Von unseren ReporterInnen – Kandel. Im südpfälzischen Kandel gab es am Samstag, 7. April, erneut einen rechten Aufmarsch und mehrere Protest-Demonstrationen. Die Polizei spricht von insgesamt 1200 TeilnehmerInnen. Allerdings schränkten Auflagen der Versammlungsbehörde des Kreises Germersheim und der Polizei die antifaschistischen Proteste ein. Und die Bundespolizei hinderte am Bahnhof Wörth etwa 150 bis 200 linke DemonstrantInnen an der Weiterfahrt nach Kandel (siehe „Polizei stürmt Zug mit Nazi-GegnerInnen„).
Sechs Mahnwachen unter verschiedenen Mottos und eine Demonstration des „Männerbündnis Kandel“ waren gegen den erneuten rechten Aufmarsch angemeldet worden. Die Versammlungsbehörde des Landkreises Germersheim akzeptierte jedoch fünf Mahnwachen wegen der vorgesehenen Veranstaltungsorte nicht. Die „Kurfürstlich Kurpfälzische Antifa“ (KKA) und „Die Partei“ warfen ihr deshalb eine Aushöhlung des Versammlungsrechts vor (die Pressemitteilung kann hier nachgelesen werden).
Zuständigkeit offenbar ungeklärt
Um das Recht auf Protest in Hör- und Sichtweite wahrnehmen zu können, meldeten mehrere Personen gegen 12 Uhr Eilversammlungen an. Sie wurden wohl aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage erneut abgelehnt. Unsere ReporterInnen wurden von Christiane Grimm, der zuständigen Vertreterin des Ordnungsamts des Kreises Germersheim, an die Polizei verwiesen, als sie nach der Begründung fragten. Man wolle der Presse keine Auskunft erteilen, da die Polizei dafür zuständig sei.
Die Pressestelle der Polizei verwies unsere ReporterInnen dann wieder an das Ordnungsamt, bei dem die Entscheidungsbefugnis liege. Bisher liegt uns keine Begründung für die Ablehnung der Eilversammlungen vor.
Verwirrung über zugeteilte Versammlungsorte
Etliche GegnerInnen des rechten Aufmarsches wurden am Bahnhofsvorplatz kurzfristig von einer Polizeikette umstellt. Sie hatten ihren Unmut gegen die Ankunft von Rechten, die mit Zügen anreisten, mit lautstarken Parolen kund getan. Dies jedoch wohl an einem falschen Ort. Der angemeldete Versammlungsort des „Männerbündnis Kandel“ befand sich etwa 300 Meter vom Bahnhof entfernt.
Offensichtlich spielte keine Rolle, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Mahnwache unter dem Motto „Nazis aufs Abstellgleis“ am Bahnhof angemeldet und akzeptiert war. Hintergrund der Polizeimaßnahme war laut einem polizeilichen Pressesprecher, ein direktes Aufeinandertreffen von Rechten und Linken zu vermeiden.
Geschwächter linker Protest
Der Demonstrationszug des „Männerbündnis Kandel“ startete gegen 14.30 Uhr mit knapp 400 TeilnehmerInnen. 150 bis 200 aus Karlsruhe anreisende AntifaschistInnen konnten sich jedoch nicht an ihm beteiligen. Sie sollten nie in Kandel ankommen. Wie berichtet, wurde der Zug am Bahnhof in Wörth von Polizeikräften gestürmt. Die anschließenden polizeilichen Maßnahmen dauerten bis gegen 16 Uhr an.
Die TeilnehmerInnen der Demonstration ließen sich durch das alles nicht beirren. Mit Parolen gegen Nazipropaganda zogen sie durch Kandel. In einer Seitenstraße kamen sie bis auf zirka 30 Meter an den vorbeilaufenden Demonstrationszug der Rechten heran. Jedoch mit wenig Blickkontakt, da ihnen zwei Einsatzfahrzeuge der Polizei die Sicht versperrten.
Zivile Beamte unter DemonstrationsteilnehmerInnen
Auffällig waren die vielen Zivil-Beamte, die sich unter die linken DemonstrantInnen gemischt hatten. So konnten unter anderem zwei jüngere Beamtinnen den Demonstrationszug unwidersprochen direkt neben Seitentransparenten begleiteten. In mehreren Bundesländern sind zivile Beamte bereits verpflichtet, sich vor der Versammlung bei einem Versammlungsleiter zu erkennen zu geben und auszuweisen. Für Rheinland-Pfalz gibt es bisher keine gesetzliche Regelung.
Verurteilter NPD-Funktionär war auch bei der rechten Versammlung
An der rechten Versammlung, die von dem Mannheimer Marco Kurz angemeldet worden war, beteiligten sich erneut rechtsradikale Gruppierungen wie „Der Dritte Weg“, die NPD, Anhänger „Freier Kameradschaften“, Hooligans, Identitäre und Pegida-Aktivisten. Dem rechten Aufmarsch schlossen sich erneut BürgerInnen aus Kandel an. Laut Polizeiangaben zogen 900 TeilnehmerInnen unter dem Motto „Migratonspolitik – Innere Sicherheit“ mit Parolen wie „Widerstand“ und „Antifa Hurensöhne“ durch Kandel.
