durch Suizid starben, etwa wegen der psychischen Folgen der Langzeitunterbringung in Behelfsunterkünften. Etwa 50 000 Menschen leben jetzt, nach sieben Jahren, noch immer in solchen Unterkünften.
AKWs am Neckar in dichtbesiedeltem Gebiet
Auch an die Arbeiter, die vor Ort im hochverstrahlten Gebiet bis heute tätig sind und eventuell erkranken, wird nirgends erinnert. Fukushima scheint in der Vorstellung vieler weit weg zu sein. Dabei leben die Menschen im Raum Stuttgart in der Evakuierungs-Zone von 30 Kilometern um das Werk Neckarwestheim. Bei einem atomaren Unfall könnten sie auf Jahre nicht an ihre Wohnorte zurückkehren. Ohnehin gelten die Evakuierungspläne der deutschen Behörden als nicht ausreichend.
Das AKW Neckarwestheim 2 soll noch bis 2022 laufen und als einer der letzten Reaktoren stillgelegt werden. Die Stadt Heilbronn mit 120 000 Einwohnern befindet sich etwa 10 Kilometer, die Landeshauptstadt Stuttgart 30 Kilometer entfernt. In der Region leben 2,7 Millionen Menschen.
Katastrophenschutz nur unzureichend
Bei einem schweren Atomunfall würden gemäß der Katastrophenschutzplanungen in Deutschland die Menschen in einem Umkreis von 10 Kilometern evakuiert, worauf sich alle zuständigen Stellen angeblich vorbereitet haben. Weiter reichende Kapazitäten, die etwa die Evakuierung von einer Millionenstadt möglich machen könnten, könnten gar nicht vorgehalten werden – so das Informationsnetzwerk gegen Atomenergie „contratom„.
In Japan gibt es zwar seit Fukushima eine Anti-Atom-Bewegung. Sie sei aber verschwindend klein und unbedeutend im Verhältnis zu der Problematik, die in dem Land der geographischen Lage und der vielen Atomkraftwerke wegen herrscht.
Grenzwerte noch immer weit überschritten
Die Atomindustrie in Japan setze viel Geld ein, um das Vertrauen der Bürger in die Atomkraft wieder herzustellen und die ehemaligen Anwohner dazu zu bewegen, wieder in das Gebiet zurück zu kehren. Das scheint aber nicht gut zu funktionieren. Es werden zwar weiterhin Erdschichten abgetragen, aber der Aushub lagere weiter in gigantischen Plastiksäcken am Straßenrand und sei weiterhin sichtbar. Nach offiziellen Schätzungen handele es sich um mehr als 15 Millionen Kubikmeter „leicht verstrahlte Erde“.
Auch Umweltschützer wie Greenpeace warnten davor, wieder zu früh in das Gebiet zurückzukehren. Die Strahlenwerte lägen teilweise noch immer um das Hundertfache über den internationalen Grenzwerten. Die Regierung von Japan hab dennoch in Teilen die Evakuierungsanweisungen aufgehoben und dränge die Menschen zur Rückkehr. Sie müssten sich nun schnell entscheiden, denn der Staat wolle so schnell wie möglich die Entschädigungszahlungen einstellen. Vor allem Familien mit Kindern sollten in die Gebiete zurückkehren und nicht wie bisher vorwiegend ältere Menschen.
Eltern wollen nicht zurückkehren
Doch trotz neuer Schulen, kostenloser Schulbusse, Schulspeisung und Prämienzahlungen für Eltern, die mit ihren Kindern in die Gebiete zurückkehren, gingen nur sehr wenige diesen Schritt. Viele wollten ihre Gesundheit und die ihrer Kinder nicht gefährden. Doch für viele werde die Rückkehr zum Zwang, weil die Entschädigungszahlungen eingestellt würden, wenn die Evakuierungsanordnung aufgehoben ist.
2020 werden die Olympischen Spiele in Tokio ausgetragen. Ein Teil der Veranstaltungen soll in der Provinz Fukushima stattfinden. Bis dahin solle dort wieder die Normalität einkehren, und die Touristen sollten nach Fukushima strömen. Alles solle so sein, wie es früher einmal war. Doch es bleibe der Zweifel, ob dies jemals möglich ist.
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