Von Andreas Scheffel und Alfred Denzinger – München. Über 40 000 Menschen folgten am Donnerstag, 10. Mai, dem Aufruf des Bündnisses „noPAG – NEIN zum neuen Polizeiaufgabengesetz“, um gegen die geplante Neufassung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) zu protestieren. Die Reform schafft eine fast grenzenlose Staatsgewalt, die künftig jeden Bürger und jede Bürgerin ins Fadenkreuz nehmen darf. Das kritisieren die fast 100 Organisationen, Gewerkschaften und Parteien, die zu der Demonstration in München mobilisiert hatten. Ungeachtet dessen verabschiedete der bayerische Landtag am späten Dienstagabend, 15. Mai, das höchst umstrittene Gesetz. Verschiedene Gruppen und Parteien – darunter SPD und Grüne – haben eine Verfassungsklage angekündigt.
Was die CSU in den letzten Wochen als Provokation abtat und als Folge von Falschinformationen bezeichnete, entwickelt sich zu einem regelrechten Bürgeraufstand quer durch Bayern. Noch Ende April versuchte die Mehrheitspartei im bayrischen Landtag, Stimmung gegen das Protestbündnis zu machen.
Sie stellte einen Dringlichkeitsantrag „Keine gemeinsame Sache mit Linksextremisten und anderen verfassungsfeindlichen Organisationen“. Doch die KritikerInnen des neuen Polizeiaufgabengesetzes nahmen die Äußerungen der CSU-Politiker eher als einen Ansporn, um für Freiheit und den Schutz der Bürgerrechte auf die Straße zugehen.
München gleicht Bürgeraufstand
Wegen des großen Andrangs von DemonstrantInnen musste die zentrale Auftaktkundgebung am Marienplatz abgesagt werden. Weil die Zufahrtsstraßen zu dem Platz überfüllt waren, harrten die DemonstrantInnen zum Teil in der prallen Mittagssonne aus.
Kurz nach 13 Uhr startete der Demonstrationszug unterhalb vom Marienplatz mit dem Ziel Odeonsplatz, wo die Abschlusskundgebung geplant war. Die DemonstrantInnen zogen mit Bannern, Flaggen, Schildern und Musik lautstark quer durch die Münchner Innenstadt.
Polizei verstößt gegen die „innere Versammlungsfreiheit“?
Die Polizei filmte und fotografierte laufend absolut friedliche DemonstrantInnen. Die Rechtsgrundlage für diese Polizeipraxis wird wohl das Geheimnis der Beamten bleiben. Gemäß aktueller Rechtssprechung dürfte dieses Verhalten gegen die „innere Versammlungsfreiheit“ verstoßen.
Rauchschwaden und Musik
Während der Demonstration wurde vereinzelt bunte Pyrotechnik aus einem TeilnehmerInnenblock heraus entzündet, der von behelmten BeamtInnen im Spalier begleitet wurde. Von Lastwagen aus wurden zwischen Musikeinspielungen Reden gehalten. Auch eine Nebelmaschine kam zum Einsatz.
Abbau von Grundrechten
Nach der Ankunft der DemonstrantInnen am Odeonsplatz begann die Abschlusskundgebung. Besonders kritisch sahen es die GegnerInnen des Gesetzentwurfs, dass die Polizei in Zukunft leichter Telefone überwachen und Briefe öffnen darf. Niemals in den letzten Jahrzehnten sei der Rechtsstaat so sehr in Gefahr gewesen wie durch dieses Polizeigesetz, wurde das Vorhaben der CSU kritisiert.
Schon im Juli 2017 war die Schwelle abgesenkt worden, ab der die Polizei tätig werden kann. Nach dem Gesetzentwurf soll es schon ausreichen, wenn die Wahrscheinlichkeit begründet wird, dass in überschaubarer Zukunft eine Straftat begangen werden könnte.
Personenfeststellung am Rande der Veranstaltung
Während der Demonstration und am Odeonsplatz stellte die Polizei die Personalien einzelner DemonstrantInnen fest. Aus nicht erkennbaren Gründen isolierten Polizeikräfte etwa eine Demonstrantin von einer Personengruppe, die sich hinter der Bühne am Odeonsplatz aufhielt, und umschlossen sie. Die Frau wurde in einen nahegelegenen Innenhof zur Personenfeststellung abgeführt.
Mehrere DemonstrantInnen versuchten die BeamtInnen daran zu hindern. Das führte kurzzeitig zu einem Gerangel. Anschließend positionierten sich die Einsatzkräfte an einem Torbogen und verhinderten, dass die DemonstrantInnen weiterziehen konnten. Dabei filmten und fotografierten BeamtInnen das Geschehen.
Gesellschaft muss noch aktiver werden
Zwischen den Reden auf der Bühne gaben die Veranstalter immer wieder aktualisierte Teilnehmerzahlen über Mikrofon bekannt – zuletzt sollen es über 40 000 gewesen sein. Bis kurz vor Ende der Abschlusskundgebung marschierten noch immer TeilnehmerInnen vom Marienplatz los in Richtung Odeonsplatz.
Die fast grenzenlosen Eingriffe in den Kernbereich elementarer Grundrechte dürfe von einer Gesellschaft, die auf ihre Freiheit Wert legt, nicht hingenommen werden, hieß es in den Redebeiträgen bei der Abschlusskundgebung. Dafür stünden alle in München Versammelten. „Die Kundgebungen, Demonstrationen, aber vor allem der Kampfgeist gegen das geplante PAG und die Beschneidung unserer Grundrechte durch die CSU wird weitere BürgerInnen auf die Straße bringen“, prognostizierte eine Kritikerin. Es müssten noch viel mehr BürgerInnen gegen das PAG aktiv werden.
Jelpke: Bayerisches Polizeiaufgabengesetz ist verfassungsfeindliches Pilotprojekt
„Das bayerische Polizeiaufgabengesetz ist ein verfassungsfeindliches Machwerk. Unbegrenzte Präventivhaft und Wohnraumüberwachung für Menschen, bei denen die Polizei lediglich annimmt, sie könnten eine Straftat begehen, sind Instrumente eines Polizeistaates. Die Ausweitung der DNA-Auswertung auf die sogenannte biogeographische Herkunft ist ein Instrument zur Diskreditierung von Einwanderern. Dass nun einer der Urheber dieses Frontalangriffs auf Bürgerrechte den Posten des Bundesinnenministers bekleidet, lässt Übles für die Demokratie auch auf Bundesebene erwarten“, kommentiert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, die Verabschiedung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes am 15. Mai.
Jelpke weiter: „Dieses Polizeistaatsgesetz hat schon seine Nachahmer in NRW und Sachsen gefunden, und auf der Innenministerkonferenz wird von einem Musterpolizeigesetz schwadroniert. Wir stehen vor der entscheidenden Frage, ob wir uns von Terroristen und Sicherheitsfanatikern unser Leben diktieren lassen oder für eine offene, demokratische und freie Gesellschaft eintreten wollen. Zehntausende Bürger, die in Bayern auf die Straße gegangen sind, haben deutlich gezeigt, dass sie nicht bereit sind, dieses Gesetz hinzunehmen. Der Widerstand gegen Polizeistaatsgesetze ist notwendig, denn es geht um unser aller Freiheitsrechte.“
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