Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. „Für eine Welt, in der niemand fliehen muss“ – das war das Motto einer Demonstration am frühen Samstagnachmittag, 15. Dezember, in Stuttgart. Die Lautenschlagerstraße füllte sich als Treffpunkt zunächst nur zögerlich. Doch beim Zug durch die Stadt zählte die mit starken Kräften vertretene Polizei in der Bolzstraße bereits 700 TeilnehmerInnen. Bei der Schlusskundgebung auf dem Marienplatz waren es nach unserer Zählung etwa 900.
Schon zuvor hatte sich die IG Metall Stuttgart versammelt. Am Nachmittag schloss sich eine Demonstration gegen die Angriffe der Türkischen Armee auf kurdische Gebiete an. An die 100 Menschen waren am Vormittag nach Rudersberg im Rems-Murr-Kreis gekommen, um sich mit dem Herausgeber und Chefredakteur der Beobachter News Alfred Denzinger zu solidarisieren. Auf sein Wohnhaus und seinen Wagen hatte es bereits zum vierten Mal Ziel rechte Farbattacken mit dem Ziel gegeben, ihn einzuschüchtern und von seiner journalistischen Arbeit abzuhalten.
An der Demonstration „Für eine Welt in der niemand fliehen muss“ beteiligten sich auch mehrere Flüchtlingsinitiativen und antifaschistische Gruppen. Der Zug führte bei Temperaturen nahe des Gefrierpunkts am Stuttgarter Weihnachtsmarkt vorbei durch die Stuttgarter Innenstadt. Einmal stieg roter und einmal blauer Rauch auf. Auf Höhe der Paulinenbrücke brannten an einem Bauzaun angebrachte Pappschilder, die mit Bildern und Aufschriften, Krieg, Flucht und Kapitalismus symbolisierten.
Trommeln und laute Parolen
Immer wieder waren Parolen zu hören wie „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in alle Welt“, „Um Europa keine Mauer, Bleiberecht für alle und auf Dauer“, „Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall „- aber auch „An jedem Krieg in jedem Land verdient zuletzt die Deutsche Bank“. Die Demo-Sanitätsgruppe Südwest und eine Trommelgruppe begleiteten die Demonstration, und es gab auch einen „antikapitalistischen Block“.
„Vor einem Jahr waren wir 1700. Schaut Euch um – ich glaube, wir sind mehr“, sagte der Moderator bei einer Zwischenkundgebung vor dem Neuen Schloss vom Bühnenwagen aus. Dies Schätzung dürfte jedoch deutlich zu optimistisch gewesen sein. Er kritisierte auch, dass die Polizei offenbar Zeit habe, die Demonstration mit starken Einsatzkräften zu begleiten und zu beobachten, für viele andere Aufgaben jedoch nicht.
Pflüger fordert Stopp der Rüstungsexporte
Auf dem Rasen vor dem Neuen Schloss wurden Kreuze zum Gedenken an die Toten im Mittelmeer eingeschlagen. Tobias Pflüger, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender der Linken, warf der Bundesregierung in seiner Rede eine „zynische Politik“ vor. Sie erlaube, dass Waffen in die Türkei geliefert werden, obwohl das Regime kurdische Dörfer bombardieren lasse und in Nordsyrien Krieg führe. Die Menschen flöhen aus diesen Dörfern auch in die Bundesrepublik. „Hört endlich auf mit Waffenlieferungen, damit die Menschen nicht mehr fliehen müssen“, forderte der Abgeordnete.
Pflüger ist auch Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Er sprach als nächstes die Lage in Afghanistan an, die hoch gefährlich sei. Nirgendwo im Land sei es sicher, und die Bundeswehr agiere als Teil einer kriegerischen Mission. Die Linke werde niemals akzeptieren, dass Menschen dorthin abgeschoben werden, erklärte er: „Es ist gemeingefährlich, Waffen zu liefern und gleichzeitig Menschen abzuschieben“.
„Wir brauchen sichere Fluchtwege“
Pflügers drittes Thema war die EU. Sie habe beschlossen, die Grenzsicherung Frontex mit 10 000 zusätzlichen Soldaten und Polizisten weiter auszubauen. Bereits im Sommer sei untersagt worden, Menschen zu retten. Weder private noch staatliche Flüchtlingshilfe sei möglich gewesen, SeenotretterInnen drohten bis zu zehn Jahre Haft.
„Es wurde bewusst versucht, Hilfe zu unterbinden. Auch das ist Beihilfe zum Mord“, warf Pflüger den Verantwortlichen vor. Frontex gehöre nicht ausgebaut, sondern abgeschafft. „Wir brauchen sichere Fluchtwege. Das ist überlebensnotwendig“, erklärte er: „Wir wollen weder rechte Anheizer noch eine flüchtlingsfeindliche Politik.“ Dabei handle es sich nur um die beiden Seiten der selben Medaille.
„Afghanistan ist unsicherer denn je“
Der Aktivist Faysal aus Afghanistan, der seit drei Jahren in Deutschland lebt, sprach über die Zustände in seinem Herkunftsland. Seit 40 Jahren komme Afghanistan nicht zur Ruhe. Laut UNO seien 633 000 Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. „Afghanistan ist unsicherer denn je. Abschieben ist unmenschlich“, forderte er einen Abschiebestopp. Seine Worte wurden auch ins Persische übersetzt.
Durch das Gerberviertel führte der Weg zur Schlusskundgebung auf dem Marienplatz. Dort sprachen Luigi Pantisano, Stuttgarter Stadtrat der Linken/SÖS und eine Aktivistin des Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) über den Rechtsruck. Flüchtlingssolidarität und Antifaschismus seien nicht voneinander zu trennen. Pantisano sprach auch die rechten Attacken gegen Alfred Denzinger an, gegen die am Vormittag in Rudersberg protestiert worden war (siehe „Ihr alle, haltet zusammen“). Die Beobachter News leisteten unverzichtbare Arbeit, lobte er.
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