Von Andreas Scheffel und Alfred Denzinger – Schorndorf. Eine Vielzahl von Organisationen rief dazu auf, am Samstag, 10. November, in Schorndorf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus aufzustehen. Rund 1500 Menschen folgten dem Aufruf und kamen am Vormittag auf den unteren Marktplatz. Am Rande der Veranstaltung positionierten sich ein paar AfD-Anhänger mit provokativen Flyern und stellten Plakate auf.
Einer der AfD-Sympathisanten griff nach der Kamera des Journalisten und Herausgebers der Beobachter News, der das Geschehen dokumentierte. Aufmerksame Menschen entfernten die Plakate der AfD-Anhänger noch während der Veranstaltung. Der Einsatzleiter der Polizei empfahl, die AfDler von der Veranstaltung auszuschließen. Die Versammlungsleitung der Kundgebung folgte dem Rat jedoch nicht.
Im Vorfeld der Veranstaltung hatte der Aufruf der Initiatoren bei anderen Organisationen, die sich seit vielen Jahren im Rems-Murr-Kreis gegen rechte Hetze und Rassismus engagieren, für Unmut gesorgt (wir berichteten). Der Oberbürgermeister von Schorndorf, Matthias Klopfer, widersprach jedoch auf der Bühne dem Vorwurf, dass Organisationen ausgegrenzt worden seien.
Das Bündnis „Zusammen gegen Rechts Rems-Murr“ (ZGR), deren Mitglieder sich seit Jahren im Rems-Murr-Kreis gegen Rechts engagieren und nicht einbezogen worden war, zeigte dennoch Gesicht am Rande der Veranstaltung. Es verteilte Flyer zur Aufklärung über rechte Strömungen und über die „Extremismus-Theorie“. Mehrere Ordner der Veranstaltung versuchten, das zu verhindern, und griffen nach den Verteilern. Sie verteilten jedoch unbeirrt und ohne Gegenwehr weiter ihr Infomaterial.
AfDler nicht ausgeschlossen
Auf der Bühne traten der Oberbürgermeister, Flüchtlinge, Musiker, Pfarrer und das Schorndorfer Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus auf. Währenddessen versuchten AfD-Sympathisanten am östlichen Zugang zwischen Unterem und Oberen Marktplatz, mit provokativen Flyern und Plakaten die Veranstaltung, zu stören. Mehrere Personen, die die Provokation der AfDler nicht weiter unbeantwortet lassen wollten, stellten sich ihnen demonstrativ entgegen. Über das Agieren der Versammlungsleitung gegenüber KundgebungsteilnehmerInnen äußerten sie sich irritiert.
So soll sich der Versammlungsleiter eher schützend vor die AfD-Anhänger gestellt haben. Mehrere Personen, die das Verhalten des Veranstaltungsleiters verfolgten, reagierten empört. Sie berichteten unserer Redaktion, dass die Versammlungsleitung gegenüber KundgebungsteilnehmerInnen erklärt habe, „auch Rechte sind hier willkommen“. AfD-Provokateure seien bei der Kundgebung vom Veranstalter nicht ausgeschlossen worden, obwohl der Einsatzleiter der Polizei dazu geraten habe.
Rechter greift nach Kamera
Während ein Fotograf der Beobachter News das Geschehen und die Provokationen eines Mannes aus dem AfD-Umfeld dokumentierte, griff der Mann nach dessen Kamera. Im Beisein von Polizeibeamten reagierte der Journalist auf die Drohgebärden des rechten Provokateurs souverän und setzte seine Arbeit fort.
Schließlich zog der Unruhestifter frustriert von dannen. Nach Angaben von Kundgebungsteilnehmern störte der rechte Aufwiegler bereits bei Kundgebungen in Backnang. Einem Polizeibeamten zufolge soll er auch bei einer einschlägig rechtsradikalen Versammlung in Fellbach beteiligt gewesen sein. Gegenüber der Redaktion der Waiblinger Kreiszeitung (WKZ) soll der Mann erklärt haben, er sei von einer Antifa-Gruppe beschimpft worden. Auf der Internetseite des Offenen Antifaschistischen Treffens (OAT) sei er als „AfD-Spinner“ bezeichnet worden. Revierleiter Markus Jatzko soll den AfDler als provokativ beschrieben haben. „Er hat die Provokation gesucht“, erklärte er gegenüber der WKZ.
Jugendliche für mehr Toleranz und Teilhabe
Initiatoren der Veranstaltung war ein breites Bündnis – angefangen mit Oberbürgermeister Matthias Klopfer und dem Gemeinderat über Vereine, soziale Einrichtungen, Kirchen und Parteien bis hin zu Unternehmen und der IHK. Sie wollten ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus setzen. Mehrere Jugendliche, unter anderen von der „Jugendinitiative Schorndorf“, sprachen auf der Bühne von mehr Teilhabe in der Gesellschaft, Toleranz und Sicherheit. Vorurteilen über die Herkunft von Menschen müsse entschlossen begegnet werden.
