Von Andreas Scheffel – Stuttgart. Mitten im Sommerloch: Unter starker Polizeibegleitung bauten etwa 30 Anhänger der Identitären Bewegung (IB) am Samstag, 18. August, auf dem Stuttgarter Schlossplatz einen Infostand auf. Rund 80 AntifaschistInnen versammelten sich zum Protest in Sicht- und Hörweite. Am Ende gab es vier Platzverweise gegen linke AktivistInnen und mehrere Strafanzeigen gegen IB-Anhänger.
Am Rand des Informationsstandes wurde ein Fotograf der Beobachter News vor den Augen und Ohren von Polizeibeamten von einem IB-Aktivisten bedroht. Der Journalist erstattete noch vor Ort Strafanzeige wegen Beleidigung und Bedrohung. Es ist nicht das erste Mal, dass BN-Mitarbeiter von Neonazis angegangen und bedroht werden (siehe hierzu „Ein Angriff auf Pressevertreter ist keine Lappalie„).
Ende der Pressefreiheit erklärt – JournalistInnen-Verband interveniert
Am Zugang zur U-Bahn-Haltestelle Charlottenplatz erklärte ein Polizeibeamter die Pressefreiheit für beendet. Die kurze Begründung hierfür: „Das ist jetzt ein Sicherheitsbereich.“ Für die meisten Pressevertreter endete an dieser Stelle die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit. Eine Berichterstattung über die folgenden Ereignisse wurde dadurch weitgehend unterbunden.
Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di hat den Vorgang inzwischen aufgegriffen und erklärte auf ihrer Facebookseite: „Äh, nein, liebe Polizei: Grundrechte wie die Pressefreiheit lassen sich nicht so einfach außer Kraft setzen, im Ländle ebensowenig wie in Sachsen oder Hamburg und egal, ob G 20 oder Neonazis als Begründung dafür her halten sollen. Geht gar nicht und werden wir den Innenministern wohl mal wieder schriftlich geben müssen. Die Mitglieder der dju in ver.di bekommen in solchen Fällen natürlich Unterstützung von uns, außerdem sind wir dankbar, wenn uns solche Fälle immer auch direkt berichtet werden.“
- Ein Polizeibeamter erklärt …
- … die Pressefreiheit für …
- … beendet. Die kurze Begründung …
- … hierfür: „Das ist jetzt ein Sicherheitsbereich.“
Identitäre Bewegung unter Beobachtung
Die Identitäre Bewegung, die der AfD nahe steht, ist in Baden-Württemberg seit rund zwei Jahren unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Bisher war die Gruppe in Raum Stuttgart nur wenig aufgefallen. Vermehrt trat die Gruppierung vor allem in Tübingen, Ulm und zuletzt in Karlsruhe mit Aktionen in der Öffentlichkeit auf (wir berichteten). Doch nun traf es auch die Landeshauptstadt.
„Rassisten haben in Stuttgart nichts verloren“
Am späten Abend des 17. August war auf mehreren antifaschistischen Internetseiten zu lesen, dass die Identitäre Bewegung (IB) sich für Samstag auf dem Stuttgarter Schlossplatz angekündigt habe. Die extrem rechte, völkisch orientierte Organisation habe in Stuttgart nichts verloren, hieß es unter anderem. Die Rassisten hätten bewusst das Sommerloch gewählt – in der Hoffnung, auf wenig Protest zu stoßen.
„Rechte Ideen und ihre organisierten Formen seien immer ein Angriff auf die Mehrheit der Bevölkerung. Rechte wollen eine Gesellschaft der Spaltung und Unterdrückung. Dem setzten wir nicht nur Gegenprotest entgegen, sondern auch die Perspektive einer solidarischen und vernünftigen Gesellschaft“, so der Aufruf auf einer Facebook-Seite von AntifaschistInnen.
AntifaschistInnen lautstark und entschlossen
Mit Bannern, Transparenten, Sprechchören und Musik versammelten sich etwa 80 NazigegnerInnen zuerst in der wärmenden Vormittagssonne und später in der Mittagshitze auf dem Stuttgarter Schlossplatz. Mit Ausrufen wie „Nazis verpisst euch, keiner vermisst euch“ stellten sich die Protestierenden den Rechten in Sicht- und Hörweite entgegen.
