Von Angela Berger – Waiblingen. Etwa 80 Menschen kamen am Morgen des 1. Mai vor dem Tor des Stihlwerks in Waiblingen zusammen, um gemeinsam zum Marktplatz zu ziehen. Dort wurde die Gruppe von etwa 300 Versammelten erwartet und freudig begrüßt. Die KundgebungsrednerInnen gingen auf Themen wie Pflege, Wohnen, Krieg, Armut und Ausbeutung ein. Der Bundesvorsitzende der Linken Bernd Riexinger prangerte prekäre Beschäftigung und Steuerschlupflöcher an. Er kritisierte den Preis des Springer Verlags für den Amazon-Chef Jeff Bezos, dessen Unternehmen kaum Steuern zahle und Tarifverträge verweigere: „Der finanzgetriebene Kapitalismus funktioniert immer noch nach dem Prinzip, Anhäufung von privatem Reichtum in wenigen Händen bei gleichzeitig öffentlicher Armut.“
Auf dem Marktplatz gab es Getränke und auch die obligatorische rote Wurst zum ersten Mai. Musikalisch wurde die Veranstaltung des DGB von der „Grünen Welle“ aus Tamm begleitet, die mit einer Mischung aus Rock, HipHop, Rap, Ska, Reggae, Dancehall und Funk (Skagga) eine super Stimmung verbreitete.
Christa Walz, die Kreisvorsitzende des DGB-Kreisverband Rems-Murr, moderierte und begrüßte die Versammelten. Sie zeigte sich solidarisch mit den streikenden Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen. Deren Arbeitskampf um bessere Entlohnung und besonders um höhere Einstiegsgehälter werde fortgesetzt.
Das diesjährige Motto des 1. Mai „Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit“ stehe für viele Probleme, die dringend bearbeitet und geändert werden müssten – vom Mangel an Pflegekräften über das Rentenniveau bis zu überteuerten Wohnungen. Es fehle nicht nur an „Arbeit für alle“ sondern vielmehr an guter Arbeit für alle, von der man auch leben könne. Auch im öffentlichen Dienst würden Stellen oft nur noch befristet genehmigt und besetzt. Das Bilden von Personalvertretungen werde in den Gemeinden vehement abgelehnt.
Keine Chance für Rassismus
„Der 1. Mai steht im Rems-Murr-Kreis auch immer gegen rechtsextreme Aktivitäten, wir sind darauf sehr sensibilisiert“, sagte Christa Walz: „Wir wehren uns gegen rechtsextreme Strömungen und gegen dreisten Rassismus. Wir setzen uns auseinander mit den Personen die meinen, dass sie damit recht haben, auch mit Kolleginnen und Kollegen aus unseren Gewerkschaften.“
Am 1. Mai gehe es aber auch um den Frieden in der ganzen Welt. Er sei bedroht wie schon lange nicht mehr. Millionen Menschen seien auf der Flucht vor Krieg, Not, Hunger, Armut und unsäglichem Elend. Deutschland sei daran beteiligt mit Bundeswehreinsätzen und Waffenexporten in Kriegs- und Krisengebiete. Die Gewerkschaften unterstützen die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ und sammeln Unterschriften.
Erdogan verstößt gegen Völkerrecht
Der Bundesvorsitzende der Linken Bend Riexinger, früherer Geschäftsführer von Verdi Stuttgart, kritisierte, dass die Bundesregierung den Kriegseinsatz in Syrien für „angemessen und erforderlich“ halte. Es dürfe nicht toleriert werden, dass das Völkerrecht ständig missachtet werde.
Die Große Koalition mache weiter wie bisher – außer bei den Rüstungsausgaben. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wolle siebis 2020 verdoppeln. Dabei müsse in Kindertagesstätten und Altenpflegeheime investiert werden statt in Kampfpanzer und Tornados.
