Heidelberg. In einem Prozess vor dem Amtsgericht Heidelberg wurde am Freitag, 14. September, der 48-jährige Realschullehrer Michael Csaszkóczy von Richterin Glaser wegen „Hausfriedensbruch“ zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 80 Euro verurteilt. Der bekennende Antifaschist hatte sich im Mai vergangenen Jahres geweigert, das Foyer der Stadtbücherei zu verlassen, als die AfD eine Wahlkampfveranstaltung im benachbarten Hilde-Domin-Saal (benannt nach der jüdischen Dichterin) abhalten wollte (wir berichteten).
In der Begründung hieß es, Csaszkóczy habe als „Rädelsführer“ der linken Szene die Veranstaltung der AfD-Landtagsfraktion im Hilde-Domin-Saal der Stadtbücherei stören und verhindern wollen. Als ihm der AfD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Klos ein Hausverbot erteilt habe, hätten ihn fünf Polizisten über die Treppen tragen müssen. Dabei habe er keinen Widerstand geleistet.
Nur wenige Tage vor dem Verhandlungstermin sei ohne Begründung die Richterin des Amtsgerichts ausgetauscht worden. Rechtsanwalt Martin Heiming erklärte, dass hier ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des „gesetzlichen Richters“ vorliegen würde. Demnach müsse bereits vor einer Streitigkeit feststehen, welches Gericht und welcher Richter dafür zuständig sei.
Sicherheitsmaßnahmen wie bei einem Terror-Prozess
Der Gerichtsaal glich einer Festung. Die Durchsuchungsmaßnahmen der ZuschauerInnen am Eingang erinnerten an Terror-Prozesse: Zwei Personenschranken, Körperscanner, Taschen- und Körperdurchsuchungen, Personalienfeststellung und Einbehalte von Handys, Zeitungen und anderer persönlicher Gegenstände für die Dauer der Verhandlung.
Droht ein neues Berufsverbot?
Die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) teilt in einer Pressemitteilung mit, dass laut einem Bericht der Rhein-Neckar-Zeitung ein Abgeordneter des Kultusministeriums als zusätzlicher Prozessbeobachter geschickt worden sei, „um eventuelle künftige Disziplinarmaßnahmen gegen den als Lehrer arbeitenden Michael Csaszkóczy zu begründen“, so die AIHD. Das sei besonders bedrohlich, da gegen ihn bereits in den Jahren 2003-2007 vom Kultusministerium Baden-Württemberg ein Berufsverbot verhängt worden war, das der Verwaltungsgerichtshof Mannheim aber letztlich als Menschenrechtsverletzung aufhob.
Keine Zulassung von Entlastungszeugen
Die AIHD führt weiter aus, im Prozess habe sich die massive Vorverurteilung fortgesetzt. Es seien ausschließlich Zeugen der AfD und der Polizei gehört worden. Die Vernehmung anderer ebenfalls damals vor Ort anwesende ZeugInnen, darunter eine Heidelberger Stadträtin, habe das Gericht ohne weitere Begründung abgelehnt. Ebenso seien auch alle anderen Anträge der Verteidigung abgelehnt worden.
Csaszkóczy sei als „Rädelsführer“ (die Richterin soll tatsächlich permanent diesen diffamierenden Begriff benutzt haben) der gesamten Heidelberger Linken anzusehen. Deshalb sei für ihn Artikel 8 des Grundgesetzes (Versammlungsfreiheit) nicht anwendbar, weil es ihm ohnehin nicht nur um eine Störung, sondern in jedem Fall um eine Verhinderung der Verhandlung gegangen sei. Einziger Beleg dafür sei ein Satz gewesen, an den sich ein Polizeibeamter nach anderthalb Jahren plötzlich erinnert haben soll, obwohl er in keinem Protokoll und auch in der Anzeige nicht aufgetaucht sei.
Ist der Widerspruch gegen die AfD kriminell?
Nachdem die Richterin den Polizisten mehrfach gefragt habe, ob der Angeklagte nicht vielleicht gerufen habe „wir wollen die Veranstaltung verhindern“, habe der Beamte schließlich wörtlich gesagt: „Ja, doch, ich bin mir ziemlich sicher, dass er das meiner Erinnerung nach gerufen hat“. Für die Richterin sei das Grund genug gewesen, Csaszkóczys Angaben als widerlegt anzusehen und sämtliche weiteren Zeugenvernehmungen abzulehnen.
Für die AIHD steht fest, „dass das Heidelberger Amtsgericht hier nicht Recht sprechen, sondern ein Zeichen setzen wollte, dass jeder Widerspruch gegen die neuen Faschisten kriminell ist“. Dies sei auch für alle ProzessbesucherInnen offensichtlich gewesen.
Csaszkóczy wird in Berufung gehen.
