Von Lotta Thalmann – Kandel. In dem kleinen südpfälzischen Städtchen Kandel waren zum 1. September zwei Demonstrationen angekündigt. Dort trafen schließlich rund 300 Rechte und Neonazis auf etwa 200 NazigegnerInnen. Wie jeden ersten Samstag im Monat marschierte in der idyllischen Kleinstadt das rechtsradikale „Frauenbündnis Kandel“ mit ihrem „Führer“ Marco Kurz unter dem Motto „Migration und Sicherheit“ in der Lauterburger Straße auf. Die rechten Initiatoren sprechen von einem „Spaziergang“. Der „Führer“ der rechten Demonstration verlor die Nerven. Er brach aus seinem Demonstrationszug aus, stürmt in einen Innenhof eines Gebäudes und versucht augenscheinlich eine Person anzugreifen, die in eine Tröte blies. Die Polizei griff zwar ein, aber sie ließ den Angreifer die Demonstration als Versammlungsleiter weiter führen. Es gab weder eine Auflösung der Versammlung, noch einen Platzverweis, noch irgendeine andere sichtbare Konsequenz.
Die rassistischen „Spaziergänger“ sprechen noch immer von einem Gedenk- und Trauermarsch. Im Dezember 2017 wurde in Kandel die 15-jährige Mia von ihrem afghanischen Exfreund ermordet. Der traurige Fall erregt viel Aufsehen in der Öffentlichkeit, weil hier und anderen Orts („Kandel ist überall“) die von Flüchtlingen begangenen Morde von rechten bis nazistischen Gruppierungen instrumentalisiert werden, um für ihre rassistischen und völkischen Ziele zu werben. Zum Auftakt der rechten Kundgebung gab es Solidaritätsbekundungen und Applaus die Aktionen des rechten Mobs in Chemnitz.
Kandel soll nicht den Rassisten überlassen werden
Die andere Demo-Anmeldung kam vom Offenen antifaschistische Treffen (OAT) Karlsruhe mit der Ansage: „Wer schweigt stimmt zu – dem Rechtsruck entgegentreten“. Gemeinsam mit dem OAT Mannheim zeigten sie lauten, entschlossenen Protest in der Lauterburger Straße/Ecke Bahnübergang in relativer Hör- und Sichtweite zu den Rechten. In einer Rede wurde mahnend an die Szenen in Chemnitz erinnert, in der hunderte extrem Rechte, Hooligans und Neonazis jagt auf MigranntInnen, JournalistInnen und Linke machten. Hier in Kandel würde die rechte Szene auch unterschätzt und verharmlost. Es sei bereits zu gewalttätigen Übergriffen auf GegendemonstrantInnen gekommen, führten die Veranstalter aus (siehe hierzu „Polizei ermittelt wegen Körperverletzung„). Das aktive Untergraben jeglichen antifaschistischen Widerstands sei der Grund dafür, dass sich Marco Kurz und sein Bündnis in Kandel festgesetzt habe. Kandel dürfe nicht den Faschisten überlassen werden, sonst käme es irgendwann zu Szenen wie in Chemnitz, erklärte ein Redner.
Als Kurz mit seiner Gefolgschaft seine Demonstrationsroute mit mehreren Kundgebungen statt durch das Stadtinnere, in der so genannten Siedlung abmarschierte, hatten AnwohnerInnen deutliche Zeichen der Ablehnung gezeigt. Mit Flatterband abgegrenzte Hofeinfahrten. Unzählige Plakate, Transparente in allen Höhen und Tiefen mit Aussagen wie „Ihr seid nicht willkommen in UNSERER Straße“, „Ich bin Kandel – ihr nicht“, „Kandel ist bunt, nicht braun“.
Rechte fühlten sich gestört
Empfindlich gestört fühlten sich die rechten „Spaziergänger“ am Rande ihrer Route offenbar durch eine Geburtstagsfeier in einem Innenhof. Dort gab es Livemusik und die Gäste zeigten sich lautstark an der der Hofeinfahrt und teils auf dem Bürgersteig mit ihren Tröten, Vuvuzelas, Trillerpfeifen. Es wurden antifaschistische Parolen skandiert und Fahnen vom „Männerbündnis“, von der „Kurfürstlichen Kurpfälzischen Antifa“, aber auch von der IG Metall und von „Kandel gegen Rechts“ wurden geschwenkt. Auch die ortsansässige Politik schaute teilweise auf der Geburtstagsfeier vorbei.
