Von Andreas Scheffel – Bayern/Sachsen. Tausende von BürgerInnen gingen in den vergangenen Wochen in Bayern gegen das geplante Polizeiaufgabengesetz auf die Straße (wir berichteten). Nun versuchen CSU-Politikerinnen, das Protestbündnis zu torpedieren. Sie stellten im bayerischen Landtag einen Dringlichkeitsantrag „Keine gemeinsame Sache mit Linksextremisten und anderen verfassungsfeindlichen Organisationen“. Das Parlament „fordert alle demokratischen Kräfte in diesem Bündnis auf, verfassungsfeindliche Organisationen auszuschließen oder andernfalls das umstrittene Bündnis zu verlassen“, so der Wortlaut.
OppositionspolitikerInnen sprechen von einem überheblichen und scheinheiligen Versuch, die Bewegung gegen den Gesetzentwurf zu spalten. „Der Landtag stelle „mit Befremden fest, dass sich demokratisch legitimierte Parteien wie SPD, Grüne und FDP mit Linksextremisten und anderen verfassungsfeindlichen Organisationen in einem Bündnis gegen das PAG-Neuordnungsgesetz zusammengeschlossen haben“, heißt es in dem Dringlichkeitsantrag der CSU.
Maschinengewehre und Granaten für Polizeibeamte
Kritiker betrachten auch die geplante Reform des sächsischen Polizeigesetzes als alarmierend. Kürzlich wurde an die Nachrichtenseite Buzzfeed der gesamte Entwurf geleakt, die ihn vollständig veröffentlicht hat. So seien „breitere Observationsmöglichkeiten“ und „neue Durchsuchungsbefugnisse“ für Polizisten geplant. Bei Linken und Grünen im sächsischen Landtag stößt auch dieser Gesetzesentwurf auf starke Kritik.
Spezialeinheiten der Polizei sollen nicht nur mit Maschinengewehren, sondern auch mit Handgranaten ausgestattet sein. Weitere Formulierungen legen nahe, dass die sächsische Polizei auch mit Elektroschockwaffen wie Tasern ausgestattet werden soll. KritikerInnen warnen vor einem Eingriff in die Grundrechte und einer Militarisierung der Polizei.
Auch Geheimnisträger sollen überwacht werden können
Polizeibehörden sollen zudem den öffentlichen Raum per Video überwachen dürfen. Es können geheime Kontrollbereiche mit eingeschränkten Grundrechten eingerichtet und in bestimmten Fällen auch JournalistInnen überwacht werden, die eigentlich als Berufsgeheimnisträger geschützt sind.
Zuletzt gingen in Regenburg und Nürnberg jeweils mehr als 6000 BürgerInnen gegen das in Bayern geplante Gesetz auf die Straße. Die CSU will es Mitte Mai im Landtag verabschieden. Die Gegner des Gesetzentwurfs werfen der Regierungspartei und der AfD vor, Bayern zu einem Diktator-Staat machen zu wollen, und fordern eine Korrektur. Der Entwurf stelle alle BürgerInnen unter Generalverdacht. Mit dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz „PKG“ würden überdies alle, die psychologische Hilfe suchen, vorverurteilt. Das allgemeine Misstrauen, das die Staatsregierung den BürgerInnen entgegenbringt, sei unerträglich.
CSU stellt Dringlichkeitsantrag
Der am Vortag eingereichte, gegen das Protestbündnis gerichtete Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion wurde noch am Donnerstag, 26. April, im Landtag debattiert. Die CSU-PolitikerInnen werfen den Oppositionsparteien SPD, Grüne, FDP und der Linken vor, sich mit verfassungsfeindlichen Organisationen gegen das Polizeiaufgabengesetz (PAG) verbündet zu haben.
Weiter fordern die CSU- Politiker von den Oppositionsparteien, das Bündnis „noPAG“ entweder zu verlassen oder verfassungsfeindliche Organisationen auszuschließen. Im einzelnen nennt die CSU die DKP, den bayerischen Landesverband der Linksjugend Solid, die Münchner Ortsgruppe der Roten Hilfe, den Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD und das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus. Diesen Organisationen wird Verfassungsfeindlichkeit unterstellt, da sie im Verfassungsschutzbericht 2017 genannt wurden.
„Wir lassen uns nicht spalten“
Mehrere PolitikerInnen bezogen gegen den eingebrachten Dringlichkeitsantrag der CSU Position. Er sei ein Täuschungsmanöver. Das Bündnis will den Protest gegen das geplante Polizeiaufgabengesetz (PAG) weiter vorantreiben und sich nicht auseinanderdividieren lassen.