Siehe auch Hausfriedensbruch als Zuschauer bei öffentlicher AfD-Versammlung?, AfD-Versammlung hat ein Nachspiel, „AIHD: Stadt zeigt „geradezu groteskes Rechtsverständnis““ und „AntifaschistInnen fluten AfD-Veranstaltung„
Wir dokumentieren nachstehend die gerichtliche Einlassungen von Michael Csaszkóczy:
„Für den 12. Mai 2017 war im Internet und auf Plakaten eine Wahlkampfveranstaltung der AfD angekündigt. Auf den Plakaten prangte deutlich lesbar der Zusatz „Die Bevölkerung ist herzlich eingeladen! Eintritt frei!“.
Diese Wahlkampfveranstaltung wollte ich besuchen und dokumentieren. Ich finde es wichtig, sehr genau hinzuschauen, wie sich die AfD entwickelt, welche Positionen sie vertritt und welche Kontakte sie pflegt. Das, was heute offen zu Tage tritt, nämlich der offene Schulterschluss mit rassistischen und neonazistischen Gruppierungen und die Unterstützung und Verharmlosung fremdenfeindlicher Gewalt und rassistischer Ausschreitungen, zeichnete sich auch vor anderthalb Jahren schon ab, als fast alle Parteien noch den sogenannten „Dialog auf Augenhöhe“ mit der AfD propagierten. Deshalb war ich schon frühzeitig vor dem Hilde-Domin-Saal, wo die Veranstaltung stattfinden sollte. Im unteren Foyer war kein Hinweis auf die Versammlung, wohl aber ein Plakat, das die Fotoausstellung im oberen Foyer ankündigte. Auch im Internet war diese Ausstellung beworben mit dem Zusatz „Öffentliche Ausstellung, geöffnet bis 20 Uhr, Eintritt frei“.
Im Foyer habe ich mich auf einen dort stehenden Tische gesetzt und mich mit Frau Messer-Schillinger unterhalten, die ebenfalls auf den Beginn der Veranstaltung wartete. Irgendwann ist ein Mann zu uns gekommen, der sich offensichtlich den Veranstaltern zugehörig fühle und hat uns gesagt, dass der Saal gleich geöffnet würde. Man warte nur noch auf das Eintreffen des Sicherheitsdienstes, der Einlasskontrollen durchführen werde. Wir haben also weiter gewartet. Schließlich ist ein Mann auf mich zugekommen und hat mir eröffnet, ich hätte Hausverbot und müsste nun den Ausstellungsbereich im Oberen Foyer verlassen. Ich habe ihn gefragt, wer er sei und auf welcher Grundlage er mir ein Hausverbot erteilen wolle. Daraufhin stellte er sich mir als Rüdiger Klos vor. Er habe für die AfD nicht nur den Saal, sondern auch das Foyer angemietet, daher erteile er mir nun Hausverbot.. Ich habe erwidert, dass die angekündigte Versammlung eine öffentliche sei, genau wie der Raum der Stadtbücherei ein öffentlicher Raum ist.
Daraufhin kam der zwischenzeitlich eingetroffene Polizeibeamte Herr Jungkind zu mir und bestätigte sowohl den Sachverhalt als auch die rechtliche Einschätzung des AfD-Veranstalters. Auch er fordere mich nun polizeilicherseits auf, das Gebäude zu verlassen. Ich fragte ihn auf welcher Grundlage und er antwortete mir, es gehe nicht um ein mögliches Fehlverhalten meinerseits, sondern einzig um die Durchsetzung des Hausrechts. Ich entgegnete erneut, die Stadtbücherei sei ein öffentlicher Raum und die angekündigte Wahlkampfveranstaltung eine öffentliche Versammlung. Herr Jungkind drohte mir daraufhin die Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang an. Dann ließ er mich von mehreren Polizeibeamten über die Treppe hinaustragen.
Von irgendeiner Gefährdung, die von mir für die AfD-Versammlung ausgegangen wäre, war nicht die Rede. Eine solche Annahme wäre auch völlig abwegig gewesen. Ich habe weder Flugblätter verteilt noch Transparente gehalten, schon gar nicht bin ich laut geworden, oder habe Parolen gerufen. Der einzige Grund, dass die Polizei mich im Verein mit der AfD aus der Stadtbücherei entfernt hat, war, dass ich für mein antifaschistisches Engagement in der Stadt bekannt bin und man die AfD vor jedem möglichen Widerspruch bewahren wollte. Das aber kann nicht die Aufgabe der Polizei in einer Demokratie sein. Wer öffentlich Wahlkampf betreibt, muss sich eben auch einer kritischen Öffentlichkeit stellen.
Kurz nachdem ich den Strafbefehl für meinen angeblichen Hausfriedensbruch erhalten hatte, hat die AfD Heidelberg einen Videofilm ins Netz gestellt. Darin wird mein Foto im Stil eines Fahndungsbildes gezeigt, unterlegt mit düsterer Musik und dem Hinweis, ich würde als führender Linksextremist nicht nur die Antifa steuern, sondern auch die bürgerlichen Parteien und die Redaktion der RNZ. In der Folge haben meine Familie und ich eine Fülle von Hass- und Drohmails erhalten. Ich kann nur hoffen, dass sich das Gericht heute nicht zum Handlanger dieses rechten Milieus machen lässt, das in Deutschland täglich mehr Oberwasser bekommt.