Auch der inzwischen vom Landgericht Ellwangen in zweiter Instanz zu zehneinhalb Monaten (ohne Bewährung) verurteilte NPD-Funktionär Dominik Stürmer aus Ellwangen lief an einem der Banner im Demonstrationszug mit. Stürmer hatte Stauffenberg als einen Verräter in einem Post auf Facebook bezeichnet. Stauffenberg war Hauptakteur bei dem misslungenen Attentat vom 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler. Ferner waren unter den Teilnehmern auch Michael Stecher aus Fellbach, sowie Christian Hehl, NPD-Stadtrat aus Mannheim. Hehl war Anfang März als Zeuge im Stuttgarter NSU-Untersuchungsausschuss geladen.
Versuchter Angriff durch Rechte auf Kandeler Bürgermeister
Nachdem der Mannheimer Marco Kurz den Bürgermeister Volker Poß (SPD) am Rande des Marktplatzes gesichtet hatte, informierte er über das Mikrofon die Demonstrationsteilnehmer der rechten Kundgebung. Kurz darauf lief ein Pulk von rechten Demonstranten aggressiv in Richtung des Bürgermeisters. Nur durch ein schnelles Handeln der Polizei, die eine Schutzreihe bildete, konnte die Meute daran gehindert werden, bis zu Bürgermeister Poß vorzudringen.
Prüfung rechtlicher Schritte gegen die Versammlungsbehörde angekündigt
Aufgrund der massiven Einschränkungen des Versammlungsrechts und des offensichtlich unverhältnismäßigen Einsatzes am Bahnhof in Wörth, war auf dem Bahnhofsvorplatz in Kandel um 16.30 Uhr eine Eilversammlung unter dem Motto „Gegen Polizeirepression“ angemeldet worden. Ein Sprecher der KKA äußerte sich zu den Vorfällen dahingehend, dass die Verlegungen aller Mahnwachen an den Bahnhof und das nicht akzeptieren der angemeldeten Eilversammlungen rechtswidrig gewesen wäre. Sie würden gegen Artikel 8 des Grundgesetzes, der das Recht auf Versammlungsfreiheit regelt, verstoßen. Dem Anmelder der Mahnwache am Marktplatz wäre zudem ein Platzverweis für das nördliche Kandel erteilt worden, nachdem man von dem Recht auf Demonstration Gebrauch machen wollte, so der Sprecher weiter. Auch die Stürmung des Zuges in Wörth sei nicht hinnehmbar. Es könne nicht sein, dass ein demokratischer Staat rechtsradikale Demonstrationen schütze und demokratische GegendemonstrantInnen „kastriere“. Das KKA kündigte an, das Vorgehen der Versammlungsbehörde anwaltlich prüfen zu lassen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einzuleiten. Seine Rede wurde immer wieder durch „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“-Rufe unterbrochen.
Stefan Bernhard Eck, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, äußerte sich ebenfalls entsetzt über die polizeilichen Vorgänge in Kandel und Wörth. Er bedaure, dass man am heutigen Tage am Ende von 1945 angelangt sei. Ferner forderte er die Beamten auf, keine weitere Gewalt auszuüben und das Versammlungsrecht nicht weiter zu brechen.
Rechts vor Links gilt offensichtlich nicht nur im Straßenverkehr
Ähnliche Situationen, wie schon am Vormittag, konnten nach den Kundgebungen bei der Abreise der TeilnehmerInnen am Bahnhof in Kandel beobachtet werden. Hier galt offensichtlich erneut „Rechts vor Links“. Erst nachdem die Rechten unter Polizeibegleitung in die Züge gebracht worden waren, konnten auch linke TeilnehmerInnen abreisen. Mehrere Personen hatten sich über diese Maßnahme erfolglos bei der Polizei beschwert.
Körperliche Durchsuchungen im Intimbereich unter freien Himmel in der Öffentlichkeit
Mittlerweile meldeten sich bei unseren ReporterInnen mehrere Personen, die in dem festgesetzten Zug in Wörth gewesen waren. Nach ihren Aussagen wurde den AktivistInnen körperliche Gewalt angedroht, falls sie sich nicht zu erkennungsdienstlichen Zwecken fotografieren ließen. Eine Person gab an, sie sei in der Öffentlichkeit regelrecht unter den Augen von Schaulustigen – auch im Intimbereich – durchsucht worden. Sie habe sich mehrfach bei den Beamten über das Vorgehen bei der Durchsuchung beschwert. Die Person schilderte unseren ReporterInnen das Geschehen weiter: „Ich bin regelrecht angetatscht und begrapscht worden. Mir wurde unter den Augen von schaulustigen männlichen Gaffern durch Beamtinnen unter den Bügel meines BH´s gefasst. Ich beschwerte mich mehrmals bei den Beamtinnen, die meine Beschwerde jedoch ignorierten.“ Unter den männlichen gaffenden Passanten will ein weiterer Gegendemonstrant mehrere Neonazis erkannt haben.
In den nächsten Wochen und Monaten sind weitere rechte Aufmärsche in Kandel angemeldet. Wir werden berichten.
Weitere Bilder des Tages
Fotos von der rechten Demonstration
Folge uns!