Von Alfred Denzinger – Welzheim. Vor dem ehemaligen KZ in Welzheim gab es am Freitag, 9. November, eine Gedenkkundgebung zum 80. Jahrestags der Pogromnacht. Das Offene Antifaschistische Treffen Rems-Murr (OAT) hatte die Kundgebung in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) organisiert. Unter dem Motto „Für eine antifaschistische Gedenkkultur – Erinnern heißt kämpfen!“ fanden sich 40 Personen auf dem Welzheimer Gottlob-Bauknecht-Platz ein.
Mit antifaschistischen Liedern („Wir sind die Moorsoldaten“) und Redebeiträgen wurde der Opfer des Nationalsozialismus würdig gedacht. Der Redebeitrag des OAT thematisierte den Antisemitismus der Nazis und die Notwendigkeit antifaschistischen Engagements. Reinhard Neudorfer von der VVN lobte die lokale Erinnerungsarbeit und berichtete über die Verbrechen der Faschisten im Welzheimer KZ.
- Reinhard Neudorfer, VVN
- Infotisch des OAT Rems-Murr
Erinnern an Hermann Schlotterbeck
Nach dem offiziellen Ende der Kundgebung beteiligte sich Jung und Alt, darunter viele WelzheimerInnen, am Gang zur Gedenkstätte, der unangemeldet und störungsfrei ablief. Die AktivistInnen benannten auf ihrem Weg zum Mahnmal die Schillerstraße in „Hermann-Schlotterbeck-Straße“ um. Die symbolische Umbenennung soll an den in Welzheim inhaftierten und ermordeten Kommunisten erinnern.
Rote Nelken am Mahnmal
Am Friedhof gab es eine Gedenkminute, und es wurden in andächtiger und würdevoller Stimmung rote Nelken am Mahnmal niedergelegt. Ein Sprecher des OAT erklärte gegenüber den BN: „Die positiven Rückmeldungen und Danksagungen der Lokalbevölkerung motivieren uns für eine Wiederholung des Gedenkens im nächsten Jahr.“
Am Abend besuchten Mitglieder des OAT und weitere Interessierte eine Ausstellung des Historischen Vereins Welzheim im Waiblinger Kulturhaus Schwanen, die die Geschichte des KZs Welzheim ausführlich rekonstruiert.
Der Redebeitrag des OAT zum 9. November im Wortlaut:
„Liebe Welzheimerinnen und Welzheimer,
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
heute gedenken wir den Opfern eines Verbrechens, das sich heute vor genau 80 Jahren ereignet hat. Am 9. November 1938 kam es zur sogenannten “Reichsprogromnacht”, einem Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung mit einem bis dahin ungekanntem Ausmaß an Brutalität. Es kam zu massenhaften Übergriffen in vielen Deutschen Städten, unter anderem auch in Stuttgart. Jüdische Geschäfte wurden geplündert und Synagogen angezündet. Ein Beispiel hierfür ist die Synagoge in Bad Cannstatt, die in dieser Nacht zerstört wurde. Allerdings blieb es nicht bei Sachbeschädigungen, sondern es gab auch viele Angriffe auf Menschen, in deren Folge viele jüdische Mitbürger zunächst in sogenannte “Schutzhaft” genommen wurden, unter anderem auch hier in Welzheim, um später in Tötungslager wie beispielsweise Dachau oder Auschwitz deportiert zu werden.
Dieses Pogrom war nicht Ausdruck des “Volkszorns”, wie die Faschisten behaupteten, sondern ein organisiertes, befohlenes und von der SA, der SS und auch der Polizei ausgeführtes Verbrechen, das den Übergang zum offenen Terror gegen die jüdische Bevölkerung darstellte. An die Reichspogromnacht knüpften die Faschisten auch später an, als sie 1942 mit der Wannseekonferenz die industrielle Ermordung der europäischen Juden beschlossen. Durch die Reichspogromnacht war es im zweiten Weltkrieg dann auch einfacher für die führenden Faschisten, Razzien, Vergewaltigungen, Plünderungen und Morde durch Wehrmacht und SS in den von Hitlerdeutschland besetzten Gebieten, insbesondere in der Sowjetunion, durchzuführen und zu legitimieren.
