Stuttgart. Rund 200 gut gelaunte Menschen haben am Karfreitag, 30. März, auf dem Stuttgarter Schlossplatz für die Trennung von Staat und Religion demonstriert. Weitere 100 PassantInnen blieben stehen, ließen sich zum Teil anstecken und machten mit. Aufgerufen hatte die Piratenpartei Baden-Württemberg gemeinsam mit der Giordano-Bruno-Stiftung, der Linksjugend, den Jusos, der Grünen Jugend und den Jungen Liberalen. Die gute Laune rief vermutlich ein paar Beamte auf den Plan.
„Ich freue mich, dass das Thema so vielen Menschen ebenfalls am Herzen liegt“, kommentiert Uwe Mayer, Hauptorganisator der Demonstration und Mitglied der Piratenpartei. „Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber uns gehört hat.“ Die Piratenpartei betont dabei, dass sich die Demonstration nicht gegen die Religionen richtet, sondern lediglich für einen weltanschaulich neutralen Staat wirbt. „Niemand soll in seiner Religionsausübung gestört werden“, so Mayer weiter. „Es muss aber jedem Menschen freigestellt sein, ob er sich religiösen Bräuchen anschließt oder nicht.“ Die kurze Rede der Piraten kann hier nachgelesen werden.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten, da die gelieferte Musikanlage nicht auf das Wohlwollen der Polizei stieß und daher erst eine neue, kleinere Anlage beschafft werden musste, konnte die Demonstration mit 45 Minuten Verspätung dann doch von Musik begleitet beginnen.
In den Redebeiträgen wurden die Missstände angesprochen, gegen die sich die Demonstration richtete. Neben dem Tanzverbot sind dies etwa das kirchliche Arbeitsrecht oder die Ausgleichszahlungen an die Kirchen.
Die Redebeiträge der beteiligten Organisationen können angeklickt und nachgelesen werden (es gilt das gesprochene Wort): Piraten, Jusos, Grüne Jugend, Linksjugend, Junge Liberale und Giordano-Bruno-Stiftung.
Spaß-Bremsen im Einsatz
Die TeilnehmerInnen hatten trotz des ernsthaften Themas sichtlich ihren Spaß. Das schien nicht allen Menschen zu gefallen. Nachdem es in Bezug auf die Lautstärke nichts zu bemängeln gab, tauchte plötzlich eine Zivilstreife des Zolls auf. Die Polizeibeamten hatten offensichtlich den Auftrag erhalten, die Personalien des Discjockeys aufzunehmen. Auf Nachfrage der Beobachter News erklärte die Polizeibeamtin, die Rechtsgrundlage dieser polizeilichen Maßnahme sei in Paragraf 111 des Ordnungwidrigkeitsgesetzes verankert. Denn genauen Grund müsse sie aber nicht nennen. Später teilten uns gut informierte Kreise mit, dass der Verdacht auf „unerlaubte Tätigkeit am Karfreitag“ der Grund des Polizei- und Zolleinsatzes gewesen sei.
Erst wenige Tagen zuvor war ein Ermittlungsverfahren gegen die Stuttgarter Piratenpartei eingestellt worden. Ermittelt wurde wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Piratenpartei hatte beim Global Marijuana March (GMM) Vogelfutter (mit Hanfsamen) verteilt. Gekauft hatten die Piraten das „Rauschgift“ im Baumarkt (siehe hierzu „Polizei scheitert bei krampfhafter Drogensuche„).
Nicht jedes Leben darf man an Karfreitag anschauen
Im Anschluss an die Demonstration wollte man in der Alten Kanzlei den Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“ zeigen. Der Verantwortliche der Alten Kanzlei David Vlachakis stornierte nach einer Meldung der Stuttgarter Nachrichten die Veranstaltung, „nachdem ihm die Dimension der Sache bewusst geworden war“. Werner Koch von der Giordano-Bruno-Stiftung hat daraufhin kurzfristig einen Vortrag über Blasphemie in der Kickers-Gaststätte in Stuttgart-Degerloch organisiert. Im Vortrag eingebettet: Szenen aus dem „verbotenen“ Film.
Worum geht es?
An Tagen mit Tanzverbot – also dem Verbot von zum Beispiel öffentlichen Tanzveranstaltungen oder bestimmten Filmvorführungen an sogenannten „stillen Feiertagen“ – bestimmten die Kirchen, wie sich alle Menschen zu verhalten hätten, egal ob sie religiös seien oder nicht, monieren die beteiligten Organisationen. Dies sei in einem säkularen Staat nicht akzeptabel, auch nicht an wenigen Tagen im Jahr. Das Tanzverbot sei vielleicht nicht das drängendste Problem. Es sei aber ein anschauliches Beispiel für die vielen Verstrickungen, die es immer noch zwischen dem Staat und den Religionen gebe.
