Von Conny Seltinger – Bad Wurzach. „Rechtsextreme Umtriebe – auch im Allgäu?“ – Auf Anregung einiger EinwohnerInnen von Bad Wurzach lud die Stadt am 4. Juli zu einer Informationsveranstaltung unter diesem Titel ein. Etwa 80 WurzacherInnen und Interessierte aus der Region kamen. Auslöser für dieses Engagement war ein Neonazi-Konzert im Oktober 2017 in einer Bad Wurzacher Teilgemeinde. Als Referenten saßen auf dem Podium Sebastian Lipp, Fachjournalist und Akteur des Blogs „Allgäu Rechtsaußen“ und Julian Aicher, Neffe von Sophie und Hans Scholl. Peter Sellmayr, Vorstand des Treffpunkts Asyl in Bad Wurzach moderierte die Veranstaltung. Abgesichert wurde sie in der beschaulichen oberschwäbischen Kleinstadt von mehreren Polizeibeamten, Security und DRK.
Nach einem Grußwort des Bürgermeisters Roland Bürkle berichtete Sebastian Lipp über Neonazi-Aktivitäten in der Region. Unterstützt durch Bilder und Videosequenzen sprach er von einem deutlichen Erstarken der rechten Musikszene in der Region Allgäu. Laut Verfassungsschutz bestehe der Kern um „Voice of Anger“ aus 60 bis 80 Personen mit entsprechend großem Umfeld.
Die Allgäuer rechte Szene könne auf ein großes Mobilisierungspotenzial zurückgreifen und sei sehr gut vernetzt. Hilfreich sei dabei die geografische Lage des Gehöfts in Seibranz Talacker. Nahe an den Autobahnen A6/A7/A96 gelegen zeigte das „Voice of Anger“- Konzert im Oktober 2017 bereits, dass Aktivitäten beinahe unbeobachtet bleiben könnten. Unterstützung erfahren die Strippenzieher von NPD und „Voice of Anger“ Lipp zufolge durch Benjamin Einsiedler, ein Vertreiber rechter Devotionalien und Plattenlabels.
Einsiedler betreibt als 2. Label – auf den ersten Blick unpolitisch – „subculture records“. Die Absicht, dadurch nicht politisierte Bands und vor allem junge Konzertbesucher zu ködern, liege auf der Hand. Ein Verfahren gegen Einsiedler wurde im Mai 2018 vom Landgericht Memmingen zwar gegen Geldauflage eingestellt, aber von der Staatsanwaltschaft wurde Revision beantragt.
Rechte Straftaten nehmen zu
Lipp berichtete über ein permanentes Ansteigen rechter Straftaten im bayerischen Allgäu. Auch im Landkreis Ravensburg häuften sich Hakenkreuzschmierereien, Identitären-Sticker, Hassparolen. Seine abschließende Frage richtet Sebastian Lipp an die Zuhörer: „Besteht ein Wunsch der Bevölkerung, damit umzugehen?“
Anschließend berichtet Julian Aicher, Journalist, aus familiärer Betroffenheit. Als Sohn von Inge Aicher-Scholl war er seit Kindesbeinen mit der deutschen NS-Vergangenheit konfrontiert. Er berichtete von „ähnlich anmutenden Szenarien und Konfrontationen mit der rechten Szene in den 90ern in Ravensburg“. Die heutige Situation allerdings habe eine andere Dimension erreicht. Er appelliert an das Publikum, sich öffentlich gegen Faschismus und Rassismus zu positionieren. Er legt die Lektüre von Günther Weisenborns „Der lautlose Aufstand“ ans Herz. „Der Mut zum kleinen Handeln ist der Anfang, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Zeigen Sie Zivilcourage“, forderte Aicher die ZuhörerInnen auf: „Wir sind nicht Einzelne, wir sind die Mehrheit.“
AfD-Mann beschwert sich über Infostand
Bei der anschließenden Diskussion äußerte die evangelische Pfarrerin Barbara Vollmer große Sorge über latent vorhandenen Rechtsradikalismus. Er sei deutlich schwieriger zu greifen als offen zutage tretende rechtsradikale Aktivitäten. Einer der drei anwesenden, offen erkennbaren AfD-Anhänger beschwert sich über eine angeblich einseitige Zusammensetzung des Podiums – ebenso über einen Infostand des Bündnisses „Links im Allgäu“ LIA auf dem Wochenmarkt.
Schließlich musste der AfD Bundesparteitag jüngst in Augsburg von zahlreichen Einsatzkräften geschützt werden (siehe „Tausende zeigen Flagge gegen rechts„). Anschließend stellt er die obligatorische AfDler Frage – nämlich, ob die Gefahr von links nicht wesentlich größer sei als die von rechts. Bürgermeister Bürkle bestätigte, dass der Infostand korrekt angemeldet und durchgeführt worden war. Sein Kommentar: „Die kenn‘ i nedda, do müsst i mi informiera.“
Ein Wurzacher fragte nach den rechtlichen Möglichkeiten, Aktivitäten wie das „Voice of Anger“-Konzert zu verbieten. Dem erteilte Bürkle eine klare Absage. Derartige Veranstaltungen fielen nicht unter das Versammlungsrecht, da sie auf Privatgelände und auf Privatinitiative hin stattfänden. Die Ordnungsbehörden hätten im Vorfeld keine Kenntnis von dem Konzert gehabt. Er persönlich bedauere das.
Demokratiezentrum Oberschwaben macht Prävention
Stefanie Kruse vom Demokratiezentrum Oberschwaben als Mitveranstalter setzte sich auf das männerdominierte Podium und berichtete vom Angebot des Projekts. Das Demokratiezentrum Oberschwaben engagiert sich in Extremismusprävention, vor allem im Bildungsbereich, gibt Einführung in die Menschenrechte an Schulen, Vereinen und Jugendverbänden. Jugendgerecht aufbereitet informiert es über Demokratie, Diskriminierung, Rassismus, Geflüchtete und Antisemitismus.
Ein weiterer AfD-Mann monierte den Wirbel, der um fünf unbewaffnete Musiker gemacht werde. Deutschland sei ein Land mit eigener Sprache gewesen, werde nun aber zum Vielvölkerstaat. Auch hier schloss sich eine typische AfDler-Frage an: „Welche Gesellschaft wollen wir für unsere Enkel und Urenkel?“ Die Sorge in der Bevölkerung habe nichts mit Rechtsradikalismus zu tun.
200 Tote durch rechte Gewalt
Sebastian Lipp warf ein, dass es seit der Wiedervereinigung 200 Tote durch rassistische, homophobe und fremdenfeindliche Straftaten gab. Dies sei eine qualitativ und quantitativ völlig andere Dimension als linke Aktivitäten.
Joachim Sauter, Geschäftsführer des Kreisjugendrings Ravensburg, appellierte an die Anwesenden, gemeinsam Verantwortung für die Gestaltung der Gesellschaft zu übernehmen, speziell im Hinblick auf Kinder und Heranwachsende. „Packen Sie alle an der Baustelle Demokratie mit an.“ Moderator Sellmayr schloss die Veranstaltung mit den Worten: „…nicht nach dem Motto Schritt auf die Seite, dass der Freiwillige vor kann… “.
Fotos: © Norbert Kelpp, Allgäu rechtsaußen
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