Von Sandy Uhl – Ulm. Die Identitäre Bewegung Schwaben hatten am Samstag, 16 Juni, in der Ulmer Fußgängerzone einen Info-Stand mit „Ballermann-Charakter“ aufgebaut. Bis zu 25 AktivistInnen der rechtsradikalen Vereinigung waren im Einsatz. Unter ihnen auch ein Aktivist, gegen den eine aktuelle Strafanzeige wegen einem Angriff auf einen Pressevertreter läuft. Im Rahmen des „Festival Contre Le Racisme“ fand zur selben Zeit, knapp zweihundert Meter entfernt, das „Klangkost Fest“ statt – ein Fest, dass sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit richtet. Verschiedene Organisationen, Parteien und Gemeinderatsmitglieder äußerten inzwischen ihren Unmut über die Stadtverwaltung. Das Ordnungsamt der Stadt Ulm hatte der rassistischen Identitären Bewegung den Standort in unmittelbarer Nähe zum „Festival Contre Le Racisme“ zugewiesen. Unterstützer des Festivals sind unter anderem die „Internationale Stadt Ulm“ und das Auswärtige Amt.
Liegestühle, ein Pavillon und smart lächelnde junge Menschen in der am Samstagnachmittag belebten Fußgängerzone Ulms. Ballermann-Feeling vor dem südlichen Münsterplatz. Was sich hinter der vermeintlichen Idylle verbirgt, sind AktivistInnen der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitäre Bewegung Schwaben (IB). Zum vierten Mal in Folge war Ulm im Fokus für deren Aktionen. Wohl im Rahmen einer „Hopping-Tour“, versuchte die IB ihre Ideologien und Ansichten zur Migrationspolitik unter die PassantInnen zu bringen. Bereits am Vormittag hatten sie ihren Stand auf dem Tübinger Markplatz aufgebaut. Dort wurden sie jedoch, nach Aussage eines IB-Aktivisten auf Twitter, von linken Personen gestört. Unter den AktivistInnen der IB befanden sich Personen aus dem Raum Konstanz, Tübingen, Augsburg und Ulm.
Stadt Ulm bestimmte den Standort
Auf Anfrage bei der Stadt Ulm bestätigte Rainer Türke, Leiter des Ordnungsamts, dass die IB den Stand bereits am 7. Juni ordnungsgemäß angemeldet habe. Der Standort in unmittelbarer Nähe zum „Festival Contre Le Racisme“ sei der IB von der Stadt Ulm zugewiesen worden.
Personenkontrollen von vermeintlich Linken – Polizeischutz für Rassisten
Auch die Polizei Ulm hatte im Vorfeld Kenntnis vom IB-Infostand. Pressesprecher Wolfgang Jürgens teilte auf Anfrage mit, dass es Auftrag der Polizei sei, für die Sicherheit der Menschen in der Region zu sorgen und dafür alles Notwendige zu tun. Eine Frau berichtet, dass sie und weitere Personen, unmittelbar nachdem sie versucht haben mit den IBlern in einen Dialog zu treten, von der Polizei umzingelt wurden. Unter den betroffenen Personen seien auch Mitglieder des „Festival Contre Le Racisme“ gewesen. Die Beamten gaben wohl an, mit der Feststellung der Personalien einem Konflikt vorbeugen zu wollen. Weitere Personen, die sich den fremdenfeindlichen Ideologien entgegenstellen wollten, hätten sich daraufhin zurückgezogen. Eine Personenkontrolle der IB-Aktivisten hat augenscheinlich nicht stattgefunden.
Die IB konnte über mehr als zwei Stunden ihre rechtsradikale Propaganda unter die Leute bringen. Wohl mit dem sicheren Gefühl, dass eventuelle Protestaktionen von der Polizei beobachtet und sofort unterbunden werden.
Nachdem die rechten Aktivisten ihren Infostand abgebaut hatten, versammelte sich die gesamte Truppe am „Festival Contre Le Racisme“. Als sie von dort abzogen, kam es zu einem Rempler einer IB-Aktivistin gegen einen Organisator des Festivals.