Doch wer profitierte konkret von der Nacht des 9. Novembers? Zunächst einmal waren das beispielsweise Konkurrenten der deportierten Juden, die nun leerstehende Geschäfte übernehmen konnten. Auch Intellektuelle, deren Aufstiegschancen sich durch das Pogrom verbesserten, profitierten. Vor allem aber war es natürlich die NSDAP, die damit endlich eine Chance hatte, dem vielgepredigten Antisemitismus Taten folgen zu lassen.
Und auch heute kommt es leider immer wieder zu antisemitisch motivierten Anschlägen, wie zum Beispiel dem Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh vor gut zwei Wochen, bei dem mindestens 11 Menschen getötet wurden. Doch man muss nicht in die USA schauen, um Antisemitismus zu finden. Hier in Deutschland wird Antisemitismus zu Recht tabuisiert und findet daher eher im Verborgenen statt. Allerdings findet man Antisemitismus unter anderem auch auf Schulhöfen, wo “Du Jude” als Beleidigung verwendet wird, oder auch in der Politik, wo Björn Höcke das Holocaust Denkmal in Berlin als ein “Mahnmal der Schande” bezeichnet. Besonders offen gibt es Antisemitismus natürlich auch in Neonazi-Kameradschaften. Dort führt dieser teilweise sogar bis zur Leugnung des Holocaust. Der Antisemitismus der Rechten dient dazu, real existierende soziale Widersprüche zu leugnen und Probleme in der deutschen Gesellschaft einer “jüdischen Weltverschwörung” anzulasten.
Und ja, es gibt soziale Widersprüche. In Deutschland gibt es massive ökonomische Konflikte in der Gesellschaft, die fast immer zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung gelöst werden. Rechte Hetzer geben vor diese Probleme lösen zu wollen, indem sie scheinbar einfache Erklärungen bieten, wie beispielsweise die “jüdische Weltverschwörung” oder die “Islamisierung des Abendlandes”. Leider passiert es immer wieder, dass sich davon Menschen dazu verleiten lassen, auf die Straße zu gehen und Jagd auf Menschen zu machen, wie es zuletzt in Chemnitz der Fall war, wo es ebenfalls einen Anschlag auf ein jüdisches Restaurant gab.
Glücklicherweise gibt es immer mehr Menschen die aufstehen gegen rechte Hetze und sich wehren gegen faschistisches Gedankengut, wie zum Beispiel bei der Kundgebung in Winnenden vor einigen Wochen. Circa 400 Menschen versammelten sich, um gegen einen rassistischen Angriff und gegen den Rechtsruck in Deutschland zu demonstrieren. Diese Art von Engagement ist zwar sehr erfreulich, allerdings muss antifaschistischer Widerstand organisiert und entschlossen sein, um wirklich effektiv zu sein. Der bundesweite Rechtsruck hat eine rechte Bewegung hervorgebracht, die auf den Straßen marschiert und mit der AfD in alle Landesparlamente und den Bundestag eingezogen ist. Die Rechten sind zu allem bereit und stellen die Machtfrage. Wo sich früher distanziert wurde, arbeitet man heute ganz offen mit Nazis zusammen.
Gerade an diesem Tag, 80 Jahre nach dem faschistischen Pogrom, müssen wir uns unserer Verantwortung bewusst werden, diese Entwicklung zu stoppen. Deswegen möchte ich euch einladen, sich uns anzuschließen und sich zu organisieren. Kommt zum Offenen Antifaschistischen Treffen Rems-Murr! Wir treffen uns jeden zweiten Dienstag im Monat im IGM Haus in Waiblingen. Jeder und jede kann seinen Teil dazu beitragen, den Rechten etwas entgegen zu setzten.
Für eine antifaschistische Gedenkkultur!
Erinnern heißt kämpfen!
Nie wieder Faschismus!“
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