Die Polizei startete mit einem Großaufgebot und riegelte die Örtlichkeit der Geburtstagsgesellschaft mit Polizeiautos von der Straße her ab. Da es sich um Privatgelände handelte, war der Protest polizeilich nicht zu unterbinden. Eine Anmeldung zur Eilversammlung außerhalb des Innenhofs wurde von der Polizei abgelehnt und die protestierenden Menschen wurden zurückgedrängt. Die Beamten filmten den Protest der Geburtstagsgäste ohne jegliche Begründung. Die Erkennungsnummern von einigen Polizeibeamten waren nicht sichtbar. Trotz der Kennzeichnungspflicht in Rheinland-Pfalz eine Praxis, die in Kandel immer wieder zu beobachten ist. Wiederholte Hinweise von DemonstrantInnen auf den Verstoß wurden von den Beamten ignoriert. Keiner der angesprochenen Polizisten änderte daran etwas, ein Einsatzleiter war angeblich nicht zu sprechen.
Ordentliche Arbeit und Protest gegen Neonazis
Samstags wird in den Toreinfahrten und den Höfen ordentlich gearbeitet. Es wurde gefräst und gesägt. Entlang der gesamten Straße gab es starken und lauten Protest der KandelerInnen, der Partei DIE PARTEI und „Wir sind Kandel“ mit Tröten und Musik. Ein sichtlich betrunkener Neonazi versucht ein Banner von der Hauswand zu reißen. Seine Personalien wurden von der Polizei aufgenommen. Ein Anwohner erstattete Strafanzeige. Anschließend durfte der Täter weiter bei der rechtsradikalen Demonstration mitlaufen. Er erhielt keinen Platzverweis.
„Führer“ verliert die Nerven
In der Birkenstraße verlor Versammlungsleiter Marco Kurz schließlich die Nerven. Er brach aus seinem Demonstrationszug aus, stürmt in einen Innenhof eines Gebäudes und versucht augenscheinlich eine Person anzugreifen, die in eine Tröte blies. Die Polizei griff zwar ein, aber sie ließ den Angreifer die Demonstration als Versammlungsleiter weiter führen. Es gab weder eine Auflösung der Versammlung, noch einen Platzverweis, noch irgendeine andere sichtbare Konsequenz.
Alle sind gleich, nur manche sind gleicher?!
Offensichtlich geht die Polizei sehr unterschiedlich bei Zwischenfällen auf Demonstrationen vor. Es sieht ganz so aus, als ob es für die Polizeiführung einen Unterschied macht, ob es sich um einen antifaschistischen, oder um einen rechtsradikalen Protest handelt. Sieben AntifaschistInnen wollten in der Nähe der Route der Neonazis ihren Protest kundtun. Sie wurden von der Polizei gestoppt. Es wurde ihnen verboten zu rauchen. Begründung der Polizei: Von dem „Feuer“ gehe für die Polizisten eine Gefahr aus. Zwei Anmeldungen für Eilversammlungen wurden abgelehnt. Beim Abzug der NaigegnerInnen erfolgten plötzlich ausgiebige Personenkontrollen. Gewahrsamnahmen wurden von der Polizei für den Fall angedroht, dass die Ausweise nicht unverzüglich gezeigt würden. Es gibt Strafverfahren wegen angeblicher Vermummungen und Störungen gegen die NazigegnerInnen. Zudem gab es einen schriftlichen Platzverweis für das gesamte Stadtgebiet. Strafanzeigen wegen Beleidigung eines Polizisten („Stinkefinger“) und benutzen eines Megafons.
Der Versammlungsleiter der rassistischen Demonstration erstattete Strafanzeige wegen Körperverletzung durch Vuvuzelas, Megafon und eine zur „Pressluftwaffe“ umfunktionierte Tröte. Darüber hinaus wegen angeblicher Sachbeschädigung – das Stromkabel des Lautsprecherwagens soll durchgeschnitten worden sein.
Am Montag, 3. September, verurteilte das Landgericht Landau Abdul D. wegen Mordes an Mia zu achteinhalb Jahre Gefängnis. Die rassistischen Aufmärsche laufen weiter.
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