Von Alfred Denzinger – Mannheim. Die Stuttgarter Online-Wochenzeitung Kontext hatte am 9. Mai 2018 darüber berichtet, dass ein politischer Mitarbeiter der AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum und Heiner Merz ein Neonazi sei. Anna Hunger, Kontext-Redakteuerin: „Kontext hat dem Gericht Facebook Chatprotokolle übergeben, die uns zugespielt wurden. Diese sind zweifelsfrei authentisch.“ Am Donnerstag, 2. August, gab es am Landgericht Mannheim ein mündliche Verhandlung: Der AfD-Mitarbeiter hatte eine einstweilige Verfügung beantragt. Am Freitagvormittag, 3. August, gab das Gericht der Klage gegen Kontext statt.
In der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Mannheim wird der Wochenzeitung verboten, einen rechtsextremen AfD-Mitarbeiter weiter beim Namen zu nennen und die Zitate aus seinen Facebook-Chats zu veröffentlichen. Kontext-Anwalt Markus Köhler betont in einer ersten Stellungnahme, er könne das Urteil „nicht nachvollziehen, weil die vollständigen Chatprotokolle dem Gericht vorgelegt worden sind. Daraus ergibt sich zweifelsfrei, dass diese authentisch sind“. Allerdings – so Köhler weiter – „hatte das Gericht schon im Vorfeld der mündlichen Verhandlung geäußert, dass es die Vorlage von 17 000 Seiten Chatprotokollen in einem Eilverfahren für nicht verarbeitbar hält.“ Hätte sich die Kammer intensiv mit den Chatprotokollen befasst, hätte sie nach Auffassung von Kontext ihre Zweifel überwinden können.
Der Zuschauerraum des Gerichtssaals war am Donnerstag mit rund 50 Personen vollständig gefüllt. Das Medieninteresse war besonders groß; es befanden sich zahlreich Journalisten im Saal.
In der mündlichen Verhandlung hat sich der AfD-Mitarbeiter G. auf eine eidesstattliche Versicherung berufen, in der er behauptet: „Diese unsäglichen Äußerungen, die Kontext mir zuschreibt, stammen nicht von mir.“ In den 17 000 Seiten Chatprotokollen soll es laut Kontext kein einziges Indiz für eine Manipulation geben. „Im Gegenteil“, sagt Kontext-Anwalt Markus Köhler, „sowohl Chatpartner wie G. greifen die Äußerungen in den weiteren Chatverläufen auf.“ Chefredakteurin Susanne Stiefel kommentiert: „G. hat vor Gericht gelogen.“ Dem Landgericht liegen zehn Leitz-Ordner vor, die G.s Facebook-Chatverläufe über vier Jahre umfänglich dokumentieren.
„Eröffnungsgag: Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“
Dieses Zitat stammt laut Kontext von G., Neonazi und Mitarbeiter der AfD-Abgeordneten Christina Baum und Heiner Merz im Landtag von Baden-Württemberg. G. sagt hierzu in einer eidesstattlichen Versicherung: „Diese Aussage stammt nicht vom mir.“ Hierzu sagt Anna Hunger, Redakteurin von Kontext: „Kontext weiß, dass das gelogen ist. Denn Kontext liegen die Facebook-Chatprotokolle von G. aus den Jahren 2013 bis 2017 vor.“ Darin äußere er sich gegenüber AfD-Funktionären, rechten Burschenschaftern und Neonazis eindeutig rassistisch, antisemitisch, menschen- und demokratieverachtend.
Einstweilige Verfügung gegen Kontext – Strafanzeige gegen Mitarbeiter der AfD-Landtagsabgeordneten
In der mündlichen Verhandlung schlug der Vorsitzende Richter Matthias Stojek den Streitparteien einen Vergleich vor. Diesen lehnte der Kläger ab, weil er auf einer Unterlassungserklärung von Kontext beharrte. Dies kam für Kontext nicht infrage. Kontext erstattete daraufhin Strafanzeige wegen falscher Versicherung an Eides statt.
Die Verhandlung endete zunächst ohne Urteil. Beide Parteien erklärten, nicht von ihren Standpunkten abzuweichen. Am Freitagvormittag, 3. August, gab das Gericht jedoch der Klage statt und erließ eine einstweilige Verfügung gegen Kontext.
„Herbe Niederlage für die Pressefreiheit“
Kontext will dieses Urteil respektieren, aber nicht hinnehmen und erwägt daher weitere juristische Schritte. Genaueres hänge von der Urteilsbegründung ab, die Kontext noch nicht vorliegt. Kontext-Chefredakteurin Susanne Stiefel sagt, dieses für die Zeitung negative Urteil sei eine „herbe Niederlage für die Pressefreiheit“. Jede Journalistin und jeder Journalist werde jetzt mit der juristischen Keule bedroht, wenn er über die AfD berichte. Die Redaktion werde aber weiter unbeirrt den Rechten auf die Finger schauen: „So sind wir angetreten, und das sind wir auch unseren LeserInnen schuldig.“
Kontext-Autorin Anna Hunger weist darauf hin, dass für diese Partei viele ausgewiesene Neonazis in Landtagen und im Bundestag säßen. Sie könnten ihre menschenverachtende und demokratiefeindliche Agenda weiter treiben, „wenn Ross und Reiter nicht mehr genannt werden dürfen“.
Für Kontext-Gründer Josef-Otto Freudenreich steht fest: „Wir werden weiter kämpfen. Mitstreiter sind herzlich willkommen“.
Nun müssen Grundsatzfragen geklärt werden
Zehn Aktenordner umfassen die 17 000 Seiten, die die Facebook-Chatverläufe dokumentieren sollen. Der Anwalt des AfD-Mitarbeiters G. betonte mehrfach, dass es sich dabei um Fälschungen handele.
Es stellt sich nun die Frage, ob das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht berührt beziehungsweise verletzt wird, wenn die Presse in der vorliegenden Form aus nicht öffentlichen Chats zitiert und berichtet. Gilt da das Recht am eigenen Wort? Richter Stojek stellte auch die Frage in den Raum, ob „das nicht wie ein heimlich abgehörtes Gespräch oder Telefonat“ zu behandeln sei. Gilt in derartigen Fällen das Beweisverwertungsverbot? Von den Antworten wird die zukünftige journalistische Verwertbarkeit von Chat-Protokollen abhängen. Auf die Hauptsachenverhandlung darf man daher sehr gespannt sein.
Richter Stojek geht von einem langjährigen Verfahren aus, das bis ins Jahr 2025 gehen könnte.
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