Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Nur zwei Wochen nach dem diesjährigen Ostermarsch griff die Luftwaffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs syrische Ziele an und riskierte damit eine weitere Eskalation des Krieges. Das zeigte einmal mehr: Der Kampf um Frieden ist weltweit dringlicher denn je. Gut 3000 Menschen hatten sich am Karsamstag, 31. März, am Stuttgarter Ostermarsch unter dem Motto „Frieden braucht Bewegung! Gegen Aufrüstung, Krieg und atomares Wettrüsten“ beteiligt. Das bedeutete eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr.
Frieden ist auch Emotion. Das zeigte sich, als am Ende des Ostermarschs dem langjährigen Hauptorganisator Dieter Lachenmayer, für sein Engagement gedankt wurde. Er will Jüngeren den Stab überreichen.
Bei der Auftaktkundgebung auf dem Marktplatz sprachen unter anderem Paul Russmann für „Ohne Rüstung leben“ und Helmut Lohrer von der IPPNW, einem internationalen Zusammenschluss von Ärzten gegen den Krieg. Ralf Chevalier von der Stuttgarter Friedenskoordination erinnerte an die Zerstörungen in der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Dennoch sei Stuttgart an den heutigen Kriegen nicht unbeteiligt. Chevalier forderte unter Applaus, dass die Kommandozentralen Eucom und Africom geschlossen werden. Die Moderation übernahm Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (IMI).
Paul Russmann: „Todbringende Rüstungsschau“
Paul Russmann kritisierte die für Mai 2018 auf den Fildern geplante Militärmesse ITEC. Stuttgart setze sich einerseits für Menschenrechte ein und biete auch vielen Menschen Schutz. Gleichzeitig werde die Stadt Gastgeber „einer todbringenden Rüstungsschau.“ Bereits am Vorabend hatte es eine Demonstration vor dem Messegelände auf den Fildern gegeben. Sidar Carman von der Föderation Demokratischer Arbeitervereine DIDF kritisierte, dass Deutschland die türkische Armee mit Panzern im Krieg gegen die Kurden unterstütze.
Die Demoroute führte vom Marktplatz über die Münzstraße, Dorotheenstraße, Hauptstätter Straße, Eberhardstraße und Königstraße bis zum Schlossplatz. Auf dem Rotebühlplatz gab es eine Zwischenkundgebung.
Hauptredner bei der Schlusskundgebung war Tobias Pflüger von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Bundesvorsitzender der Linken.
Tobias Pflüger: „Ein Hauch von Kaltem Krieg“
Auch Pflüger thematisierte die Lage in Syrien. Die Türkei führe in Afrin einen völkerrechtswidrigen Krieg mit Waffen aus Deutschland. Es dürfe keine Rüstungsexporte mehr in die Türkei geben. Der Bundestagsabgeordnete forderte auch den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Auflösung des Kommandos Spezialkräfte KSK. Weitere Themen seiner Rede waren das Verhältnis zu Russland und Waffenexporte an Länder wie Saudi Arabien. „Krieg beginnt hier!“, erklärte Pflüger mit Blick auf die Rüstungsindustrie und die Kommandozentralen bei Stuttgart.
Polizei filmt und fühlt sich beleidigt
Die Polizei filmte immer wieder DemontrationsteilnehmerInnen. Ein Grund hierfür war nicht zu erkennen. Die rechtliche Grundlage dieser polizeilichen Handlungen blieben im dunkeln. Am Ende der Kundgebung kam es auf dem Schlossplatz zu einem kleinen Gerangel zwischen DemonstrantInnen und der Polizei. Die Beamten wollten die Personalien von zwei jungen Männern aufnehmen, von denen sie beleidigt worden sein wollen.
Die musikalische Umrahmung gestaltete Heinz Ratz mit seiner Band Strom und Wasser.
Die Rede von Tobias Pflüger im Wortlaut:
„Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter,
derzeit führt die Türkei einen völkerrechtswidrigen Krieg in Afrin mit Waffen aus Deutschland und wir sagen von hier aus: Es darf keine Rüstungsexporte mehr in die Türkei geben. Bis heute ist die Bundesregierung nicht in der Lage, klar zu formulieren, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig ist.
Ich fordere die Kanzlerin erneut auf! Sagen Sie endlich Richtung Türkei: Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig. Er ist nicht nur inakzeptabel und barbarisch, er ist auch völkerrechtswidrig – Sagen Sie das endlich! In diesem Krieg werden mit Waffen aus Deutschland Zivilisten getötet und diese Bundesregierung macht sich mitschuldig, dadurch dass sie immer und immer weiter Rüstungsexporte genehmigt. Wir wissen inzwischen, dass Waffen genehmigt wurden, nachdem die Türkei in Afrin einmarschiert ist. Wir sagen, es darf keinerlei Zusammenarbeit mit der Türkei mehr im Polizei-, im Geheimdienst- und im Militärbereich geben. Keine Zusammenarbeit mit diesem Erdoganregime! Bis heute sind Bundeswehrsoldaten in Konya bei den AWACS mitstationiert. Wir fordern den Rückzug der Bundeswehr aus Konya aus der Türkei.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich war mit der Ministerin von der Leyen in Afghanistan. Ein klassischer Truppenbesuch. Und liebe Freundinnen und Freunde, wir kritisieren, dass der Bundeswehreinsatz von 980 auf 1300 Soldaten erhöht wird. Wir wollen keine Erhöhung, wir wollen den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan! In der Öffentlichkeit wird gesagt, das sei ein Einsatz zur Ausbildung, den die Bundeswehr dort durchführt. Nach dem, was ich vor Ort gesehen habe, weiß ich, es ist deutlich mehr als “Ausbildung”. Es geht auch um so genannte ‘Force Protection’ und es geht auch darum, dass Truppen aus Deutschland afghanische Truppen ausbilden, die dann konkret kämpfen. Und was ich gesehen habe vor Ort ist, dass auch Soldaten des Kommando Spezialkräfte in Afghanistan sind. Liebe Freundinnen und Freunde, wir wollen, dass die Bundeswehr aus Afghanistan abgezogen wird. Aber wir wollen auch, dass diese Spezialkräfte, dieses Kommando Spezialkräfte (KSK) endlich aufgelöst wird!
