Stuttgart. Die Besetzungen der beiden Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 fanden bundesweit großen Zuspruch. Dafür scheinen sich die Eigentümer nun revanchieren zu wollen. Rund einen Monat nach der Räumung der besetzten Wohnungen erhielten nun reguläre MieterInnen einer Wohnung im Haus eine fristlose Kündigung. Sie sollen bis 5. Juli ausziehen.
Die Mieter des Hauses in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Stuttgart-Heslach erklärten nach der Besetzung offen ihre Sympathie mit dem damaligen BestzerInnenkollektiv. Nach Mitteilung des Aktionsbündnis Recht auf Wohnen haben die Vermieter über ihren Anwalt die Kündigung damit begründet, die Mieter hätten die Besetzer ins Haus gelassen, so die Aktion unterstützt und „diese Unterstützung auch in den öffentlichen Medien kundgetan“. Sie hätten darüber hinaus auch im Namen der Besetzer die Forderungen an die Vermieter gestellt, diesen einen Mietvertrag anzubieten. Auch ihre Miet-Kaution sollen sie nicht bezahlt haben.
Gekündigte Familie legt Widerspruch ein
Die gekündigte Familie will die Kündigung nicht akzeptieren. Sie hat nach eigenen Angaben einen Anwalt eingeschaltet und Widerspruch gegen die Kündigung eingelegt. Die Mutter der Familie erklärt dazu: „Wir haben noch nie etwas von den neuen Eigentümern gehört, bis zur Besetzung. Jetzt schießen sie gegen alles, was ihnen nicht passt. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen und wehren uns mit allem was wir haben. Die Besetzung hat gezeigt, was bewirkt werden kann und wie sehr die Menschen im Haus und in der Nachbarschaft zusammenrücken können. Das wollen die Eigentümer jetzt vernichten, aber das werden sie nicht schaffen!“ Der Vorwurf, die Kaution nicht bezahlt zu haben, sei nicht richtig. Sie hätten ihren ursprünglichen Vermieter gebeten, diese an die neuen Vermieter weiterzugeben.
„Ein Akt der Selbst- und Gesinnungsjustiz“
Für das Ex-BesetzerInnenkollektiv steht eindeutig fest, dass hier versucht werden soll, „MieterInnen mit unliebsamen Meinungen zu bestrafen“. Anton Zimmer, einer der Ex-BesetzerInnen führt hierzu aus: „Die Eigentümer wollen in Gutsherrenmanier entscheiden, welche Meinung ihre Mieter haben dürfen. Das ist ein Akt der Selbst- und Gesinnungsjustiz, bei dem Grund- und Menschenrechte offensichtlich mit Füßen getreten werden.“ Auch Adriana, die mit ihrer Familie die Erdgeschosswohnung besetzt hatte, zeigt sich empört: „Familien mit Kindern räumen zu lassen, die eine Wohnung besetzt haben ist das eine. Aber nun werden reguläre Mieter, auch noch mit Kind, raus geworfen, weil sie nicht dieselbe Meinung haben. Uns wurde in den vergangenen Wochen immer wieder vorgeworfen, wir seien Extremisten. Aber was die hier machen, dass ist doch einfach nur fanatisch und unterdrückerisch.“
Dabei sei die Rechtsauffassung der Eigentümer höchst abenteuerlich, so das Aktionsbündnis. Denn in dem zur Begründung herangezogenen § 543 Absatz 1 des BGB heiße es zu der außerordentlichen fristlosen Kündigung, diese könne nur erfolgen, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt „und unter Abwägung beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist […] nicht zugemutet werden kann“. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sei in den Augen der Eigentümer ein „wichtiger Grund“, eine Familie auf die Straße zu setzen. Es sei allseits bekannt, wie schwer das Recht auf eine Wohnung auch vor Gericht wiege und dass es für VermieterInnen nicht ohne weiteres möglich sei, MieterInnen zu kündigen. Dieses dreiste Vorgehen könne nicht rechtmäßig sein, vergleichbare Präzedenzfälle gäbe es nicht, so die Ausführungen des Bündnisses.
Kündigung aus politischen Gründen?
