Von Andreas Scheffel – Stuttgart. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen drei Stadträte. Das gaben sie am Donnerstag, 9. August, bekannt. Ihnen wird Hausfriedensbruch vorgeworfen, weil sie eine Politiksendung in einer besetzten Wohnung drehten. Wohnen wird für viele unbezahlbar, da vor allem in den Großstädten die Mietpreise explodiert sind – so auch in der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart.
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Ende April wurde nach einer Kundgebung gegen Wohnungsnot zwei leerstehende Wohnungen in der Stuttgarter Wilhelm-Raabe-Straße besetzt (wir berichteten). Nachbarn und andere BürgerInnen im Stadtteil solidarisierten sich mit den AktivistInnen. Mehrere PolitikerInnen machten sich direkt vor Ort ein Bild. Es gab ein Hoffest und später Informationsveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen in Stuttgart.
An ihnen beteiligten sich auch die Stadträte der Fraktionsgemeinschaft „SÖS LINKE PluS“, gegen die nun ermittelt wird. Auch Gewerkschaften und andere Organisationen solidarisierten sich. Ende Mai wurden die Wohnungen zwangsgeräumt. Als BürgerInnen sich an Demonstrationen beteiligten, gerieten auch eine Nachbarin und ihre Familie ins Fadenkreuz der Wohnungseigentümerin. Sie kündigte das Mietverhältnis fristlos. Lokal, aber auch bundesweit wurde das Thema „Wohnungsnot und Leerstand“ nach den Hausbestzungen in Stuttgart diskutiert.
Juristisches Nachspiel für Stadträte
Die Besetzung der beiden Wohnungen in Stuttgart hat nun ein juristisches Nachspiel. Luigi Pantisano, einer der betroffenen Stadträte, informierte die Öffentlichkeit zunächst auf seiner Facebookseite über die Ermittlungen gegen seine Fraktionskollegen und ihn selbst. Auf Nachfrage erklärten Pantisano uns gegenüber: „Angezeigt worden sind wir von der Käuferin des Hauses aus London, nachdem wir in der Reihe ‚Rockpolitik‘ mit einer Aktivistin ein Interview aus der besetzten Wohnung zum Thema Wohnungsnot führten und es auf Facebook veröffentlichten. Dies teilte mir zunächst eine Ermittlerin der Staatsschutzabteilung telefonisch mit. Ich informierte anschließend meine Fraktionskollegen Tom Adler und Johannes Rockenbauch“.
Der Fraktionsvorsitzender Hannes Rockenbauch: „Mittlerweile liegt uns eine Mail der Ermittlungsbehörde vor, aus der ersichtlich ist, dass gegen uns drei Stadträte nach § 123 StGB Hausfriedensbruch ermittelt wird. Uns wurden die Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Stuttgart sowie die der Kriminalinspektion 6 (Anmerkung der Redaktion: Staatsschutz) vom Polizeipräsidium Stuttgart, mitgeteilt. Mehrfach informierten wir zum Thema ‚Wohnungsnot‘, aber auch zu anderen wichtigen Themen informierten wir die Öffentlichkeit in unseren Sendungen“, so der Stadtrat.
Kritik an einer Ausverkaufspolitik der Stadt
Der dritte Stadtrat, gegen dem ermittelt wird, ist Tom Adler. Er fand schon im Mai klare Worte zu Wohnungsnot und Leerstand: Mit den Wohnungsbesetzungen sei mit einem Paukenschlag geschafft worden, was jahrelang nicht gelungen sei: die Notlage auf dem Wohnungsmarkt zu verdeutlichen. Der notwendige Funke sei gezündet. Die Wohnungsnot sei durch die Stadtverwaltung hausgemacht. Im Jahr 1992 habe es in Stuttgart noch 22 000 Sozialwohnungen gegeben. Heute seien es nur noch etwa 14 500 Wohnungen, und die Zahl werde weiter vermindert.
Die Stadt müsse den Wohnungsbau anschieben. Sie müsse selber bauen und Wohnungen zu bezahlbaren Mieten anbieten, die sich alle leisten können. Genau das Gegenteil sei aber der Fall. Die Stadt betreibe eine Ausverkaufspolitik von Grund und Boden. Und letztlich müsse sie auch konsequent gegen den Leerstand angehen.
Solidarität mit den Stadträten
Nachdem die Stadträte die Öffentlichkeit über die Ermittlungen informiert hatten, solidarisierten sich viele BürgerInnen mit den Politikern. So schrieb ein User auf Facebook: „Wer in Zeiten von Wohnungsknappheit und Wuchermieten seine Wohnungen leer stehen lässt, bleibt unbehelligt. Wer aktiv wird und leerstehenden Wohnraum besetzt oder die Besetzung politisch unterstützt, der wird mit einer massiven Kriminalisierungswelle überzogen, so wie derzeit in Stuttgart.“ Und weiter: „Wohnen ist Menschenrecht. Leerstand, Mietenwahnsinn und Verdrängung stoppen.“
Sven „Gonzo“ Fichtner, Sprecher der Linksjugend [’solid] Stuttgart erklärte, „wir bekräftigen nochmals: Das wahre Verbrechen besteht darin, Häuser und Wohnungen für Spekulationen dem Wohnungsmarkt zu entziehen und Menschen auf die Straße zu setzen. Der Widerstand gegen den Leerstand in Stuttgart ist uneingeschränkt gerechtfertigt: Das schließt die Besetzung und das vor Ort informieren ein.“Fichtner weiter: „Wir fordern die sofortige Einstellung aller Ermittlungsverfahren. Wir rufen alle dazu auf, solidarisch zu sein, weitere Solierklärungen zu schicken und das Thema in die Gesellschaft und Stadtteile hineinzutragen.“
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