Von unseren ReporterInnen – Köln. Recep Tayyip Erdogan gehört nicht auf ein Staatsbankett, sondern vor den Menschenrechtsgerichtshof in Den Haag, um sich für seine Verbrechen zu verantworten: Das forderten viele, die am Samstag, 29. September, in Köln gegen den Besuch des türkischen Staatspräsidenten demonstrierten – und ebenso gegen den ehrenvollen, geradezu devoten Empfang, den die Bundesregierung dem Autokraten bereitete. Zur größten angemeldeten Protestkundgebung auf dem Gelände der Deutzer Werft kamen jedoch statt der erwarteten 10 000 TeilnehmerInnen nur bis zu 2000.
Am dritten Tag seines Deutschland-Besuchs reiste Erdogan mit seinem Tross nach Köln, um mit einer Art Staatsakt die neue Ditib-Zentralmoschee in Ehrenfeld zu eröffnen. Das städtische Leben war am Samstag über weite Strecken lahmgelegt. Immer wieder gab es Verkehrssperrungen, rasten Autokolonnen und Mannschaftswagen der Polizei mit Blaulicht durch die leeren Straßen. Insgesamt waren 10 Demonstrationen angemeldet – unter anderem zum Thema Tierschutz – und etwa 4000 Polizisten im Einsatz.
Die Stadt Köln hatte die geplante Eröffnungsfeier unter freiem Himmel untersagt, weil die Ditib kein schlüssiges Sicherheitskonzept vorlegen konnte. Nur 500 geladene Gäste sollten vereinbarungsgemäß in der Moschee Platz finden, so die Ankündigung. Tatsächlich wurden es dann 1100, bestätigte die Polizei dem WDR.
20 000 kamen zur Moschee
Dennoch fanden sich schon ab dem frühen Morgen im Umfeld der Moschee mehrere Hundert Erdogan-Unterstützer an den Polizeisperren ein. Viele versuchten, in die Moschee zu gelangen. Als Erdogan eintraf, hielten sich nach Polizeiangaben an den Absperrungen etwa 20 000 Menschen auf. „Wir sind Deine Armee, Du bist unser Kommandant“ sollen Erdogan-Anhänger gerufen haben. Das berichteten Augenzeugen auf Twitter.
Es habe einzelne Straftaten und Versuche gegeben, Andersdenkende an ihrer Meinungsäußerung zu hindern, erklärte die Polizei. Offenbar gab es auch den Versuch türkischer Sicherheitskräfte, eine Flatterbandabsperrung entlang der Inneren Kanalstraße einzuziehen. Das hätten Einsatzkräfte unterbunden.
Normalisierung der Beziehungen unmöglich
Während Erdogan mit seinem Tross auf dem Weg vom Flughafen nach Ehrenfeld war und ein Hubschrauber über der Moschee kreiste, sprach auf dem Gelände der Deutzer Werft Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken. Bitter mahnte sie die vom früheren Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) im Bundestags-Wahlkampf 2017 versprochene „Neuausrichtung der deutschen Türkeipolitik“ an. Sie sei mit dem Empfang Erdogans am Vortag in Berlin mit militärischen Ehren, dem Ausnahmezustand, Sonder-Beflaggung und einem Staatsbankett offiziell beerdigt worden.
Es sei eine Schande, jemandem den roten Teppich auszurollen, der immer noch in seinen Gefängnissen deutsche Staatsbürger als Geiseln festhält, gegen die demokratische Opposition vorgeht, 150 Journalisten inhaftiert hat, Krieg gegen die Kurden führt und an der Seite islamistischer Gruppe die Nachbarländer überfällt: „Normalität kann es in den Beziehungen erst wieder geben, wenn die Verhältnisse in der Türkei wieder normal sind“, stellte Dagdelen klar.
„Ditib ist gemeingefährlich“
Als Staatsgast habe Erdogan eine Reihe von Provokationen im Gepäck mitgebracht – angefangen mit einem von ihm verfassten Artikel in der „Frankfurter Zeitung“ voller Lügen. Seit Jahren lasse er auch in Deutschland seine Gegner von Agenten des türkischen Geheimdienstes ausspionieren. Auch der Charakter des Moscheeverbands Ditib sei inzwischen klar: „Ditib ist keine Religionsgemeinschaft, sondern der lange Arm von Erdogan. Sie ist nicht gemeinnützig, sondern gemeingefährlich.“
Das Schlimmste sei, dass sich die Bundesregierung mitschuldig an Erdogans Verbrechen mache. So habe Bundeskanzlerin Angela Merkel einen „Technologietransfers“ angekündigt, der eigentlich Projekten der Rüstungsindustrie, etwa von Rheinmetall, dient: „Keine Waffen, kein Cent, keine Panzerfabrik an Erdogan“, forderte Dagdelen.