IB-Aktivist wegen Angriff auf Pressevertreter angezeigt
Unter den IB-Aktivisten befand sich auch ein Mann, gegen den derzeit ermittelt wird. Während einer Kundgebung der Jungen Alternative in Stuttgart-Feuerbach, die sich gegen den Bau einer Moschee richtete, kam es zu einem Angriff auf einen Journalisten der Beobachter News. Der Angreifer schlug dem Journalisten zunächst mit einem kurzen Hieb in die Bauchregion und anschließend die Kamera aus der Hand. Diese fiel zu Boden. Der Journalist erstattete daraufhin Anzeige bei der Polizei (siehe hierzu „Polizei riegelt AfD-Kundgebung mit Großaufgebot ab“ und „Ein Angriff auf Pressevertreter ist keine Lappalie„).
- Polizei nahm in Feuerbach Ermittlungen auf – Archivbild
- Angreifer in Feuerbach bei der AfD-Kundgebung – Archivbild
- Der Feuerbacher Angreifer in Ulm in Aktion
Organisationen und Gemeinderats-Mitglieder üben scharfe Kritik
Auf Anfrage unserer Redaktion äußern sich nun Verantwortliche von diversen Organisationen sowie Mitglieder von Parteien und Gemeinderatsfraktionen zum Verhalten der Stadt Ulm. Darüber hinaus verurteilen sie die rassistische und fremdenfeindliche Ideologie der IB.
Präsident der Universität Ulm macht von Hausrecht Gebrauch
Professor Michael Weber, Präsident der Universität Ulm, betont, eine nationale und völkische Vereinigung habe keinen Platz an der Uni. Für die Universität spiele es keine Rolle, wo man herkomme oder welche sexuelle Orientierung man habe. Es gehe lediglich um den einzelnen Menschen.
Ende 2017 plakatierte die IB an der Ulmer Universität. Dies sah Professor Weber als einen Verstoß gegen die Plakatierregeln und machte von seinem Hausrecht Gebrauch. Er sprach ein Verbot für deren Plakate sowie Werbematerialien in den Räumen und an den Gebäuden der Universität aus. Zudem informierte er die Polizei und den Verfassungsschutz.
Professor Weber ist sehr stolz auf die OrgansatorInnen des „Festival Contre Le Racisme“. 2017 wurden sie von der Universität Ulm mit einem Sonderpreis für studentisches Engagement ausgezeichnet.
Jusos fordern Handeln der Stadt Ulm
Der Sprecher der Jusos der Hochschulgruppe Ulm äußert sich in einem schriftlichen Statement zutiefst schockiert über die Tatsache, dass eine rechtsextreme Gruppe sich so offen in der Innenstadt präsentieren kann. Die IB sei zwar für „mehr Schein als Sein“ bekannt, aber dennoch sollten alle dieses Alarmsignal ernst nehmen. Die stellvertretende Sprecherin konkretisiert: „An der Uni Ulm hat der Präsident vor einiger Zeit ein Hausverbot für die IB ausgesprochen, nachdem wir ihm von aufgefundenen Plakaten berichtet hatten. Wir begrüßen ausdrücklich diesen Schritt und fordern, dass auch die Stadt Ulm ein solches Verbot versucht möglich zu machen. Menschenverachtung darf nicht fälschlicherweise als eine Meinung deklariert werden – wer anderen ihre unveräußerliche Menschenwürde abspricht ist kein Querdenker, sondern ein Verbrecher!“
Provokation für „Festival Contre Le Racisme“
SprecherInnen des „Festival Contre Le Racisme“ sehen den von der Stadt Ulm akzeptierten, und in unmittelbarer Nähe zum Festival zugewiesenen Stand der IB als eine Provokation. Für die OrganisatorInnen sei es unverständlich, dass man einer Gruppierung, die ein ganz klar neonazistisches Weltbild habe, so einen Stand zuweist. Der Stadt sei seit langem bekannt gewesen, dass das Festival „Contre Le Racisme“ zur gleichen Zeit auf dem südlichen Münsterplatz stattfindet. Es sei nun ein Anreiz mehr, sich künftig noch mehr gegen Rechts zu engagieren und Veranstaltungen zum Thema Migrationspolitik zu organisieren, so der Sprecher. Zudem müsse mehr Bildungsarbeit geleistet werden.
