Von unseren ReporterInnen – Karlsruhe/Wörth. Etwa 150 AntifaschistInnen aus verschiedenen Städten trafen sich am Samstag, 7. April, am Südausgang des Karlsruher Hauptbahnhofs, um ins südpfälzische Kandel zu fahren und dort gegen einen rechten Aufmarsch zu protestieren. Daraus wurde nichts: Die Polizei hielt ihren Zug drei Stunden lang in Wörth fest. Die Nazi-GegnerInnen konnten am Protest in Kandel nicht teilnehmen.
In Karlsruhe waren sie gemeinsam zum Gleis gezogen. Noch während die letzten Personen die Treppen zu den Schienen hinaufgingen, griff ein einzelner Polizeibeamter einen der Antifaschisten aus der Menge und zog ihn zu seinen Kollegen. Er sei wegen „räuberischen Diebstahls“ festgenommen. Es sollte ein erster Vorgeschmack auf die folgenden Stunden werden.
Trotz des Widerstands der umstehenden Demonstranten konnte die Polizei den zunächst festgenommenen jungen Aktivisten zum anderen Ende des Gleises führen. Gegen 12.30 Uhr fuhr die Regionalbahn in Richtung Kandel ab. Der Zug war gut gefüllt mit Nazi-GegnerInnen, die sich gerade in den Türbereichen dicht aneinander drängen mussten. Nach einigen Zwischenstopps hielt die Bahn in Wörth.
Verwundert über die massive Polizeipräsenz, blickten viele Demonstrantinnen unsicher aus dem Fenster. Kaum hatte der Zug gehalten, standen auf dem Gleis auch schon an allen Ein- und Ausgängen behelmte und vermummte Polizisten. Sie machten ihr Anliegen rasch klar: Sie wollten im Zug mit nach Kandel fahren.
Die AntifaschistInnen ließen die Polizeibeamten zunächst nicht in den Zug, da kein Platz vorhanden war. Als sich nach einigen Minuten keine Lösung abzeichnete, räumten die Aktivisten das hintere Drittel des Zuges und drängten sich vorne noch enger zusammen. Auf den Hinweis hin, die Beamten könnten jetzt doch hinten einsteigen, antwortete an der mittleren Tür ein Polizist: „Es entscheiden immer noch wir, wo wir einsteigen.“
Unterdessen hatten sich etwa 50 weitere Polizisten auf dem Bahnsteig positioniert. Die Beamten versuchten, den Zug zu stürmen. Polizisten drängten zunächst nur an der mittleren Tür, dann auch an der vorderen vorwärts in den Zug. Sie traten und schlugen massiv um sich und zogen die ersten Personen mit einem Griff am Hals heraus. Keine drei Minuten später waren alle Türbereiche unter Kontrolle der Beamten.
Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, begann für die Reisenden im Zug das Warten. Erst nach einer halben Stunde gab es eine Ansage eines Einsatzleiters: Alle im Zug befindlichen Personen sollten kontrolliert und durchsucht werden. Die Polizei begann damit am hinteren Ende des Zugs. Die Prozedur folgte immer dem selben Ablauf: Die AntifaschistInnen wurden von Polizeibeamten aus dem Zug begleitet, durchsucht, die Personalien abgefragt und anschließend gefilmt. Danach kamen die kontrollierten Personen in einen „Wartebereich“. Aus ihm wurden dann sukzessive Gruppen entlassen.
Niemand wurde weitergehend behandelt oder festgehalten. Den Nazi-GegnerInnen wurde jedoch mitgeteilt, dass ihnen zwar keine Straftat nachzuweisen sei, ein weiterer Protest am eigentlichen Ziel in Kandel jedoch genau beobachtet werde. Bei einer eventuellen Straftat flössen dann die Geschehnisse im Zug in Wörth mit in eine Anzeige ein.
Diese Prozedur mussten auch völlig unbeteiligte Passagiere über sich ergehen lassen, die den Zug nicht schon vor dem Eingriff der Polizei verlassen hatten. Erst gegen 16 Uhr – viel zu spät, um noch in Kandel demonstrieren zu können – waren alle AntifaschistInnen frei und reisten zurück nach Karlsruhe.
Um dem Unmut über die massive Unterdrückung politischen Engagements Ausdruck zu verleihen, bildete sich in der Karlsruher Innenstadt eine Spontandemonstration mit über 100 Teilnehmern. Sie zogen mit ihren Transparenten, Fahnen und lauten Parolen durch die belebten Einkaufsstraßen in Richtung Südstadt. Obwohl einige Streifenwagen schon früh vor Ort waren, versuchten einige Polizisten erst gegen Ende der Demonstration etwas halbherzig, die AntifaschistInnen zu stoppen. Sie ließen sich jedoch nicht beirren und führten ihren Protest fort. Am Werderplatz löste sich die Demonstration dann ohne weitere Vorkommnisse auf.
Unser Kommentar: Eine gezielte Aktion
Das Geschehen am Bahnhof Wörth erzeugt das Bild einer geplanten Eskalation. Die von vornerein enorm hohe Anzahl von Polizisten in einem vom eigentlichen Geschehen in Kandel entfernten Ort und die aufgefahrene Zahl an Polizeifahrzeugen müssen einen Grund gehabt haben. Es entbehrt jeder Logik, in einen ohnehin vollen Zug eine große Gruppe Polizisten in voller Schutzmontur zu schicken, während deren Fahrzeuge nur wenige Meter entfernt parken.
Planmäßig sollte der Zug in Wörth nur wenige Minuten Aufenthalt haben. Es wurden drei Stunden. Niemand wurde weiter in eine Gefangenensammelstelle oder zur erkennungsdienstlichen Behandlung gebracht. Allerdings gab es 16 Anzeigen wegen Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, wie im Nachhinein bekannt wurde. Bei weiteren 56 Insassen habe die Polizei die Identität festgestellt.
Nach Angaben der Polizei seien Bundespolizisten „von Anreisenden des linken Spektrums“ zunächst am Betreten des Zuges gehindert und dann körperlich angegriffen worden. Dafür wurde eine große Zahl von Personen durchsucht, gefilmt und von der Polizei aktiv an der Teilnahme an angemeldeten Kundgebungen in Kandel gehindert. Womöglich wandern deren Personalien nun in diverse Karteien der Polizei. Rechtmäßig? Grundgesetzkonform? Das bleibt zu klären.
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