Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Der Wahlausgang in Bayern kam nicht überraschend. Schon vor den ersten Hochrechnungen war am Sonntag, 14. Oktober, klar, dass Grüne und AfD – wie zwei Wochen später in Hessen – Gewinner sein würden. Den bis zu 400 Menschen auf dem Stuttgarter Schlossplatz, die dem Kundgebungsaufruf eines breiten Bündnisses gefolgt waren, kam es am Wahlabend um so mehr darauf an, Flagge gegen den Rechtsruck zu zeigen. Es gehe weniger darum, die Verhältnisse in Bayern anzugreifen, als vor der eigenen Haustür zu kehren, sagte der Kolumnist Joe Bauer.
Nach der Versammlung zogen etwa 150 AfD-Gegnerinnen in einer Spontandemonstration zum „Milaneo“. Anhänger der Partei feierten in dem Bürokomplex direkt neben dem Einkaufscenter eine Wahlparty. Dort hat der AfD-Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel sein Wahlkreisbüro. Einsatzkräfte der Polizei begleiteten die Demonstrierenden, hielten sich jedoch zurück. Nach einer kurzen Kundgebung vor dem Bürogebäude löste sich die Versammlung auf.
Financiers der AfD-Wahlkämpfe sitzen in Degerloch
Zuvor hatte Joe Bauer auf dem Stuttgarter Schlossplatz daran erinnert, dass es Bayern waren, die zuletzt zu Zigtausenden auf die Straßen gingen, um gegen rechte Hetze, die fatale Wohnungsnot oder das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) zu demonstrieren. „Einen ähnlichen Massenprotest müssen wir hier in Stuttgart erst mal hinkriegen“, sagte Bauer. Er zeigte zum Neuen Schloss, einem „Denkmal des Feudalismus“, in dem Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) Vertreter des Adels empfing.
In Degerloch, dem Stuttgarter Stadtteil mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen, sei in der Julius-Hölder-Straße der Sitz des „Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten“, der Millionen von Euro in AfD-Wahlkämpfe gesteckt habe. „Die Spender werden verheimlicht, und das ganze läuft über diese Stadt“, empörte sich Bauer. Stuttgart selbst habe trotz des Einsatzes antifaschistischer Bürgerinnen und Bürger mehr als 73 Jahre gebraucht, um in diesem Winter die ehemalige Mord- und Terrorzentrale der Gestapo, das Hotel Silber, als Lern- und Gedenkort zu eröffnen.
„Unzählige Posten im Landtag“
Bauer empfahl, „als wichtigstes Mahnmal gegen den Faschismus“ den Landtag in unmittelbarer Nähe zu begreifen: „In diesem Parlament sitzen schon heute mehr völkische Nationalisten und Nazis als Sozialdemokraten“. Die AfD-Abgeordneten Stefan Räpple und Hans Peter Stauch seien Ende August zu den „Fascho-Krawallen“ nach Chemnitz gereist und hätten danach in elektronischen Medien den Satz veröffentlicht: „Falls ich später mal gefragt werden sollte, wo ich am 27. August 2018 war, als die Stimmung in #Deutschland kippte: Ja, ich war in #Chemnitz dabei!“.
Räpple bekleide „unzählige Posten“ im Landtag – unter anderem den des „Extremismus-politischen Sprechers“ der AfD-Fraktion. „Wollte er diesem Job gerecht werden, müsste er ununterbrochen über sich selber und seine rechtsextreme Partei sprechen“, sagte Bauer. Die heutigen Nazis hätten sehr wohl aus der Geschichte gelernt. Sie kopierten die Strategien ihrer Vorbilder. Bauer verwies auf das Denunziationsportal für Schüler und Eltern, das online gegangen sei, „ehe es anständige Menschen aus dem Internetz hackten“.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier habe die Vorgänge in Chemnitz mit den Worten gerechtfertigt, wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen könne, gingen die Menschen auf die Straße und schützten sich selber – „ganz einfach“. Bauers Fazit: „Wir müssen deshalb auf die Straße, um die Menschen vor den Frohnmaiers und Räpples zu schützen.“
Rechte Vordenker mit schwäbischem Akzent
In Stuttgart lebe man keinesfalls auf einer Insel der Glückseligen. Aus dem Landstrich kämen „stramme Führerfiguren“ wie der AfD-Vordenker Götz Kubitschek oder der Verleger des rechten Magazins „Compact“ Jürgen Elsässer. „Solche Typen mit schwäbischem Akzent gehören zum intellektuellen Adel der radikalen Rechten“, stellte Bauer klar.
„Schaut nicht zu lang nach Bayern, nach Sachsen und auf andere braune Brennpunkte. Wir haben hier in Stuttgart genug vor der eigenen Haustür zu tun“, forderte er seine ZuhörerInnen auf, den Rechten „mit Energie, Scharfsinn und Humor ihre Grenzen aufzuzeigen, um dadurch die Grenzen zu öffnen für Menschen, die Hilfe und Zuflucht brauchen“.
„Gemeinsamer Kampf für gerechte Gesellschaft“
Die politischen Protagonisten in Bayern hätten „durch Hetze und Propaganda und Repression“ auf sich aufmerksam gemacht: Mit diesen Worten hatte eine Rednerin die Versammelten im Namen des gastgebenden Bündnisses begrüßt. Man wolle ein Zeichen gegen Rassismus, Aufrüstung und Abschottung setzen, aber auch gegen Wohnungsnot, Altersarmut und den Pflegenotstand.
