Von unseren ReporterInnen – Kandel. Tausende AnhängerInnen von Pegida oder AfD bei einem angeblichen „Trauermarsch“ in Kandel und kaum Protest: Eine ähnliche Szene wie Anfang März wollten die BewohnerInnen der südpfälzischen Kleinstadt, aber auch AntifaschistInnen aus der Region nicht noch einmal erleben – und das mussten sie auch nicht: Am Samstag, 24. März, versammelten sich gut doppelt so viele GegendemonstrantInnen wie Rechte in den Gassen des Sitzes der Verbandsgemeinde. Der Initiative „Wir sind Kandel“ war es gelungen, ein breites Bündnis von NazigegnerInnen zu schmieden.
250 Einzelpersonen und Organisationen hatten den Aufruf von „Wir sind Kandel“ unterschrieben. Bei frühlingshaftem Wetter waren nach Polizeiangaben am Samstag etwa 1000 AnhängerInnen des AfD-Umfelds und doppelt so viele NazigegnerInnen in der Stadt auf der Straße. Wir schätzen die Zahl der Mitläufer der AfD auf etwa 1200, aber auch die Zahl der GegendemonstrantInnen deutlich höher.
Kein Protest in Hör- und Sichtweite
Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und andere Organisationen wirkten im Bündnis „Wir sind Kandel“ zusammen. Künstler wie Heinz Ratz und die Band „Strom und Wasser“, aber auch die rheinland-pfälzische Landesregierung beteiligten sich an einer Kundgebung auf dem Bahnhofvorplatz. Politiker wie Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), ihr Vorgänger Kurt Beck oder der in Kandel geborene CDU-Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Thomas Gebhart waren vor Ort, ebenso die Landesvorsitzenden der Linken und der Grünen, Katrin Werner und Josef Philip Winkler.
- Heinz Ratz
- Kurt Beck, SPD
- Katrin Werner, Landesvorsitzende der Linkspartei
- Ministerpräsidentin Malu Dreyer
Werner erläuterte bei einer Zwischenkundgebung die Strategie der Rechten und wandte sich gegen Versuche, den Protest gegen Rechts in einen antifaschistischen und einen bürgerlichen Teil zu spalten. Auch der „Antifa-Block ‚Eingreifen, wenn es wichtig ist'“, der nach eigenen Angaben 600 Anhänger zählte, beklagte später auf Internet-Seiten des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (AABS) eine „offene Entsolidarisierung des lokalen ‚Wir sind Kandel‘-Bündnisses“.
Die Polizei hielt mit etwa 1000 BeamtInnen aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Lager am Samstag komplett getrennt. Protest in Hör- und Sichtweite der rechten Kundgebung gab es nicht. Die Polizei separierte auch weitgehend die antifaschistischen DemonstrantInnen von denen aus dem eher bürgerlichen Spektrum. Damit folgte sie nach unseren Informationen einer Anweisung des rheinland-pfälzischen Innenministeriums. Auch Ressort-Chef Roger Lewentz (SPD) war vor Ort.
Polizei moniert Vermummung
Die Polizei monierte nach eigenen Angaben schon unmittelbar nach Anreise der NazigegnerInnen auf dem Bahnhofsvorplatz „bei einer Gruppe aus dem linken Spektrum“ Vermummungen. Später hätten sie die Vermummung abgelegt und an der Versammlung teilnehmen können. Laut Polizei gab es auch einen Kabelschachtbrand an der Bahnstrecke zwischen Wörth und Kandel. Deshalb habe die Bahnstrecke von 14.40 bis gegen 16.35 Uhr gesperrt werden und ein mit Versammlungsteilnehmern besetzter Zug anhalten müssen.
Wegen „mehrerer gewalttätiger Angriffe des linken Spektrums“ hätten die Polizeibeamten Pfefferspray und Schlagstock zur Verteidigung eingesetzt. Drei Polizeibeamte seien dabei leicht verletzt worden, aber dienstfähig geblieben, heißt es im Abschlussbericht der Polizei. Fünf Personen seien vorläufig festgenommen worden.
