Von Andreas Scheffel – Stuttgart. Nach den G20-Protesten im Juli letzten Jahres in Hamburg gab es bundesweit Razzien – auch in Stuttgart (wir berichteten). Die Ermittler nahmen linksgerichtete DemonstrantInnen gezielt ins Visier. So auch die Bewohnerin einer Wohngemeinschaft im Linkem Zentrum „Lilo-Herrmann“ in Stuttgart. Spezialeinsatzkräfte der Polizei brachen die Wohnungstür mit einem Rammbock auf. Bei der Durchsuchung wurden keine Waffen gefunden, wie andere Medien berichteten. Nun gab das Zentrum bekannt, dass die Ermittlungen gegen die Bewohnerin eingestellt sind. Ein bitterer Geschmack nach der versuchten Kriminalisierung der Betroffenen und des „Lilos“, bleibt.
Die Räume des Lilo Herrmann-Hauses werden von vielen Organisationen genutzt. Es stand 2017 im Fadenkreuz der Behörden im Zug der Ermittlungen der Soko „Schwarzer Block“ mit Unterstützung des baden-württembergischen Innenministeriums unter der Leitung von Thomas Strobl und des LKA. Bei der Durchsuchung des Zimmers der Aktivistin wurden unter anderem elektronische Geräte wie ein privater PC, ein Handy, Flyer und ein Autoschlüssel beschlagnahmt.
Anlass der morgendlichen Durchsuchung soll eine Demonstration im Hamburger Industriegebiet Rondenbarg während der G20-Proteste am 7. Juli 2017 gewesen sein. Dort lösten Polizeieinheiten einen Protestzug gegen den G20-Gipfel auf.
AktivistInnen zum Teil schwer verletzt
Ein widersprüchliches Video der Polizei sollte die angebliche Gewalt von linken Aktivistinnen beweisen. Bei dem Polizeieinsatz waren mindestens 14 AktivistInnen zum Teil schwer verletzt und mehrere Personen festgenommen worden. Unter den Festgenommenen hatte sich auch der Italiener Fabio V. befunden, der ohne konkrete Vorwürfe knapp vier Monate in Untersuchungshaft festgehalten wurde. Die Staatsanwaltschaft konnte dem jungen Mann jedoch nicht nachweisen, eigenhändig Gewalt ausgeübt zu haben.
Die Anklage berief sich darauf, dass Fabio V. Teil dieser Menschenmenge gewesen sei. Wer genau Gegenstände geworfen hat, ist unklar. Die Gruppe bestand aus rund 200 zum Teil vermummten Personen. Der Beschuldigte befindet sich auf freien Fuß, und der Prozess gegen den Italiener, müsste ganz neu aufgerollt werden.
„Flucht nach vorne“ der Behörden
Einem Sprecher des Zentrums Lilo Herrmann zufolge wurde allem Anschein nach versucht, die Polizeigewalt in Rondenbarg im Nachhinein unter den Tisch zukehren. Es sei offensichtlich, dass die Durchsuchungsmaßnahmen am 5. Dezember 2017 der Versuch der Hamburger Polizei sei, von den polizeilichen Übergriffen während der Proteste um den G20-Gipfel und insbesondere des Protestzuges im Rondenbarg abzulenken, bei denen die Bewohnerin zugegen war.
Die Durchsuchungen seien daher nichts Anderes als eine „Flucht nach vorne und der Versuch, die wahren Geschehnisse umzudeuten“. Schließlich seien Polizei und Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Geschehnisse um Rondenbarg zumindest öffentlich praktisch mit dem Rücken zur Wand gestanden, so ein weiterer Sprecher.
Angriff auf die Privatsphäre
Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden bewerten die Bewohner sowie auch das Zentrum als einen Angriff auf ihre Privatsphäre, ebenso als versuchte Schwächung der kulturellen linken Szene im Raum Stuttgart. „Dass wir den Behörden ein Dorn im Auge sind, war uns bewusst. Die Repressionswellen gegen das „Lilo-Herrmann-Zentrum und seiner BewohnerInnen muss beendet werden“, erklärt der Sprecher.
Zentrum bleibt Anlaufort
Das Linke Zentrum Lilo Herrmann war nach eigenen Angaben im Vorfeld der G20-Proteste ein wichtiger Anlaufort für all diejenigen, „die eine andere, eine menschenwürdigere Gesellschaft anstreben“. In seinen Räumen finden regelmäßig Info-Veranstaltungen, Bündnistreffen und Solidaritätskonzerte statt.
Viele Gruppen, Initiativen und Organisationen, die das Zentrum nutzen, hatten wohl auch zur Fahrt nach Hamburg mobilisiert, erklärte Jens Heidrich, Sprecher des Zentrums. Er bekräftigt, dass das „Lilo-Herrmann-Zentrum“, weiterhin als Anlaufpunkt der kulturellen Szene im Mittelpunkt von Stuttgart und der Region bleiben werde.
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