„Wir wollen für ein solidarisches Miteinander auf die Straße gehen und ein Zeichen setzen für eine Gesellschaft, in der wir gemeinsam entscheiden können, wie die Ressourcen verteilt werden“, erklärte sie. Die verschiedenen Redner seien mit ihren jeweiligen Schwerpunkten „Teil eines gemeinsamen Kampfes für eine gerechte Gesellschaft.“
„Gesellschaftliches Rollback kann alle treffen“
Eine Sprecherin des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (AABS) erinnerte an die Vorfälle in Chemnitz und ihre „dreiste Verharmlosung durch Teile der politischen Akteure und Medien“. Durch den Einzug in den bayerischen Landtag erhalte die AfD nun mehr Geld und Mitarbeiter. Unter ihnen befänden sich „regelmäßig stramme Nazis“, zeige ein Blick in andere Landtage. Es handle sich um einen „Strukturaufbau für Rechte“.
Der AfD gelinge es auch ohne direkte Regierungsbeteiligung, den Diskurs in den anderen Parteien nach rechts zu verschieben. In vielen Ländern seien Polizeigesetze verschärft worden. Wie das PAG sicherten auch Ankerzentren Bayern eine Spitzenposition der Repression und verschärften die Rechtsentwicklung. Gleichzeitig zeige diese Entwicklung, dass der Rechtsruck seit Jahren auf der Gesetzesebene forciert werde und nicht erst in Chemnitz begonnen habe: „Dort zeigt er nur seine hässliche Fratze auf der Straße.“ Die Rednerin betonte, dass nicht nur Migranten unter ihm zu leiden hätten, sondern fast alle: „Auf allen Seiten des persönlichen Lebens kann es sein, dass man vom gesellschaftlichen Rollback betroffen wird.“
„Es reicht für ein vernünftiges Leben für alle“
„Die Bayernwahl steht für eine Entwicklung der Politik, die immer mehr nach Rechts abdriftet, die Rechte der Menschen einschränkt und die Wirtschaft von den Zügeln lässt“, sagte ein Sprecher des Offenen Treffens gegen Krieg und Militarisierung (OTKM) Stuttgart. So seien mit den Hartz-Reformen viele neue Möglichkeiten entstanden, Menschen auszubeuten.
„Hören wir auf, uns spalten zu lassen. Wir haben alles in der Hand, was wir brauchen, um eine neue Gesellschaft aufzubauen“, appellierte er an seine ZuhörerInnen. Genau davor hätten „die Herrschenden Angst und werden alles tun, uns weiter zu unterdrücken“. Zunächst gehe es darum zu erkennen, „dass wir gar nicht so verschieden sind“. Alle hätten das Bedürfnis nach einer „vernünftigen Wohnung, genug zu essen, sicherer Arbeit und nach ein par anderen, ziemlich grundsätzlichen Sachen“.
„Ich bin mir sicher, das wir uns einig sind, dass das jedem Menschen auf der Welt zusteht“, sagte der Redner. Die BRD sei reich genug, um allen ein vernünftiges Leben zu bieten und dazu noch den Sechs-Stunden-Tag einzuführen. Er rief zu Solidarität und dazu auf, sich zu organisieren und für eine bessere und gerechtere Zukunft auf die Straße zu gehen. .
„Rechte Hetze wird salonfähiger“
„Wir sind alle heute hier, um uns gegen den Rechtsruck aufzulehnen, der gerade in den Bayernwahlen sichtbar wird“, sagte eine Sprecherin der Roten Hilfe, einer strömungsübergreifenden Solidaritätsorganisation für Menschen, die in Zusammenhang mit ihrer politischen Betätigung juristisch unter Druck geraten.
Das Problem seien nicht einzelne Parteien wie die AfD, sondern dass sie als Stichwortgeber fungierten: „Rechte Hetze wird nicht nur salonfähiger, sondern setzt sich auch in Gesetzen und in Regierungshandeln fort.“ Ein Beispiel sei das bayerische Polizeiaufgabengesetz PAG, das unter anderem präventives Wegsperren, Kommunikationsüberwachung oder die Entnahme von DNA ermögliche.
Solidarität als Antwort
Von solchen Verschärfungen seien besonders „migrantisch aussehende Personen“ betroffen. Schon jetzt seien sie alltäglich rassistischen Kontrollen ausgesetzt, „und Geflüchtete werden unter Generalverdacht gestellt“. Die Erfahrung zeige, dass Polizisten kaum Konsequenzen für ihr Handeln befürchten müssten: „Im Zweifel wird alles zurechtgebogen.“ Als Beispiel nannte sie den Protest gegen ein so genanntes „Frauenbündnis“ in Kandel, bei dem ein Demonstrant von einem Diensthund der Polizei mehrfach gebissen und schwer verletzt wurde (siehe Polizeihund verletzt linken Demonstranten schwer und Gefährliche Polizeihunde frei einsetzbar). Der Vorfall wird für den Diensthundeführer vermutlich folgenlos bleiben.
Das zeuge von Unverhältnismäßigkeit und immer wieder starker Repression gegen Linke einer „Repression, die auch Tote in Kauf nimmt. Das haben wir im Hambacher Forst gesehen“, sagte die Rednerin. Dort war ein Journalist tödlich verunglückt, als er einen Polizeieinsatz dokumentieren wollte und abstürzte. Das Beispiel Hambacher Forst zeige, „was der Staat bereit ist aufzufahren, um die Profite eines Unternehmens zu sichern“. Hoffnung mache, dass Zehntausende auf die Straße gingen wie etwa bei der Unteilbar-Demonstration in Berlin: „Wir beantworten rechte Hetze mit Solidarität.“
Zuletzt sprach ein Vertreter der „Revolutionären Aktion Stuttgart“ (RAS) – allerdings nicht persönlich, sondern nur per Video (siehe unten). Damit wolle man möglicher Repression entgehen, wurde erklärt.
Videos
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!