Anzeige wegen Hitlergruß
Gegen einen Tatverdächtigen sei von Amts wegen Strafanzeige erstattet worden, da er den Hitlergruß zeigte. Nach der Demonstration am 3. März war von vielen kritisiert worden, die zahlenmäßig zu schwach aufgestellte Polizei habe Verstöße von Neonazis gegen das Vermummungs- und Alkoholverbot nicht geahndet und gewaltsame Übergriffe auf GegendemonstrantInnen nicht verhindert (siehe „Polizei ermittelt wegen Körperverletzung„). Solche Szenen waren am 24. März nicht zu beobachten.
Vier weitere Personen – wohl eher aus dem „linken Spektrum“ – müssen sich nach Polizeiangaben „wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Würfen mit Pyromaterial, Beleidigung und weiteren Delikten verantworten“.
Polizei stoppt Demonstration und setzt Pfefferspray ein
Die Polizei kesselte nach einer Zwischenkundgebung etwa 250 DemonstrantInnen an der Ecke Dierbachweg und Bahnhofstraße für eine Stunde ein – unter ihnen auch eine Gruppe von Minfelder Gemeinderäten. Der Karlsruher Bundestagsabgeordnete der Linken Michel Brandt versuchte zu vermitteln, hatte aber keinen Erfolg.
Die DemonstrantInnen hatten sich zunächst dagegen gewehrt, ohne erkennbaren Grund auf der Bahnhofstraße in zwei Gruppen getrennt worden zu sein. Wenig später griff die Polizei ohne erkennbaren Grund die DemonstrantInnen mit Pfefferspray an. Als der Deomzug dann am Ende der genehmigten Route angelangt war und die Polizei ihn nicht weiter in Richtung der rechten Kundgebung ziehen ließ, flogen Böller und Flaschen in Richtung der Beamten.
- Vermittlungsversuch von Michel Brandt, MdB Die Linke
- Polizeikessel an der Ecke Dierbachweg und Bahnhofstraße
Massiver Zugriff der Polizei nach Flaschenwurf
Ein Grund dafür war nicht erkennbar. Möglicherweise wollte jemand gezielt provozieren, was dann auch gelungen wäre: Die Polizei drang mit Schlagstock und Pfefferspray in die Demonstration ein, es gab Verletzte. Die wohl von einigen gewünschten Bilder gewaltbereiter Linker waren in der Welt.
„Die machen alles kaputt“, echauffierten sich Vertreter des bürgerlichen, aber auch Teile des antifaschistischen Lagers. Allerdings zeigten sich auch einige Anwohner solidarisch und versorgten verletzte DemonstrantInnen mit Wasser, das die Folgen des Pfefferspray-Einsatzes lindern sollte.
Platzverweis für ganz Kandel
Die Polizei erteilte sämtlichen Teilnehmern der Kundgebung, die der Versammlungsleiter gut eine Dreiviertelstunde zuvor für beendet erklärt hatte, einen Platzverweis, und zwar gleich für ganz Kandel – eine Maßnahme, die rechtlich kaum haltbar sein dürfte. Die Beamten – aus Baden-Württemberg ohne, aus Rheinland-Pfalz mit individueller Kennzeichnung, die jedoch von einigen der Polizisten etwa durch Wasserflaschen in der Brusttasche verdeckt wurde – drängten die Demonstrantinnen unter Körpereinsatz in Richtung Bahnhof. Die Kennzeichnungspflicht von Polizisten soll die Identifizierbarkeit einzelner Polizisten im Einsatz gewährleisten.
- Kennzeichnung verdeckt – …
- … reiner Zufall?
Dort musste ein Großteil von ihnen noch eine Zeitlang warten, bis die AfD-AnhängerInnen abgereist waren. Erst dann konnten sie um 18 Uhr in einen Zug einsteigen. Eine kleinere Gruppe wurde von der Polizei eingekesselt. Die Beamten zogen – wohl aufgrund von Videoaufnahmen – einzelne DemoteilnehmerInnen zur Durchsuchung und zur Aufnahme ihrer Personalien heraus.