Anton Zimmer hierzu: „Hier zeigt sich einmal mehr das Weltbild von solchen Spekulanten. Wir wurden wegen Rechtsbrüchen diffamiert, weil sich bedürftige Familien leerstehenden Wohnraum genommen haben. Die Eigentümer bedienen sich Anwälten um gesetzeswidriges Vorgehen so hin zu drehen, dass es doch rechtmäßig erscheint. Dabei ist das kein Einzelfall, sondern Alltag für Eigentümer, die Mieter rauswerfen wollen, freilich meist nicht aus solchen politischen Gründen, sondern aus Renditesucht. Diese Form des Rechtsbruchs ist für die reichen Hauseigentümer ein Leichtes, für Mieterinnen und Mieter bedeutet es meist eine zermürbende, teure und existenzbedrohende Auseinandersetzung.“
Das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen erklärt, „nach der Räumung der beiden besetzten Wohnungen wurden die Türen und teilweise auch die Fenster der nun wieder leerstehenden Wohnungen mit Brettern verschraubt. Darüber hinaus wurde ein Durchgang zwischen dem Hinterhof des Hauses und dem des Nachbarhauses mit Brettern verbarrikadiert. Der Zugang zum Dachboden, auf dem sich noch Gegenstände der MieterInnen befanden, wurde zugeschraubt, und die MieterInnen erhielten, nachdem sie sich darüber beschwerten, ein Schreiben, dass sie eine Woche Zeit hätten um ihn zu räumen, bevor er wieder verschlossen werde. Dreimal täglich kommt ein Sicherheitsunternehmen ins Haus. Dazu kamen bereits Aufforderungen an alle MieterInnen, alle Gegenstände aus dem Treppenhaus und dem Hinterhof zu entfernen. Dazu gehören auch ganz gewöhnliche Sachen wie Schuhregale und Kinderfahrräder.“
Anmerkungen laut Pressemitteilung des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen zum Kündigungsschreiben:
In der Begründung des Kündigungsschreiben finden sich zahlreiche Fehler.
Teilweise offensichtliche Schludrigkeitsfehler wie etwa falsche Daten der Besetzung (28.05. statt 28.04.) oder Vorschlag des Übergabetermins (04.05.). Die inhaltlichen Falschbehauptungen wollen wir hier kurz benennen und klarstellen:
Seite 2 / 2. Absatz / 1. Satz:
Falsch: Die Gekündigten hätten den BesetzerInnen Zugang zum Haus verschafft
Richtig: Die Haustüre des Hauses ist defekt und schließt nicht immer richtig. Im Vorfeld des Besetzung stand die Türe offen.
Seite 2 / 2. Absatz / Ende:
Falsch: Die Gekündigten hätten am Tag der Besetzung eine Feier zur Besetzung veranstaltet und den Gitterzaun im Hof entfernt.
Richtig: Diese Behauptung entbehrt jeglicher Beweise. Das Fest wurde von den BesetzerInnen organisiert. Bei dem Zaun handelt es sich um eine heraushebbare Gitterkonstruktion die eben herausgehoben wurde.
Seite 2 / 3. Absatz:
Falsch: Die Gekündigten hätten im Namen der BesetzerInnen Forderungen gestellt, u.a. sei ein Geldbetrag als Alternative zu Mietverträgen genannt worden.
Richtig: Am 2. Mai war Frau Passy in Begleitung zweier Polizisten vor Ort. Es gab im Treppenhaus ein kurzes Gespräch zwischen ihr, den BesetzerInnen, einem Vertreter des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen und mehrerer MieterInnen. In diesem Zuge wurde die Forderung nach Mietverträgen gestellt, die alternative Zahlung eines Geldbetrags gab es niemals und wurde von niemandem eingefordert.
Seite 2 / 4. Absatz:
Falsch: Strafbarkeit der genannten Vorgänge
Richtig: Da sich die Vorgänge nie so zugetragen haben, liegt keine Strafbarkeit vor
Seite 2 / 6. Absatz:
Falsch: Die Gekündigten haben ein Foto der Eigentümerin mit einem Smartphone gemacht
Richtig: Es wurde kein solches Foto gemacht.
Seite 3 / 2. Absatz:
Falsch: Die Aufschrift des Banners aus der Wohnung lautet „Wohnraum statt Protz! Der Kampf geht weiter“
Richtig: Die Aufschrift lautete „Wohnraum statt Profit! Der Kampf geht weiter“
Seite 3 / 3. Absatz:
Falsch: Die Kaution in Höhe von 1500 € steht noch zur Bezahlung aus
Richtig: Die Kaution wurde bereits 2012 vor dem Einzug an die damaligen Eigentümer bezahlt. Nach dem Verkauf im Frühjahr 2018 wurde von der damaligen Eigentumsgesellschaft ein Brief geschickt mit der Bitte der Übergabe der Kaution an die neuen Eigentümer mittels Rücksendung eines Formulars zuzustimmen, was auch getan wurde. Die Kaution hat sich zu keinem Zeitpunkt seit 2012 bei den MieterInnen befunden, sondern wurde von Eigentümer zu Eigentümer weitergegeben.
Eine Kopie des Kündigungsschreibens liegt der BN-Redaktion vor.
Folge uns!