Polizeibeamte trennten zunächst die verschiedenen Lager. Einzelnen AntifaschistInnen gelang es dennoch, näher an den Informationsstand der IB heranzutreten. Sie verteilten Flyer gegen die Rechten. Dabei kam es immer wieder zu verbalen Auseinandersetzungen. Die Polizei erteilte temporär und mündlich vier Platzverweise gegen Personen aus dem linken Spektrum. Zuvor hatte sie deren Personalien festgestellt.
- IBler von Polizei umzingelt
- Platzverweise…
- … für Antifaschisten
Verstoß gegen das Datenschutzgesetz
Von BeamtInnen umzingelt, hielten sich die IB-Anhänger zunächst zurück. Als sich einige BürgerInnen und AktivistInnen bedrängt fühlten und bei PolizistInnen über das wilde Filmen und Fotografieren der IBler beschwerten, antwortete ein Beamter zunächst: „Das machen doch alle hier“. Erst als Journalisten die BeamtInnen auf die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes hinwiesen, nahm die Polizei die Personalien eines IB-Filmers auf. Ein Journalist erstattete Strafanzeige. Das Foto- und/oder Filmmaterial des IBlers wurde allerdings nicht sichergestellt, und die Polizei unterband auch nicht weitere Filmaufnahmen des Mannes. Der Angezeigte filmte noch bis zum Abmarsch der unter den Augen der Polizei weiter.
- Die polizeiliche Aufnahme
- Und was weiter?
Rassisten unter Polizeischutz
In ihrer zweistündigen Aktion konnte die IB nur wenige Flyer unter die PasantInnen bringen. AntifaschistInnen sammelten die verteilten Flyer zunächst teilweise ein, um sie später zu entsorgen. Kurz darauf bauten die IB-Anhänger ihren Stand nach einem Posing für die Kamera ab. Anschließend mussten die jungen Rechten gut 30 Minuten unter Polizeischutz ausharren, bevor es für sie im Polizeispalier und unter lautstarker Begleitung von AntifaschistInnen in Richtung Charlottenplatz ging.
AntifaschtInnen lassen nicht locker
Ihr Infomaterial nebst Infostand konnten sie zunächst in einem „Van“ mit Karlsruher Kennzeichen auf halben Weg verstauen. Kurz darauf schien die Lage für einen Moment wegen abwertender Ausrufe gegen Geflüchtete doch noch zu eskalieren. Anschließend wurden die Neonazis und Hipster weiter unter Polizeischutz und ständiger Begleitung von AntifaschistInnen zur nahe gelegenen U-Bahnhaltestelle Charlottenplatz gebracht.
„Hier endet nun ihre Pressefreiheit“
Polizisten riegelten den Zugang zur U-Bahnstation Charlottenplatz hermetisch ab. Nur wenigen Journalisten gelang es, den Wanderkessel der Polizei mit den IBlern bis zum Bahnsteig zu begleiten. Ein Beamter hatte kurzerhand die Pressefreiheit am Eingang der U-Bahnstation außer Kraft gesetzt. Er erklärte den Eingangsbereich zu einer Sicherheitszone und teilte den anwesenden Journalisten mit: „Hier endet nun ihre Pressefreiheit.“ Sie beschwerten sich erfolglos.
Dem polizeilichen Lagezentrum Stuttgart war über die versuchte Aushebelung der Pressefreiheit nichts bekannt, erklärte es auf unsere Anfrage. Es sei nichts Schriftliches dokumentiert. Hier stellt sich nun auch die Frage, ob es der Stuttgarter Polizei wert erscheint, eine Pressemitteilung zu veröffentlichen, aus der hervorgeht, dass erneut ein Journalist bedroht wurde und Anzeige erstattete. Abzuwarten bleibt auch, ob die Aushebellung der Pressefreiheit thematisiert und begründet wird. Bis zur Veröffentlichung des Artikels, hatte die Stuttgarter Polizei keine Pressemitteilung zu den Vorgängen von Samstag veröffentlicht.
Qualitativer Journalismus geht anders
Die „Stuttgarter Zeitung“ veröffentlichte einen inhaltlich falschen Artikel über die Strafanzeigen. „Außerdem nahm die Polizei zwei Anzeigen von Rechten wegen Beleidigung und dem Verdacht der Bedrohung auf“, berichtete sie. Tatsächlich hatte die Polizei vier Platzverweise gegen linke AktivistInnen ausgesprochen, und es gab zwei Strafanzeigen wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung und wegen Beleidigung und Bedrohung gegen IB-Anhänger – und zwar von einem Mitarbeiter der „Beobachter News“, nicht von rechter Seite.
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