Wir haben ja die Situation im Moment, dass aufgrund des Vorfalls in Salisbury die Europäische Union und die USA bzw. eine Reihe von EU-Staaten und die USA, Diplomaten von Russland ausweist. Russland hat darauf reagiert. Ich hab so ein bisschen im Moment den Eindruck, wir haben einen Hauch des Kalten Krieges am Laufen. Und liebe Freundinnen und Freunde, zu dem ganz konkreten Vorfall, es gibt internationale Regelungen, die sagen, dass die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) diejenige ist, die dort konkret nach Anfrage eine Untersuchung machen müsste undbes sollte keine Vorverurteilung geben!
Liebe Freundinnen und Freunde, wenn der Westen so agiert, wie er im Moment agiert, eskaliert er die Situation weiter und wir wollen keine Eskalation, sondern Deeskalation!
Liebe Freundinnen und Freunde, diese neue Bundesregierung hat, nachdem sie im Amt war, sofort die Auslandseinsätze hochgefahren. Es soll nicht nur in Afghanistan mehr Soldaten geben, sondern auch in Mali und im Irak soll es einen Einsatz geben, bei dem sie uns nicht erklären konnten, was sie eigentlich genau vor Ort tun.
Liebe Freundinnen und Freunde, da wird probiert, die Bundeswehr irgendwie einzusetzen. Ich sage, die Bundeswehr muss auch aus dem Irak zurückgezogen werden und kein dubioser Ausbildungseinsatz dort gemacht werden!
Und was hat diese Bundesregierung noch gemacht, nachdem sie im Amt war? Sie hat nicht nur Rüstungsexporte in die Türkei genehmigt, sondern schändlicherweise auch Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Ich kann nur sagen, wer in dieser Situation Patrouillenboote nach Saudi-Arabien liefert, unterstützt ein Regime, was Zivilisten im Jemen umbringt und das verurteilen wir. Wir wollen keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien!
Und bevor sie im Amt war, diese Bundesregierung, hat sie in der Europäischen Union die so genannte Militärunion (PESCO) auf den Weg gebracht.
Liebe Freundinnen und Freunde, die Europäische Union sollte ein ziviles Projekt sein und wir als Friedensbewegung lehnen es ab, dass die Europäische Union eine Militärunion wird. Wir wollen keine Militärunion, wir wollen nicht, dass die Europäische Union zu einem Militärbündnis gemacht wird!
Und dann hat diese Bundesregierung im Koalitionsvertrag beschlossen, dass es bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr geben soll. Liebe Freundinnen und Freunde, es ist schon schlimm genug, dass über AFRICOM und Ramstein, als Relaisstation US-amerikanische Drohnen mit von Deutschland aus gesteuert werden.
Und es ist genauso unerträglich, wenn jetzt die Bundeswehr bewaffnete Drohnen kriegen soll. Wir sagen, wir wollen, dass die Bundeswehr keine bewaffneten Drohnen bekommt, weil das ein weiterer Schritt zur Automatisierung des Krieges ist. Keine bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr!
Stuttgart und Baden-Württemberg sind Zentren, in denen Rüstung hergestellt wird. Und es sind Zentren, von denen später dann die Rüstungsexporte ausgehen. Da ist Oberndorf, da ist der Bodensee, wo es sehr viele Rüstungsfirmen gibt. Wir sagen, wir wollen grundsätzlich keine Rüstungsexporte mehr, wir wollen, dass Rüstungsproduktion verboten wird und wir wollen, dass die Produktion, die bisher im militärischen Bereich stattfindet mit Rüstungskonversion in zivile Herstellung umgewandelt wird. Wir wollen, dass von Baden-Württemberg und von Stuttgart aus kein Krieg mehr ausgeht, sondern wir wollen Rüstungskonversion!
Und liebe Freundinnen und Freunde, es sind die Truppen, die Krieg führen und es sind die Rüstungsstandorte, von denen Krieg ausgeht. Wir sagen, der Krieg beginnt hier, also muss auch der Protest und der Widerstand hier beginnen und da sind wir in Baden-Württemberg und in Stuttgart besonders gefragt, weil hier gibt es sehr viele militärische Einrichtungen: AFRICOM, EUCOM, das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw, und in der Region eine ganze Reihe von wichtigen Bundeswehr-Standorten. Wir sagen, wir werden Protest leisten, zum Beispiel wenn jetzt diese Militärmesse ITEC hier in Baden-Württemberg, in Stuttgart stattfindet. Wir werden Widerstand leisten gegen Krieg, Kriegsvorbereitung, Kriegsbeteiligungen und Militäreinsätze. Weil wenn sie ihn nicht starten können, den Krieg, dann wird er nicht stattfinden.
Also, Krieg beginnt hier und wir werden von hier aus Protest und Widerstand leisten. Ich glaube, wir haben viel zu tun. Vielen Dank!“
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