Schlusswort
Deutschland im September 2018, das sind wieder einmal die Bilder von grölenden Neonazis, die den Hitlergruß zeigen und Flüchtlinge durch die Straßen jagen. Wir alle haben die Aufmärsche in Chemnitz und nun auch in Köthen gesehen, die unter dem Vorwand von Trauermärschen ein bedrohliches Gebräu aus Angst, Hass und anderen niedrigen Instinkten auf die Straßen tragen. Man muss wohl blind sein – oder Verfassungsschutzpräsident – um nicht zu erkennen, dass sich hier eine besorgniserregende faschistische Mobilisierung mit brachialer Straßengewalt Bahn bricht. Das hat es in der Nachkriegsgeschichte leider schon oft gegeben: Nach der Wende, vor der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1996 und im Jahr 2000, in dem Schröder als Reaktion seinen „Aufstand der Anständigen“ ausrief. Es gibt allerdings einen großen Unterschied zu diesen Ereignissen der Vergangenheit: Diesmal marschieren an der Spitze der Bewegung Funktionäre und Abgeordnete einer Partei, die mit zweistelligen Ergebnissen in den Parlamenten sitzt und die sich darüber hinaus offensichtlich der Protegierung durch relevante Teile des Sicherheitsapparates erfreuen kann. In Chemnitz sind Höcke und Gauland Seite an Seite mit Hooligans, gewaltbereiten Nazis und stumpfen Rassisten marschiert und wurden anschließend sowohl von Innenminister Seehofer als auch von Verfassungsschutzchef Maaßen verteidigt.
Woran sich viele nicht mehr erinnern: Für diese Trauermarschmobilisierung gab es eine Blaupause bei uns in der Region: Die immer noch anhaltenden rechten Aufmärsche in Kandel. Ganz vorne mit dabei: Der heute hier Klage führenden Herrn Klos. In Kandel mobilisierte er ungeniert gemeinsam mit militanten Nazis und radikalen Rechten aller Schattierungen zu Aufmärschen, zu denen hunderte Flüchtlingsfeinde mit Bussen aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten. Er selbst nahm auch an einem solchen Aufmarsch teil.
Ein bestimmtes Milieu in der AfD wächst und gedeiht in einer verschwörungstheoretischen Filterblase. In diesem Milieu kann man den Holocaust ebenso leugnen wie den Klimawandel, vom der geplanten Umvolkung ebenso unwidersprochen reden wie von der jüdischen New World Order. Man bleibt in seiner Wahnwelt unter sich und will es bleiben. Argumentieren lässt sich tatsächlich nicht gegen den Irrsinn, den die AfD verbreitet. Aber gerade deshalb kann es nicht Aufgabe des Staates sein, sie vor jeder Konfrontation mit dieser Welt zu bewahren und vor kritischer Öffentlichkeit auch noch abzuschotten. Die Heidelberger AfD hat in der Vergangenheit wiederholt versucht, sich öffentliche Räume zu erschleichen, die in Wahrheit nur ihren internen Vereinszwecken dienen sollten. Das sollte sich weder die Heidelberger Öffentlichkeit noch die Stadtverwaltung gefallen lassen. Nicht umsonst hat es, nachdem ich am 12. Mai aus der Stadthalle getragen worden war, mehrere Stadtratssitzungen zu diesem Thema gegeben. Nicht umsonst sind danach die Mietbedingungen für die Stadtbücherei verändert worden. Und nicht umsonst hat sich im Vorfeld fast die Hälfte des Gemeinderates mit mir solidarisiert. Es geht jenseits aller politischen Streitigkeiten um eine Frage, die alle Demokratinnen und Demokraten angeht:
Wie gehen wir mit einer Partei um, die für sich demokratische Rechte einfordert, die gleichzeitig aber Demokratie und Menschenrechte bekämpft? Wie gehen wir mit einer Partei um, die Öffentlichkeit für sich reklamiert, aber sobald sie mit Widerspruch konfrontiert wird, jede Öffentlichkeit verhindern möchte?
In der deutschen Geschichte hat sich diese Frage schon einmal gestellt. Damals haben Staat und Gesellschaft schmählich versagt.
Ich hatte das große Glück, mit dem jüdischen Resistancekämpfer Peter Gingold befreundet sein zu dürfen. Er hat uns immer wieder gesagt: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Gegner der Nazis ihren Streit untereinander zurückgestellt und gemeinsam gehandelt hätten. Dass dieses gemeinsame Handeln nicht zustande kam, dafür gab es für die Hitlergegner in der Generation meiner Eltern nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung, heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern!“
Den Faschismus verhindern bedeutet für mich, frühzeitig die öffentliche ständige und standhafte Auseinandersetzung mit der AfD zu führen. Ich möchte mir nicht vorwerfen lassen, vor der AfD aus Feigheit oder Bequemlichkeit zurückgewichen zu sein.“
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