Aggressiv gegen Geflüchtete auf dem Marktplatz
Die Kundgebung des rechten Bündnisses „Kandel ist überall“ spielte sich auf dem Marktplatz ab. Angeblich ging es um den gewaltsamen Tod der 15-jährigen Mia, die vermutlich von ihrem früheren Freund, einem afghanischen Flüchtling, getötet wurde. Angemeldet hatte die Kundgebung die baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum, die auch eine Ansprache hielt. Es traten mehrere weitere Redner auf, unter ihnen der rechte Aktivist und Blogger Michael Stürzenberger, der auch Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen Kleinstpartei „Die Freiheit“ war.
Schon bei der Kundgebung am 3. März hatte sich das Zusammenspiel der AfD mit neonazistischen Organisationen gezeigt. Der Grundton auf dem Marktplatz war aggressiv gegen Geflüchtete und Politiker wie den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kandel Volker Poß (SPD) gerichtet. Die Parolen waren es ebenfalls. „Merkel ist noch an der Macht, gebt auf Eure Kinder Acht!“ (so stand es auf verteilten Zetteln) wurde etwa skandiert.
„Wir sind Kandel“ auf dem Bahnhofsvorplatz
Völlig gegensätzlich war die Stimmung bei der Kundgebung des überparteilichen Bündnisses „Wir sind Kandel“ auf dem Bahnhofsvorplatz. Es war ein Meer von Fahnen der Grünen, Jusos, Linken, der PARTEI, der Naturfreunde, des DGB oder von Attac zu sehen, hinzu kamen Luftballons und viele – zum Teil selbst gemalte – Schilder.
Zum Auftakt gab es Musik. „Wir wollen ein Zeichen setzen für ein friedliches, demokratisches, respektvolles Miteinander“, erklärte die Moderatorin: „Wir wollen klipp und klar deutlich machen, dass es in Kandel keinen Platz für rechte Aufmärsche und Parolen gibt.“
- Volker Poß und Alexander Schweitzer bei einer Demo am 24. März
Gleichsetzung von Rechts und Links
„Rassismus und Menschenhass gehören nicht nach Kandel“, bekräftigte auch Stadtbürgermeister Günther Tielebörger – um dann den Grundtenor einer Gleichsetzung von Links und Rechts zu setzen, wie sie sich auch in der Polizeitaktik niederschlug: „Wir lassen es nicht mehr zu, dass Kandel von extremistischen Gruppen, ob links oder rechts, missbraucht wird.“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Gebhart äußerte sich ähnlich, nachdem er zunächst das Mitgefühl der Versammelten für die Angehörigen und Freunde der getöteten Mia zum Ausdruck gebracht hatte: „Radikale Parolen dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben – egal von wo sie kommen.“
Mitten in Europa
Großen Anklang fand die Ansprache der SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer. „Wir liegen hier im Herzen Europas, wir haben unsere Geschichte nicht vergessen, und wir werden immer aufstehen, wenn Rechte das Gedankengut von früher verbreiten wollen“, sagte sie. Diese Gesellschaft stehe für „Freizügigkeit, Offenheit, Toleranz, Menschlichkeit und Vielfalt“, fuhr sie unter Applaus fort.
Sie wollte auch nicht gelten lassen, dass es „besorgte Bürger“ seien, die mit der AfD und neonazistischen Gruppierungen demonstrieren: „Jeder muss für sich verantworten, mit wem er rummarschiert in einer Stadt.“ Weitere Redner waren der DGB-Landesvorsitzende Dietmar Muscheid, der evangelische pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad und der Generalvikar des Bistums Speyer Franz Jung.
Kandel kommt nicht zur Ruhe: nächster rechter Aufmarsch angekündigt
Bereits für den 7. April haben Rechte eine weitere Demonstration in Kandel angekündigt. Der Protest dagegen wird nicht ausbleiben.
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