„Jeder auf diesem Platz sollte mal in sich gehen und seinen persönlichen Familienstammbaum rekonstruieren. Wer kann da noch behaupten, deutsch zu sein?“, sagte Stefan, dessen Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen. Es dürfe nicht akzeptiert werden, „dass Rechte sich die Freiheit nehmen, das Deutschsein zu definieren“.
Fateme, deren Herkunft Afghanistan ist, sprach auch das Thema „Verbrechen von Flüchtlingen“ an: „Die meisten von uns lehnen das ab und sind anders.“ Aylar, die aus dem Iran stammt, erklärte: „Es gibt überall gute und schlechte Menschen. Trotzdem bin ich für viele eine Ausländerin und werde nach meiner Herkunft gefragt.“ Gisem, die türkische Wurzeln hat, wünsche sich absolute Chancengleichheit und „ein starkes und geeintes Schorndorf“.
ZGR kritisiert Extremismus-Theorie
In einer Pressemitteilung, spricht das Bündnis “Zusammen gegen Rechts“ von Ausgrenzung und kritisiert die „Extremismus-Theorie“. Der ZGR-Sprecher Tim Neumann bewertete das aufrufende bürgerlich-liberale Bündnis als „eher dubios“. Dubios deshalb, weil unter den aufrufenden Organisationen auch solche zu finden seien, die einem gemeinsamen und erfolgreichen Vorgehen gegen Rassismus und rechte Hetze eher feindselig gegenüberstünden. Problematisch seien auch Gruppierungen wie der Rotary-Club, der Erdogan-treue DITIB-Verband oder Arbeitgeberverbände. Auch kritisierte der Sprecher, dass das Bündnis „ZGR“ nicht eingeladen wurde.
Weitere Vorwürfe, richteten sich gegen das nichtöffentliche Einladungsschreiben: „Vor allem ging es im Einladungsschreiben um eine klare Abgrenzung nach Links“, stellte der ZGR-Sprecher klar. Die „Extremismus-Theorie“, derer sich auch einige Redner bedienten, sei spalterisch und falsch.
Hier zeigten sich die gravierenden Folgen der Verlagerung des Diskurses weiter nach rechts. Was für die gemäßigte Mitte akzeptabel sei, würde an den Extremen gemessen. „Wir als Bündnis „ZGR“ haben eine kurz und knapp gehaltene Broschüre über Rechtsextremismus und eine Vorstellung des Bündnisses auf der Kundgebung verteilt. Dafür ernteten wir von den KundgebungsteilnehmerInnen durchweg Zuspruch und Anerkennung“, sagte der Sprecher.
Er kritisierte auch das Handeln einzelner Ordner. Schon als Mitglieder des Bündnisses „ZGR“ den Marktplatz betraten und ihre Transparente entfalteten, sollen Personen von Ordnern der Versammlungsleitung aggressiv angegangen und behindert worden sein. Im späteren Verlauf hätten dieselben Ordner versucht, Mitglieder des Bündnisses daran zu hindern, Flugblätter des „ZGR“ zu verteilen und sie aus der Hand der Personen zu schlagen, so der Sprecher.
Künstler moniert Ausgrenzung
Der Kunstmaler und Musiker Gez Zirkelbach bezeichnete sich auf der Bühne als Antifaschist. Der bekannte Künstler aus dem Rems-Murr-Kreis stellte klar, dass seine musikalische Darbietung gegen den Rechtsextremismus sei. „Ich finde es gut, dass so viele verschiedene Menschen und Gruppen gekommen sind, auch wenn nicht alle erreicht wurden“. Er zeigte dabei auf Vertreter des Bündnisses „Zusammen gegen Rechts Rems-Murr“ (ZGR) und hob hervor: „Es ist schön, dass ihr alle gekommen seid, denn Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. Mit seiner Geste wollte der Musiker auf die Ausgrenzung von Organisationen durch die Initiatoren der Veranstaltung aufmerksam machen (siehe Video unten).
Multifunktionswerkzeug kurzzeitig beschlagnahmt
Markus Jatzko, Leiter des Schorndorfer Polizeireviers, erklärte nach der Kundgebung, es sei am Rande der Veranstaltung ein Messer beschlagnahmt worden. Bei dem „Messer“ handelte es sich allerdings nicht um ein Messer im herkömmlichen Sinn, sondern um ein Multifunktionswerkzeug. Der Kundgebungsteilnehmer solle den Gegenstand nach der Kundgebung wieder erhalten, teilte der Beamte einem unserer Redakteure noch vor Ort mit. Die Schorndorfer Nachrichten berichteten in ihrer Ausgabe vom 13. November, Versammlungsleiter Jürgen Dobler habe dazu ausgeführt, dass es sich um eine „Kombi-Zange, wie sie viele Handwerker am Gürtel tragen“ gehandelt habe. Auch Jatzko erklärte, die Kundgebung bleibe „ohne strafrechtliche Relevanz“.
Bündnisse, Initiativen und Organisationen die im Rems-Murr-Kreis regelmäßig gegen Rechts aktiv sind:
ZGR – Zusammen gegen Rechts Rems-Murr
OAT – Offenes Antifaschistisches Treffen Rems-Murr
Rems-Murr nazifrei!
ALARM – Antifaschistische Linke (Antiautoritäre) Rems-Murr
Schorndorfer Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus
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