Dessau. Die zuständige Abteilung II beim Generalbundesanwalt (Rechtsextremismus Nord- und Ostdeutschland) unter Leitung von Bundesanwalt Kai Lohse hat die eigene Zuständigkeit für die Ermittlungen in einer Serie von ungeklärten Todesfällen im Polizeirevier Dessau erneut und mit „haarsträubenden Begründungen“ abgelehnt. Die Anzeige der Initiative wird nun ebenfalls von der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg bearbeitet, die derzeit auch die Beschwerden gegen die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Halle sowie die Strafanzeige der Familie Oury Jallohs prüft. Am 7. Dezember 2017 hatte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh Strafanzeige wegen Mordes an Oury Jalloh gegen den damaligen Polizeibeamten Udo S. gestellt. Die Antwort, datiert auf den 4. April 2018, erreichte die Initiative erst am 18. April 2018 per Mail.
Bundesanwalt Lohse argumentiert in seinem Schreiben, dass im Fall Oury Jalloh eine fremdenfeindliche Straftat nicht erkennbar sei. Die bekannten, zeitlich weit auseinander liegenden Todesfälle Hans-Jürgen Rose (1997), Mario Bichtemann (2002) und Oury Jalloh (2005) seien allesamt „Einzelfälle“ mit „lokalem Charakter“ in einem „einzelnen Polizeirevier“ und daher nicht geeignet, dass sie „Staatsschutzbelange, namentlich die innere Sicherheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des Staates, ernsthaft beeinträchtigen könnten.“
Nach Ansicht der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh ignoriert die Bundesanwaltschaft erneut die Faktenlage im Fall von Oury Jalloh:
„1. Die Fremdenfeindlichkeit der Dessauer Polizei war durch Medien öffentlich bekannt und auch der Ermittlungsgruppe der Kriminalpolizei Stendal am 7. Januar 2005 durch das Innenministerium von Sachsen-Anhalt mitgeteilt worden. Der Leiter des Revierkriminaldienstes Hanno Schulz hatte vor dem Landgericht Magdeburg ausgesagt, dass er diesbezüglich auch einen schriftlichen Vermerk angefertigt und diesen an die damalige Polizeiführung der Polizeidirektion Dessau weiterleitet hatte.
Auch das Telefongespräch zwischen dem Dienstgruppenleiter Andreas Schubert und dem Arzt Dr. Andreas Blodau am 7. Januar 2005 über Oury Jalloh zeigt exemplarisch eine rassistische und menschenverachtende Alltagssprache im Revier: „Piekste mal `nen Schwarzafrikaner!“/ „Ach du Scheiße, da find ich immer keine Vene“/ „Bringste `ne Spezialkanüle mit“ Lachen.
2. Der Feuertod von Oury Jalloh ist kein Einzelfall. Es gibt mindestens 3 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Polizeirevier Dessau, die von Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen-Anhalt nicht aufgeklärt wurden. Hans-Jürgen Rose starb an schwersten innerlichen Verletzungen und Mario Bichtemann starb an einem Schädelbasisbruch in der gleichen Zelle, in welcher Oury Jalloh verbrannte. Die Gemeinsamkeit der Opfer besteht darin, dass sie erheblich alkoholisiert waren und den sozialen Vorurteilen der gewaltbereiten Täter (Außenseiter-Obdachloser-Ausländer) entsprachen. In allen drei Fällen starben die Opfer infolge massiver Gewalteinwirkung. In allen drei Fällen wurden die Täter nicht ermittelt.
3. Ein Feuerzeug, das erst drei Tage später aufgetaucht war, ist ein nachweislich manipuliertes Beweismittel. Fest steht: Oury Jalloh kann die Matratze nicht selbst angezündet haben, da er kein Zündmittel hatte. Selbst der Leitende Oberstaatsanwalt von Dessau, Folker Bittmann, hatte in seinem Vermerk vom 4. April 2017 eine strafrechtliche Verantwortlichkeit hinsichtlich der Manipulation des Feuerzeuges bei der Tatortgruppe des LKA von Sachsen-Anhalt gesehen. Hinzu kommen ein abgebrochenes Tatortvideo und eine ganze Reihe verschwundener Asservate. Zudem belegen die von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh vorgelegten Gutachten von internationalen Experten eine fehlerhafte Tatortarbeit, tatortfremde Versuchsaufbauten und wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Schlussfolgerungen der Ermittlungsbehörden von Sachsen-Anhalt.“
Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh hatte bereits in der Anzeige beim Generalbundesanwalt vom 11. November 2013 deutlich gemacht, dass Polizei und Justiz in Sachsen-Anhalt die Aufklärung der Todesumstände von Oury Jalloh von Beginn an systematisch verhindern wollten. Bezüglich der bekannten und angezeigten (https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2017/12/07/initiative-in-gedenken-an-oury-jalloh-stellt-strafanzeige-wegen-mordes/) Manipulationen und Vertuschungen durch die Ermittlungsbehörden Sachsen-Anhalts bemerkt Bundesanwalt Lohse lapidar:
„Soweit die Anzeige nachträglich fragwürdige Verhaltensweisen bei der Sicherung, Erhebung und Bewertung von Beweismitteln sowie sonstige Fehler bei der Sachaufklärung anführt, ist bislang jedenfalls in keiner Weise erkennbar, dass sich darin bewusste Unterstützungshandlungen der (behaupteten) Tat des Beamten manifestierten.“
Hierzu erklärt die Initiative: „Die „Argumentationslinien“ der Generalbundesanwaltschaft offenbaren selbst ein bedenklich interessensgeleitetes Verständnis von Aufklärung. Lohse unterschlägt die besondere Bedeutung der Fallserie sowohl in der gesamtgesellschaftlichen, als auch in der Wahrnehmung der hier von Ausgrenzung betroffenen Minderheiten der Gesellschaft.
Daher wird es in besonderem Maße gerade das hier unbegründete „blinde Vertrauen“ der Generalbundesanwaltschaft gegenüber den sachsen-anhaltinischen Ermittlungsbehörden sein, die das tatsächliche Vertrauen der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates nachhaltig beeinträchtigen wird.“
Das Antwortschreiben der Generalbundesanwaltschaft kann hier nachgelesen werden.
Foto- und Videobericht über die 13. Gedenkdemonstration an Oury Jalloh am 7. Januar 2018 in Dessau: Über 5000 Menschen fordern Aufklärung.
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