Von Andreas Scheffel – Stuttgart. Dem Aufruf der Piratenpartei zu einer Kundgebung am Samstag, 23. Juni, auf dem Stuttgarter Schlossplatz folgten 60 TeilnehmerInnen. Unter dem Motto „Save the internet“ protestierten sie gegen das Vorhaben der EU, europaweit Upload-Filter einzuführen, sowie das Teilen von Presseartikeln einzuschränken. Am vergangenen Mittwoch hat der Rechtsausschuss des Europaparlaments diese weitreichenden Änderungen beschlossen. Vertreter von „Demokratie in Bewegung“ und die Linksjugend Solid Stuttgart schlossen sich dem Protest an.
Nach Einschätzung der Piratenpartei ist nach der Entscheidung des EU-Rechtsausschusses das Internet, wie wir es kennen, in Gefahr. Sogenannte “Uploadfilter”, also eine Vorzensur hochgeladener Inhalte, sowie eine faktische Linksteuer in der Form eines europäischen Leistungsschutzrechtes drohen, Realität zu werden. Die Piraten sind davon überzeugt, dass das Inkrafttreten der Direktive nur noch durch die Abstimmung in zwei Wochen im Europaparlament abgewendet werden könne. In den letzten Wochen hatten sich europaweit Nichtregierungsorganisationen, Vereine, Verbände und Privatpersonen für eine freie Internetkultur stark gemacht.
Nicht mit uns
Der Stuttgarter Kreisvorsitzende der Piraten Oliver Burkardsmaier betonte in seiner Rede, dass diese Änderungen eine große Gefahr für die freie Meinungsäußerung darstelle: „Das Internet hat es überhaupt erst möglich gemacht, dass man sich frei informieren kann und dass sich jeder mit jedem austauschen kann. Wenn wir diese Änderungen zulassen, dann entscheiden nur noch die großen Verlage, welche Informationen wir bekommen. Wir demonstrieren heute hier in Stuttgart und in Berlin um zu zeigen, dass wir das nicht mit uns machen lassen!“
Gegen Zensur-Pläne und für eine freie Meinungsäußerung
Als sehr kritisch bewertete Burkardsmaier die Einführung eines Uploadfilters. Dieser diene dazu, von Benutzern hochgeladene Inhalte, wie zum Beispiel auf der Videoplattform „YouTube“, automatisiert auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen. Zudem sehe er die favorisierten Systeme als hoch fehleranfällig und zudem für kleine Unternehmen als nicht finanzierbar an. Folge davon wäre, dass in der Praxis überwiegend legitime und harmlose Werke wie Memes und Parodien blockiert würden. Im Ergebnis habe der Upload-Filter wenig bis nichts an Nutzen, sondern schränke aber die freie Meinungsäußerung stark ein, konstatierte Burkardsmaier.
Für mehr Demokratie – gegen Existenzbedrohung
In Bezug auf das Leistungsschutzrecht, wonach Anbieter wie zum Beispiel Google News gezwungen werden sollen, für die Verlinkung von Nachrichten Geld an die Verlage zu bezahlen, führte Bukardsmaier aus, „eine Lizenzpflicht für die Verbreitung von Nachrichten werde keinen Beitrag zur Finanzierung des Journalismus leisten“. Vielmehr würde das Teilen professioneller Nachrichtenmeldungen verhindert werden und kleine Verleger, die am meisten auf das Teilen ihrer Artikel angewiesen seien, würden in ihrer Existenz bedroht werden.
Die EU-Abgeordnete der Piratenpartei, Julia Reda, setze sich für eine Änderung und einer Abstimmung im kompletten EU-Parlament ein. Die Piratenpartei und viele weitere Organisationen riefen deshalb europaweit zu Protesten auf, die am Samstag mit den Demonstrationen in Stuttgart und Berlin begonnen hätten. „Wir lassen uns unser Netz nicht kaputt machen. Wir wollen keine Linksteuer, und wir wollen keine Uploadfilter. Wir lassen uns nicht zensieren“, bekräftigte Burkardsmaier seine Ausführungen am Ende seiner Rede.
Oettinger und Seehof in der Kritik
Der Sprecher der Linksjugend Solid Stuttgart Sven „Gonzo“ Fichtner kritisierte den ehemaligen EU-Digitalkommissar Günther Oettinger, der den Gesetzesvorschlag für die Reform des europäischen Urheberrechts im Jahr 2016 vorgelegt hatte. Er bezeichnete Innenminister Horst Seehofer als „Zündler gegen Flüchtlinge und der Meinungsfreiheit“. Fichtner führte dazu aus, die EU habe die „Zensurwunschliste“ von Seehofer erhalten.
„Oft wurden wir belächelt, als wir schon vor Jahren von einem Rechtsruck gesprochen hatten. Jetzt ist dieser so offensichtlich, dass kein normal denkender Mensch diesen Rechtsruck bestreiten kann. Die beschlossene Reform, wesentlich unterstützt von rechtsradikalen Kräften im EU-Parlament sieht vor, dass alle Plattformen wie YouTube, Facebook und Co, die von Nutzern hochgeladene Inhalte vor Veröffentlichung auf Urheberrechtsverstöße prüfen müsse“, so Fichtner.
Pinkstinks gegen Germanys Next Top Model
Fichtner hob die Vorkommnisse um die verhinderten Protestvideos von „Pinkstinks“ gegen „Germanys Next Top Model“ hervor, die einen traurigen Vorgeschmack des Einsatzes von Upload-Filtern liefere. In dem knapp drei-minütigen Musikvideo kritisierten Hamburger Schülerinnen die Sendung von Heidi Klum, die auf dem Sender Pro Sieben läuft. Mit Textzeilen wie „ich bin mehr als mein Aussehen, ich kann mehr anbieten, als diese Deppen mich zeigen lassen“ kritisierten die Schülerinnen den Schönheitswahn in der Sendung. Das Video soll zensiert worden sein.
EU-Gesetze für Menschen, nicht für Profite der Monopolisten
Laut Fichtner betätigten sich eine Mehrheit von Christdemokraten, EU-Gegnern, Wirtschaftsliberalen und Nationalisten und spiele den „Steigbügelhalter“ für die Interessen der deutschen Großverlage um Springer, Funke und Burda. „Abgeordnete haben die Anliegen von Monopolisten durchgesetzt, die ihre veränderte Marktstellung im Internetzeitalter nicht akzeptieren wollen, und dafür in dreister Weise einmal mehr die UrheberInnen und die Medienvielfalt argumentativ instrumentalisiert. Niemand hindert die Großverlage ihre JournalistInnen besser zu bezahlen, doch auch mit einem Leistungsschutzrecht im Gepäck wird genau das nicht passieren, wie die deutsche Praxis längst gezeigt hat“, so Fichtner. Mit den Worten „es ist unsere Zukunft, unser Internet und unser Zeitalter. Lassen wir uns das nicht kaputt machen“, schloss er seine Rede und bedankte sich bei den TeilnehmerInnen für ihre Aufmerksamkeit.
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