„In Bayern zählt man mittlerweile bereits als verfassungsfeindlich, wenn man sich für den Erhalt oder die Einhaltung gesetzlicher Grundrechte einsetzt“, kritisiert Daniel Gruber, Bezirksrat für die Piratenpartei Mittelfranken: „Der Antrag der CSU soll nur davon ablenken, welch verfassungsfeindliche Gesetze und Vorschriften sie derzeit selbst durchsetzt. Es gibt eine Trennung zwischen Geheimdienst und Polizei. Es gibt ein Recht auf Privatsphäre. Es gibt keine Staatskirche und Krankheit ist kein Verbrechen.“ Und weiter: „Nur, weil man sich selbst auf den Weg zum Überwachungsstaat macht, sind Menschen die für eine offene Gesellschaft und Bürgerrechte eintreten, keine Verfassungsfeinde. Die CSU hat das Recht zur Auslegung der Verfassung nicht gepachtet – auch nicht in Bayern.“
Gemeinsam und friedlich gegen das PAG
Ähnlich bewertet der Bezirksvorsitzende der Jungen Liberalen Mittelfranken, Simon Langenberger, das Vorgehen der Regierungspartei: „Wir lassen uns durch den Dringlichkeitsantrag der CSU nicht beeindrucken und werden unseren Protest auch nicht spalten lassen. Wir werden weiterhin gemeinsam und friedlich gegen das PAG demonstrieren. Keine Partei hat in den letzten Jahren mehr verfassungswidrige Initiativen eingebracht und beschlossen als die CSU. Würden wir jegliche Zusammenarbeit mit der Linken ausschließen, müssten wir gleichzeitig auch jegliche Kooperationen mit der CSU beenden. Alles andere wäre scheinheilig.“
„Der CSU wird es angst und bange“
Gizem Fesli und Uwe Haller vom Kreisverband der Linken Nürnberg-Fürth werfen der CSU vor, mit ihrem Antrag Stimmung gegen das breite Bündnis zu machen, statt den Gesetzesentwurf zurückzuziehen. Die unhaltbaren Unterstellungen, das die Parteien FDP, SPD und Grüne sowie die Linke mit verfassungsfeindlichen Gruppierungen kooperiere, sei nur ein Ablenkungsmanöver, um die Oppositionsparteien zu diskreditieren. Der Antrag der CSU zeige, dass es den CSU-PolitikerInnen „angst und bange wird“.
Selten – vielleicht noch nie – standen so viele verschiedene Parteien, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, sogar Fußballfans und die Kirche zusammen gegen einen Gesetzesantrag, so Fesli und Haller weiter. Die CSU sehe sich isoliert. Ihr letzter Reflex sei der Versuch, dieses Bündnis zu spalten, so Haller. „Dabei ist die CSU diejenige, die mit ihrem Gesetzesantrag gegen das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei verstößt, indem sie die Polizei zunehmend mit geheimdienstlichen Befugnissen betrauen will“, sagt Fesli.
Aufbau einer Art Paralleljustiz
Einige Organisationen klagen bereits gegen diesen Verstoß vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Es sei ein Missbrauch des Landtages für parteipolitische Zwecke durch die CSU zu beobachten. Wenn das PAG durchkommt, drohe die Polizei die nächste Institution zu werden, die willkürlich für solche Zwecke eingesetzt werden könnte.
Christine Kayser, Stadträtin der SPD in Nürnberg, kritisiert ebenfalls den Dringlichkeitsantrag und den Gesetzesentwurf. Sie zeigt sich über die Entwicklung und das Vorhaben der CSU äußerst beunruhigt. Ihr Vertrauen in den Rechtsstaat mit seiner klaren Gewaltenteilung würde durch das geplante PAG zerstört. Die Stadträtin vermisst sachliche Argumente. Kritikern werde nur das Schlagwort „beispiellose Desinformationskampagne“ entgegengehalten. Ihr scheine, dass die CSU „endgültig im postfaktischen Lager“ angekommen sei. Das zeigten auch andere Aktionen des Ministerpräsidenten in den letzten Tagen.
Was die CSU verabschieden wolle, sei ein Paradigmenwechsel. Kayser befürchtet einen Verlust von Rechtssicherheit für die BürgerInnen und die Gefahr von Willkür im Namen der Gefahrenabwehr. Die Polizei, so der Gesetzesentwurf, soll Gefahren bereits präventiv, also noch bevor eine eigentliche Straftat begangen wird, verhindern können.
Auch nach dem Dringlichkeitsantrag der CSU will das Protestbündnis den Druck gegen den geplanten Gesetzesentwurf weiter aufrechterhalten. Es mobilisiert zu einer Großdemonstration am 10. Mai in München.
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