„Erdogan stört friedliches Zusammenleben“
Ein Diktator, der veranlasst hat, dass sich sein ganzes Land zu einem offenen Gefängnis entwickelt, sei hier nicht willkommen, hatte die Landtagsabgeordnete der Grünen Berivan Aymaz zuvor erklärt. Erdogan gefährde auch das friedliche Zusammenleben in der Bundesrepublik und in Köln, halte den früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas und Menschenrechtsaktivisten gefangen.
Wer selbst Fluchtbewegungen verursacht, könne niemals Partner in der Flüchtlingspolitik sein. Daher richte sich der Protest auch gegen die Bundesregierung, stellte Aymaz klar.
„Erdogan verbreitet Terror“
Unter den vielen weiteren Rednern waren der Journalist und Schriftsteller Ahmet Nesin, der in Deutschland im Exil lebt, und der Jurist Prof. Norman Paech. „Die Liste Ihrer Verbrechen ist lang“, hielt er dem Autokraten vor. Seit dem 2. Juli 2015 gebe es wieder einen mörderischen Krieg in Kurdistan. Gnadenlos habe Erdogan auf Zivilisten schießen lassen, ihre Häuser und die Infrastruktur ihrer Dörfer und Städte zerstört.
„Das sind Kriegsverbrechen“, erklärte Paech: „Statt zu einem Staatsbankett in Berlin gehören Sie vor den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.“ Nicht die PKK verbreite Terror, wie die türkische Regierung behauptet, sondern Erdogan selbst.
Stadt untersagt Demonstration
Die TeilnehmerInnen der Kundgebung „Erdogan not welcome – keine schmutzigigen Deals mit der Türkei“ hatten sich seit den kühlen Morgenstunden auf der Deutzer Werft versammelt. Es gab nur stichprobenartige Rucksack- und Taschenkontrollen. Unter anderem hatten kurdische und jesidische Organisationen zum Protest aufgerufen, ebenso linke Parteien und Organisationen, dazu Antifa-Gruppen.
Die Stadt hatte die eigentlich geplante Demonstration im Anschluss untersagt – angeblich, da das genaue Besuchsprogramm Erdogans bis zuletzt nicht klar gewesen sei. „Eine Farce“, fand ein Sprecher des gastgebenden Bündnisses von der Interventionistischen Linken.
Skandalöse Gleichsetzung
Er verlas auch die Demoauflagen. Es war untersagt, Bildnisse des Kurdenführers Abdullah Öcalan zu zeigen. Bisher sei nur das Porträt Adolf Hitlers verboten gewesen, sagte der Redner: „Egal, wie jemand zu Öcalan steht – diese Gleichsetzung ist ein Skandal.“
Es war auch untersagt, Fahnen der YPG zu zeigen. Insgesamt waren Flaggen und Embleme von 25 Organisationen verboten, erklärte der Sprecher. Aus Solidarität wollten auch alle anderen Organisationen auf ihre Flaggen verichten – eine Verabredung, die weitgehend eingehalten wurde. Nur die MLPD und die DKP hielten sich nicht an sie.
Einige tanzten sich warm
Da die Polizei Einwände gegen den Standort der bereits aufgebauten Bühne hatte, mussten die Veranstalter improvisieren. Der Treppenabgang zur Deutzer Werft diente schließlich als Ersatz. Bis es soweit war, überbrückte die MLPD die Zeit mit dem Angebot, am „offenen Mikrofon“ zu diskutieren. Vereinzelt wurde auch getanzt, um sich aufzuwärmen.
Auf die Eröffnung der Kundgebung um 12 Uhr folgte eine lange Reihe von Redebeiträgen – teils auf Deutsch, überwiegend jedoch auf Kurdisch oder Türkisch und meist ohne Übersetzung. Immer wieder wurde an die in türkischen Gefängnissen inhaftierten oder suspendierten Oppositionellen, Journalisten, Richter und Akademiker erinnert, ebenso an die Opfer des Vorgehens der AKP-Regierung gegen die kurdische Bevölkerung.
Musikalische Erinnerung an Kobane
Dazwischen gab es auch immer wieder Musik. Der Sänger Cansu erinnerte an den Überfall auf Kobane. Die Stadt sei jedoch nicht gefallen. „Die Zerschlagung des islamischen Staats war gleichzeitig die größze Niederlage Erdogans“, erklärte er, ehe er das „Einheitsfrontlied“ und „Bella ciao“ in vier Sprachen anstimmte. Großen Beifall erhielt auch die Grup Umuda Haykiris. Während sie sang und spielte, bildete sich ein stetig größer werdender Kreis von Tänzerinnen und Tänzern.
Videos
Die neue Ditib-Zentralmoschee in Ehrenfeld
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