Von unserer Redaktion – Basel. Seit dem 7. November dieses Jahres befindet sich die HDP-Abgeordnete Leyla Güven im Hungerstreik. Mit ihr streiken auch weitere Frauen im Gefängnis Elazig. Beobachter News sprach mit zwei Freundinnen der 53-jährigen Abgeordneten über die Motivation, den Schmerz und den täglichen Kampf.
Leyla Güven wurde am 23. Januar 2018 in Diyarbakir verhaftet. Nach einer kritischen Äußerung zur türkischen Militäroffensive in Afrin warf man ihr Gründung und Leitung einer bewaffneten Organisation, Volksverhetzung und Propaganda vor. Dieses Schicksal teilt sie aktuell mit neun weiteren HDP-Abgeordneten und rund 10 000 weiteren politischen Gefangenen in der Türkei.
Trotz der U-Haft wurde Leyla Güven im Juni 2018 ins Parlament gewählt. Obwohl nun die Immunität als Abgeordnete greifen müsste und sie das Gefängnis im Beisein ihrer Anwältin verlassen sollte, legte die Staatsanwaltschaft Widerspruch ein. Sie blieb inhaftiert.
Am 7. November fand schließlich ihre Gerichtsverhandlung statt. Sie blieb der Verhandlung fern, weil sie auch hier – obwohl eigentlich frei – in Handschellen hätte vortreten müssen. Per Videobotschaft ließ sie ausrichten, ab sofort in den Hungerstreik zu treten, um gegen die unmenschlichen Haftbedingungen zu protestieren.
„Nach wie vor ist Folter in türkischen Gefängnissen an der Tagesordnung“, berichten Freundinnen von Leyla Güven. „Nach den Oslo-Verhandlungen 2013 hatte sich vieles verbessert. Doch seit einigen Jahren nimmt die Gewalt zu. Gefangenen wird der Kontakt zu Anwälten und Familie verweigert.“ In einigen Fällen würden auch Angehörige schikaniert oder Gefangene vor den Augen ihrer Familien gefoltert, erzählen sie. Vergewaltigung und Schläge seien keine Seltenheit. Und auch die medizinische Versorgung der Häftlinge sei willkürlich geregelt.
Am 20. November schlossen sich zehntausende politische Gefangene dem Hungerstreik an. Auch sie fordern eine Verbesserung der Haftbedingungen und ein Ende der Isolationshaft von Abdullah Öcalan. Seit drei Jahren werden ihm Kontakte zu AnwältInnen und zur Außenwelt verweigert, und seit etwa sechs Monaten weiß man nichts mehr über seinen Zustand, berichten die beiden Frauen.
Doch auch die Türkei hat sich an die Genfer Konventionen zu halten. Eine zentrale Forderung lautet daher, dass das CPT (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) uneingeschränkt seine Arbeit aufnehmen kann.
„Der Todesstreik ist schrecklich“
Der Zustand von Leyla Güven und fünf anderen Frauen, die seit 7. November im Hungerstreik sind, ist ernst. Die Aufnahme von Vitamin B und B1, um Hirnschäden zu verhindern, wird den Streikenden verweigert. Zudem wird gegen Leyla Güven ein Disziplinarverfahren geführt, in dessen Folge auch ihr der Brief- und Telefonkontakt verweigert würde, berichten ihre Freundinnen mit großer Besorgnis. Grund für dieses Verfahren ist der Eintritt in den Hungerstreik.
„Der Todesstreik ist schrecklich. Wir sind nicht nur besorgt, sondern hoffen auf das Leben unserer Freundin. Und doch bleibt es das einzige Mittel, das sie hat.“ Auch die anderen politischen Gefangenen sind in einen Todesstreik getreten und verweigern das Essen bis zur Erfüllung der Forderungen.
In Europa laufen seit dem 6. Dezember Solidaritätsstreiks. Die Hungerstreikenden in der Schweiz wechseln nach etwa einer Woche. Sie wollen mit dieser Aktionsform auf die Situation in der Türkei aufmerksam machen – bisher jedoch weitestgehend erfolglos.
Am Montag, 16. Dezember, sind 15 weitere AktivistInnen in Straßburg ebenfalls in einen Todesstreik eingetreten. Sie haben das Ziel, die Isolationshaft Abdullah Öcalans auf Imrali, aber auch die türkischen Angriffe auf Rojava, Sengal und Mexmur zu beenden.
Die 53-jährige Leyla Güven muss darauf hoffen, dass diese Öffentlichkeit nicht zu spät kommt. Zusätzliche Krankheiten machen ihr zu schaffen, und sie hat bereits seit dem 30. Tag Sprachstörungen und einen allgemein schlechten Gesundheitszustand.
Prekäre Lage in der Türkei
Die Verzweiflung über das Unrecht ist groß. Im März stehen Regionalwahlen in der Türkei an. Zum aktuellen Zeitpunkt befinden sich 97 von 104 Kommunen in den kurdischen Gebieten unter Zwangsverwaltung. Die gewählten Abgeordneten sind geflüchtet oder inhaftiert. Der Abgeordnete Selahattin Demirtas bleibt in Haft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Freilassung fordert.
Der formale politische Weg die Situation der Kurdinnen und Kurden in der Türkei zu verbessern, wird blockiert – im Zweifel militärisch. Menschen werden willkürlich verhaftet und Berichte über Folter und Entführungen mehren sich. Rund 2000 Mitglieder der HDP sitzen bereits in türkischen Gefängnissen. Rechtsstaatlichkeit haben kurdische Abgeordnete offenbar nicht zu erwarten.
Die Palette an Widerstandsformen ist groß. Doch nur wenige sind so einschlägig wie ein Hungerstreik, bei dem Menschen, die nicht sterben wollen, ihren Tod in Kauf nehmen, um einen Missstand zu beenden. Und gleichzeitig bleibt der Widerstand wirkungslos, wenn er nicht auch auf Mitgefühl trifft und schließlich auf Menschen, die die Situation tatsächlich beenden können. Doch hier herrscht bisher kaltes Schweigen.
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