Gießen. Die Gießener Ärztin Kristina Hänel wurde trotz verfassungsrechtlicher Bedenken vom Landgericht Gießen am Freitag, 12. Oktober, wegen „Werbung für Abtreibungen“ verurteilt. Das Gericht bestätigte damit das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts vom November 2017. Richter Johannes Nink folgte dem Antrag von Staatsanwalt Christian Bause und verurteilte die Ärztin zu 6000 Euro Geldstrafe, weil Hänel auf ihrer Homepage über Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs informiert hatte. Die Ärztin erklärte, dass auch gegen dieses Urteil juristisch vorgehen werde und notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen werde. Jetzt wird Hänel in Frankfurt mit dem Olympe-de-Gouges-Ehrenpreis der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen im Bezirk Hessen-Süd ausgezeichnet. Mit der Ehrung wollen die SPD-Frauen Hänels Engagement für eine Abschaffung des umstrittenen Strafrechtsparagrafen 219a, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, würdigen.
Die Verleihung des Olympe-de-Gouges-Ehrenpreises soll am Sonntag, 21. Oktober, in der Evangelischen Akademie in Frankfurt erfolgen. Die Gießener Oberbürgermeisterin, Dietlind Grabe-Bolz (SPD), soll die Laudatio halten.
Solidaritätskundgebung für Kristina Hänel
In den frühen Morgenstunden versammelten sich vor dem Gießener Landgericht vor Prozessbeginn über 200 Menschen. Sie solidarisierten sich mit der Medizinerin. An der Kundgebung beteiligten sich auch drei weitere Ärztinnen, die in einem ähnlichen Verfahren angeklagt sind. Die Gynäkologinnen Natascha Nicklaus und Nora Szàsz sowie Eva Waldschuetz hatten wie Hänel auf ihrer Homepage Schwangerschaftsabbruch als medizinische Leistung angeführt und waren deswegen angezeigt worden.
Der Medienansturm war groß, da der Fall Hänel bundesweit Aufmerksamkeit auslöste. Am Rande des Prozesses sorgten zwei Femen-Aktivistinnen für Aufsehen. Kurz nach Verhandlungsbeginn stürmten zwei Femen-Aktivistinnen das Gerichtsgebäude. Justizbeamte trugen die beiden Frauen aus dem Gebäude. Vor dem Eingang zum Gerichtsgebäude forderten die Aktivistinnen die Selbstbestimmung der Frau, Straffreiheit bei Schwangerschaftsabbrüchen und Freispruch für Kristina Hänel. Auf ihren nackten Oberkörpern stand „§ 219a – Stop war on women“ und „§ 218 – Mein Bauch gehört mir“.
Schluss mit der Kriminalisierung gefordert
Marjana Schott, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag, erklärte:
„Nun ist der Bundestag gefordert. Der Paragraf 219a wird von Abtreibungsgegnern genutzt, um Ärztinnen und Ärzte anzuzeigen und einzuschüchtern. Das heutige Urteil macht einmal mehr deutlich: Dieser Paragraf muss endlich abgeschafft werden. Ärztinnen und Ärzte, die sachlich über einen Schwangerschaftsabbruch informieren, dürfen nicht länger kriminalisiert werden. Geht es nach dem Willen von CDU/CSU auf Landes- und Bundesebene, soll diese Kriminalisierung weitergehen. Doch es gibt im Bundestag, jenseits von CDU/CSU und AfD, eine Mehrheit für die längst überfällige Abschaffung des Paragrafen.
Bisher haben CDU/CSU mit ihrem frauenfeindlichen Kurs die Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten ermöglicht. Damit muss jetzt Schluss sein. Es liegt nun an der SPD, mit dafür zu sorgen, dass der Paragraf 219a auf dem Müllhaufen einer zutiefst reaktionären Politik landet.“
Für die sofortige und ersatzlose Streichung des „Werbeverbots“
Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) hessischer kommunaler Frauen- und Gleichstellungsbüros fordert ebenfalls die „sofortige und ersatzlose“ Streichung des Paragrafen 219a und solidarisiert sich mit der Frauenärztin. Die Ärztin führe Schwangerschaftsabbrüche durch und informieren auf ihren Webseiten darüber. „Nach Anzeigen von sogenannten „Lebensschützern“ wertete das Gericht dies als Verstoß gegen § 219a StGB, das sogenannte „Werbeverbot“, und verurteilte Kristina Hänel. Die LAG beteiligte sich auch an der Kundgebung vor dem Landgericht. Weitere Informationen gibt´s hier.
Breite Forderung: Recht auf Selbstbestimmung von Frauen
Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) kritisierte in einem Offenen Brief an die Bundesregierung sowie die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD im Bundestag, der Paragraf 219a verhindere, „dass Ärztinnen und Ärzte ihren Beruf frei ausüben können“. Frauen seien dadurch der „Selbstbestimmung über ihren Körper und damit eines grundlegenden Menschenrechtes beraubt“. Auch der HVD fordert eine ersatzlose Streichung noch im laufenden Jahr. Der Offene Brief wurde von 26 weiteren Verbänden und Organisationen unterzeichnet.
Zur Info
Paragraf 219a StGB – Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.
(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird.
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