Erdogan verstoße in der Türkei gegen das Völkerrecht und gehe auch gegen Gewerkschaften vor. Riexinger erklärte sich solidarisch mit den Menschen, die in der Türkei auf die Straße gehen und für Demokratie und Menschenrechte demonstrieren. Aber auch in Frankreich versuche ein Ministerpräsident, eine Agenda 2010 gegen die Gewerkschaften durchzusetzen. Auch mit den streikenden Eisenbahnern in Frankreich erklärte sich Riexinger solidarisch – ebenso mit den Textilarbeiterinnen und Textilarbeitern in der ganzen Welt, die für Hungerlöhne und unter unvorstellbaren Bedingungen Textilen für die Billiganbieter in Europa produzierten.
„Leiharbeit ist moderne Sklaverei“
Solidarität sei inklusiv und unteilbar. Es sei nicht zu akzeptieren, wenn Menschen wegen ihrer Abstammung anders behandelt werden als andere. In der letzten Woche sei er bei einer Protestveranstaltung gewesen, bei dem es um den Preis des Springer-Verlags für den Amazon-Chef Jeff Bezos ging. Der Preis gelte angeblich für „herausragende Persönlichkeiten, die in besonderer Weise innovativ sind, Märkte schaffen und verändern, die Kultur prägen und sich gleichzeitig ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen.“
Doch die Ausbeutungsmethoden bei Amazon seien keinesfalls innovativ. Modern sei an ihnen nur die Verfeinerung der Ausbeutung. Zum Beispiel gebe es bei Amazon Armbänder, die jede Bewegung der Arbeiter erfassen, und jeder Stillstand werde sofort mit einer Abmahnung gerügt. Amazon beschäftige 40 Prozent befristete Saisonarbeiter. Seit sechs Jahren verwehre der Konzern den Kolleginnen und Kollegen von Verdi Verhandlungen über einen Tarifvertrag.
„Tarifflucht muss ein Ende haben“
Der Zustand von Amazon spiegele aber auch den Zustand der Gesellschaft wider. Es gebe immer mehr prekär Beschäftigte und trotz guter Konjunktur über eine Million Leiharbeiter. Etwa 3,5 Millionen Menschen verdienten weniger als 2000 Euro brutto. Daran habe der viel zu niedrige Mindestlohn nichts geändert. Hinzu komme, dass auch viele große Firmen der Region Menschen über Werkverträge beschäftigen.
Tarifflucht sei die Regel geworden. Nur noch ein Drittel der Beschäftigten seien in Tarife eingebunden. „Es sollte wieder normal werden, unter Tarifverträgen zu arbeiten, und nicht mehr die Ausnahme“, forderte der Bundestagsabgeordnete. Auch für Werkverträge solle der Tarifvertrag gelten.
Zu solchen Themen finde sich im Koalitionsvertrag kein Wort. Man müsse Druck aufbauen, damit sich das ändert. Der eine Teil der Gesellschaft sei entweder gar nicht beschäftigt wie die 3 Millionen Erwerbslosen, der andere Teil dafür strukturelll unterbeschäftigt mit Mini- und Midijobs, mit 450 Euro- Verträgen, mit unfreiwilliger Teilzeit. Vor allem Frauen wollten eigentlich gern mehr Stunden arbeiten.
Neue Debatte über Arbeitszeit nötig
Auf der anderen Seite stehe Überbeschäftigung. Es gebe 1,7 Milliarden Überstunden, 800 Millionen davon noch nicht mal bezahlt. „Es wäre wieder an der Zeit für eine Arbeitszeitoffensive mit 30 Stunden statt 40 Stunden und mehr“, forderte Riexinger. Durch Modernisierung und Digitalisierung sei die Produktivität so hoch, dass man das Leben in den Vordergrund stellen könne und nicht mehr wie bisher die Arbeit.
Steuerschlupflöcher, wie sie Konzerne wie Amazon nutzten, müssten endlich gestopft werden. Konzerne sollten dort ihre Steuern bezahlen, wo sie ihr Geld verdienen. Auch Reiche und Superreiche sollten endlich angemessen und solidarisch Steuern bezahlen. Ohne Umverteilung gebe es niemals eine gerechte Welt.
Breite Bündnisse müssten weiter für eine sozialere und solidarischere Gesellschaft kämpfen. Zuletzt berichtete Christa Angerbauer über ihre Eindrücke als Krankenschwester von den jüngsten Abschlüssen für die Angestellten im öffentlichen Dienst im Rems-Murr-Kreis.
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