Von Anne Hilger – Stuttgart. Als sich im Juli 2017 die wichtigsten Staats- und Regierungschefs zum G20-Gipfel in Hamburg trafen, schlossen Bundespresseamt und BKA 32 Journalistinnen und Journalisten von der Berichterstattung aus – so auch Alfred Denzinger, den Chefredakteur der Beobachter News. Ein schwerer Eingriff in die Pressefreiheit, dessen juristische Aufarbeitung noch andauert. Am 19. Oktober wird in der Manufaktur in Schorndorf eine Fotoausstellung betroffener Journalisten eröffnet. Inzwischen hat der Landes-Datenschutzbeauftragte Dr. Stefan Brink die sechs Fälle mit Bezug zu Baden-Württemberg untersucht und dem Innenausschuss des Landtags seinen Abschlussbericht vorgestellt. Sein Fazit: „Es besteht Handlungsbedarf.“
Der Stab des Landesdatenschutzbeauftragten hat zwar „im Ergebnis keine Belege dafür gefunden, dass Akkreditierungen aufgrund Fehlverhaltens baden-württembergischer Sicherheitsbehörden zu Unrecht entzogen wurden“, heißt es in dem am 19. September veröffentlichten Abschlussbericht. Doch Dr. Stefan Brink führt eine Reihe von Kritikpunkten an und fordert vom Gesetzgeber für die Zukunft klare Regelungen für Sicherheitsüberprüfungen, außerdem transparente Dokumentationspflichten für das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV).
Verfassungsschutz und INPOL lieferten Daten
Der Landesverfassungsschutz hatte Daten über alle sechs Journalisten gesammelt. Vier von ihnen hatten auch Einträge in polizeilichen Datenbanken. Das BKA (Bundeskriminalamt) griff bei seinen Recherchen auf das polizeiliche Informationssystem INPOL zu, in das auch baden-württembergische Dienststellen Daten einspeisen.
Der Bundesverfassungsschutz forderte in vier der sechs Fälle vom baden-württembergischen Landesamt direkt ein ausdrückliches Votum an und gab ihm dafür zwei Tage Zeit. In allen vier Fällen teilte das LfV mit, dass aus seiner Sicht „aufgrund eigener Erkenntnisse sicherheitsbehördliche Bedenken“ bestünden.
Löschfristen missachtet
Die Kritik des Landesdatenschutzbeauftragten: Einige der beim LKA untersuchten Fälle gehörten „offensichtlich nicht ins Informationssystem INPOL“. Dort dürften nur Fälle mit länderübergreifender Relevanz eingespeichert werden. Das sei „bei Straftaten wie Beleidigung, Hausfriedensbruch oder der Verletzung des Rechts am eigenen Bild jedenfalls ohne besondere Begründung nicht anzunehmen“.
Außerdem sei in einigen Fällen die Löschfrist nicht beachtet worden. Sie betrage drei Jahre in Fällen von geringer Bedeutung – und führe „im Falle der Nichtbeachtung durch sogenannte Mitzieheffekte dazu, dass auch weitere an sich gebotene Löschungen unterbleiben“.
Rechtswidrige Datenspeicherungen in INPOL
„Besondere Beachtung“ verdiene ein weiterer Kritikpunkt: „Im polizeilichen Informationssystem INPOL werden auch solche Taten gespeichert, die zwar Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren waren, die aber später eingestellt wurden oder in denen sogar ein Freispruch erfolgte.“
Die Speicherung eines (ursprünglich) Tatverdächtigen setze nach den Vorschriften des BKA-Gesetzes eine polizeiliche Wiederholungsprognose voraus, die „auf den Einzelfall bezogene, schlüssige und verwertbare Tatsachen“ aufführen müsse, um eine Fortspeicherung zu rechtfertigen: „Daran fehlte es in den untersuchten Fällen, weswegen eine Reihe von Datenspeicherungen in INPOL rechtswidrig waren.“
„Verfahrensweise nicht akzeptabel“
Brink zieht nicht in Zweifel, „dass die fachlichen Einschätzungen im Ergebnis regelmäßig zutreffen dürften“. Er moniert jedoch, dass das LfV „die tragenden Gründe für seine sicherheitsbehördlichen Bewertungen nicht schriftlich dokumentiert“ hat und sie so auch für den Datenschutzbeauftragten rechtlich nicht überprüfbar seien.
Mit dem Ausschluss von Journalisten aus solchen Veranstaltungen werde „tief in das Grundrecht auf freie Presseberichterstattung“ eingegriffen.“ Vor diesem Hintergrund halte Brink die geschilderte Verfahrensweise für nicht akzeptabel, heißt es in dem Bericht. Die Zuverlässigkeitsüberprüfung zur Akkreditierungsvergabe müsse gesetzlich geregelt werden, was sie bislang nicht ist.
Landeskriminalämter vernichten Daten
Auch frühere ARD-Recherchen hatten ergeben, dass die Entscheidungen auf einem toxischen Gebräu aus falschen und rechtswidrig gespeicherten Daten basierten. Das entspricht auch der Erfahrung des Chefredakteurs der Beobachter News Alfred Denzinger (siehe „BKA verunglimpft mit falschen Daten„). Viele der 32 betroffenen Journalisten gehen mit Unterstützung ihrer Gewerkschaften gegen den Entzug der Akkreditierung vor (siehe „Journalisten klagen wegen G20„). Einzelne Landeskriminalämter sind jetzt offensichtlich dabei, Beweismittel zu vernichten.
Ausstellung „Die Diskreditierten“
Elf der betroffenen Journalistinnen und Journalisten stellen auf Einladung von „Rems-Murr nazifrei!“ und des Clubs Manufaktur in Schorndorf Texte und Fotografien aus, die während ihrer Arbeit unter anderem rund um den G20-Gipfel entstanden (siehe auch „Die Datensammelwut trifft Hunderttausende„). Es sind Dokumente, für die sie sich immer wieder zwischen den Fronten bewegten.
Zum Auftakt der Ausstellung „Die Diskreditierten“ spricht Renate Angstmann-Koch, Tageszeitungsredakteurin und Mitglied im Landesvorstand der Deutschen JournalistInnen Union (dju) in Verdi, mit Alfred Denzinger. Beginn ist am Freitag, 19. Oktober, um 19.30 Uhr in der Manufaktur im Hammerschlag 8 in Schorndorf.
Die Ausstellung läuft bis zum 8. November 2018. Die ausstellenden Journalistinnen und Journalisten sind Florian Boillot, Po-Ming Cheung, Alfred Denzinger, Willi Effenberg, Chris Grodotzki, Rafael Heygster, Björn Kietzmann, Simon Poelchau, Julian Rettig, Christian Spicker und Elsa Koester.
Unsere bisherigen Beiträge zum Thema:
Angriff auf die Pressefreiheit
Untersuchung gegen Sicherheitsbehörden angeordnet
Fehlerhafte Angaben, Verwechselungen und offensichtlich rechtswidrige Datenspeicherungen
BKA verunglimpft mit falschen Daten
Die Datensammelwut trifft Hunderttausende
Verdi fordert Kurswechsel der Sicherheitsbehörden
Unsere komplette Berichterstattung zum G-20-Gipfel 20017 gibts hier!
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