Das kirchliche Arbeitsrecht: Diskriminierung auf Staatskosten
Daraus ergäben sich Problem, die weit schlimmer seien als das Verbot von Vergnügungsveranstaltungen. Konkret zeige sich dies zum Beispiel im Arbeitsrecht, in dem die Kirchen eine Sonderstellung einnehmen. So dürften Mitarbeiter in sozialen Einrichtungen der Kirchen entlassen werden, wenn sie beispielsweise geschieden oder homosexuell sind. Und das, obwohl bis zu 90 Prozent der Gehälter dieser Mitarbeiter vom Staat bezahlt würden. Weiterhin gebe es für die Mitarbeiter kirchlicher Einrichtung ein Streikverbot. In anderen Betrieben sei dies undenkbar.
„Das kirchliche Arbeitsrecht muss dringend reformiert werden“, fordert Michael Knödler, Vorsitzender der Piratenpartei Baden-Württemberg. „Es ist absolut inakzeptabel, dass Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Familienstandes entlassen werden dürfen.“
Religionsunterricht: Werbung auf Staatskosten
An praktisch allen Schulen gebe es christlichen Religionsunterricht. Damit werde der Kirche eine Bühne gegeben, ihre Inhalte niederschwellig an ein großes, leicht zu beeinflussendes Publikum zu vermitteln. Zudem bezahle der Staat die Religionslehrer, während der Inhalt des Unterrichts in den Händen der Kirchen liege. Die Ausbildung der Lehrer finde zwar an den Universitäten statt, deren Lehrstühle wiederum würden aber von den Kirchen besetzt.
„Staatliche Bildungseinrichtungen müssen weltanschaulich neutral sein“, so Michael Knödler. „Der Religionsunterricht soll deshalb vollständig durch das Fach ‚Ethik‘ ersetzt werden, in dem auch unvoreingenommen die Grundsätze verschiedener Religionen gelehrt werden können.“
Staatsleistungen: Gelddruckmaschine für die Kirchen
Der deutsche Staat – und damit jeder Steuerzahler, egal ob Kirchenmitglied oder nicht – bezahle beiden großen christlichen Kirchen jedes Jahr einen finanziellen Ausgleich, da den Kirchen zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Säkularisierung Besitztümer enteignet wurden. Die Entschädigung sei jedoch nicht dauerhaft vorgesehen gewesen. Dennoch würden bis heute über 500 Millionen Euro jährlich von den Ländern an die beiden großen christlichen Kirchen gezahlt. Den im Grundgesetz vorgesehenen Rahmen für Staatsleistungen habe der Bund – obwohl seit 1919 durch die Verfassung gefordert – bis heute nicht geschaffen, so dass unzählige,unübersichtliche Verträge mit einzelnen Kirchen bestünden.
Feiertage: Ein Geschenk der Kirchen?
Die meist erhobene Kritik an der Demonstration laute: Man sei gegen das Tanzverbot, nehme aber gerne die Feiertage mit. Dies sei zu kurz gedacht – schließlich würden die freien Tage nicht durch die Kirchen zur Verfügung gestellt, sondern durch die Arbeit aller Menschen ermöglicht, nicht nur der religiösen. Es erschließe sich auch nicht, weshalb allein die Tatsache, einer Religion anzugehören, zusätzliche freie Tage rechtfertigen sollte. Eine Reformierung des Feiertagsgesetzes halten die Piraten aber dennoch für sinnvoll.
„Religiöse Feiertage könnten problemlos durch säkulare ersetzt werden“, so Knödler. „Wir bevorzugen aber die Einführung zusätzlicher Urlaubstage, die jeder frei wählen darf. Religiöse Menschen könnten diese dann weiterhin auf ihre jeweiligen Feiertage legen.“
Breiter Wunsch nach Trennung zwischen Staat und Religion
„Es gibt noch viele weitere Beispiele für die Verstrickungen zwischen Staat und Kirche. Kirchensteuer, Rundfunkräte und eben auch das Tanzverbot gehören dazu“, erklärt die Piratenpartei in einer Pressemitteilung. „Wir möchten eine vollständige Trennung zwischen dem Staat und den Religionen erreichen“, so Knödler. „Das rege Interesse an der heutigen Demonstration hat gezeigt, dass wir damit nicht alleine sind.“
Videos
Folge uns!