SPD- und VVN-VertreterInnen werfen der Stadt unsensibles Vorgehen vor
Martin Ansbacher, Vorsitzender der SPD Ulm, appelliert an die Stadt, künftig genauer hinzusehen. Man sehe es mit großer Sorge, dass sich die IB in der internationalen Stadt Ulm immer mehr Platz nehme. Die IB stelle eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung dar. Man hätte der Stadt Ulm bei der Zuweisung des Stands mehr Sensibilität zugetraut. Das „Festival Contre Le Racisme“ sei auch ein Aushängeschild der Stadt Ulm.
- Andrea Schiele, Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) Ulm – Archivbild
- Martin Ansbacher, Spitzenkandidat der Ulmer SPD – Archivbild
Andrea Schiele, Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) Ulm, spricht in einem Video-Statement ebenfalls von einem unsensiblen Vorgehen der Ulmer Stadtverwaltung. Man hätte sich schlau machen müssen, so Schiele, wem man da einen Stand gibt.
FDP: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegentreten
Für Ralf Milde, Mitglied der FDP-Fraktion, nutzen die Identitären und die AfD die Gunst der Stunde und tragen ihre Fremdenfeindlichkeit offen zur Schau, wohl wissend dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung mit ihnen sympathisiere. Dies sei ein Grund zu großer Sorge. Auf kommunaler Ebene könne nichts getan werden, außer jedem Rassismus und jeder Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten.
Grüne: Rechten den Boden entziehen
Michael Joukov, Gemeinderat der Grünen, befürchtet, dass Ulm wieder als Plattform der Feinde einer offenen Gesellschaft dienen soll, wie schon 2009. Die wichtigste Antwort darauf sei es, ihnen den Boden zu entziehen. Den Stand der IB in Ulm sieht er als Provokation an. Man wolle das Thema auch in den zuständigen Gremien einbringen.
- Michael Joukov-Schwelling, Gemeinderat der Grünen – Archivbild
- Eva-Maria Glathe, Die Linke Ulm – Archivbild
Linke: IB ist nicht neu in Ulm – jetzt muss endlich etwas geschehen
Mit großer Bestürzung haben DIE LINKEN Ulm zur Kenntnis genommen, dass die IB zum wiederholten Male einen Stand in Ulm hatte. Dazu noch an einem Tag, an dem ein Fest mit einer genau entgegengesetzten Botschaft gefeiert wurde, so Sprecherin Eva-Maria Glathe-Braun. Sie kritisiert weiter, dass die IB bereits im letzten Jahr am „Schwörmontag“ in Ulm eine Aktion durchführen konnte, ohne daran gehindert zu werden (wir berichteten). Die Linke habe daraufhin Oberbürgermeister Czisch sowie den gesamten Stadtrat angeschrieben. Damals hätte es, so Glathe, keinerlei Reaktionen gegeben. In Ulm müsse man definitiv etwas tun, damit die IB keinen Boden bekommt, so Glathe.
Gewerkschaften sehen Gefahr für Gesellschaft und Demokratie
Für Bärbel Mauch, DGB Regionsgeschäftsführerin der Region Südwürttemberg, ist es beschämend und unwürdig, dass es Menschen gibt, die ohne jedes Mitgefühl, ohne jegliche Empathie, andere verunglimpfen. Auf schlimmste Art Stimmung gegen Geflüchtete, gegen Vielfalt, gegen Andersdenkende machen. Statt auf die demokratische Gesellschaft mit ihren Werten wie Respekt und Wertschätzung des Anderen stolz zu sein und dafür auf die Straße zu gehen, würden diese Leute mit rechtsextremen, menschenverachtenden Sprüchen gegen alles, was scheinbar „anders“, vor allem aber ihnen unerwünscht ist, hetzen, so Mauch weiter. Die wahre Gefahr für die Gesellschaft und die Demokratie käme von einer solchen Haltung. Dagegen wehrten sich die Gewerkschaften.
Bis Redaktionsschluss lag uns lediglich von der Freien Wählergemeinschaft keine Stellungnahme vor. An die CDU-Fraktion wurde keine Anfrage gestellt.
Videos
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!