Von unseren ReporterInnen – Berlin. Beim Singen klappt’s mit der Harmonie. Das zeigte die Linke bei „Bella Ciao“ in der Fassung Dieter Dehms zum Ausklang des Jahresauftakts ihrer Bundestagsfraktion. Zuvor hatte sich die Linke zum 100. Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vor vollem Haus im Berliner „Kosmos“ fast drei Stunden lang als Kraft für sozialen Zusammenhalt und Abrüstung mit historischem Bewusstsein präsentiert. Die Gewerkschafterin Ariane Raad berichtete über die Hausbesetzungen des vergangenen Jahres in Stuttgart.
Die Steinlandpiraten und die Stern-Combo Meißen machten Musik. Unter allen Ansprachen, Video-Einspielungen, Talk- und Diskussionsrunden erhielt am Sonntag, 13. Januar, die Rede Sahra Wagenknechts den stärksten Applaus.
Die Fraktionsvorsitzende vermied es, in ihrer Schluss-Ansprache Angriffspunkte zu bieten oder allzu konkret zu werden. Neben dem Kampf gegen Krieg und dem Eintreten für Frieden müsse sich die Linke, die sich auch mit den Gelbwesten in Frankreich solidarisiere, immer für die Benachteiligten und Ausgebeuteten einsetzen. Sie forderte „einen neuen sozialen Aufbruch, wenn wir nicht wollen, dass den Rechten dieses Land überlassen wird.“
„Nicht Leiharbeit sagen, sondern Sklaverei“
Zum Auftakt hatte die Linke Video-Sequenzen von besonders schlagfertigen und einprägsamen Auftritten ihrer Abgeordneten im Bundestag gezeigt. Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer, berichtete von einer vorausgegangenen „Fraktionsklausur der Geschlossenheit“: „Der Feind steht im eigenen Land, aber nicht in der eigenen Partei“, betonte er.
Die Linke müsse „öfter über Erfolge reden“ und in ihrer Sprache präziser werden. So gehe es etwa nicht um Leiharbeit, sondern um Sklaverei, und nicht um prekäre Beschäftigung, sondern Ausbeutung. Kortes politische Wurzeln liegen bei den Grünen. Er forderte, 2019 „zum Jahr des Aufbruchs gegen Ausbeutung und Rassismus“ zu machen, und sprach von sozialen Errungenschaften, die es einmal gegeben habe und zu denen man zurückkehren müsse – Erfahrungen, die jedoch nicht alle im Publikum geteilt haben dürften.
AfD und CDU/CSU verhinderten Lesung
Die frühere Linken-Vorsitzende Gesine Lötzsch führte in den auszugsweisen Mitschnitt einer zweistündigen szenischen Lesung aus dem Protokoll des Gründungsparteitags der KPD vor 100 Jahren ein. Das Skript erstellte Luc Jochimsen. Franz Sodann führte Regie.
Ursprünglich wollte die Linksfraktion im Paul-Löbe-Haus an das Geschehen erinnern. Das verhinderten in trauter Eintracht CDU/CSU und AfD. Die eindrucksvolle Lesung, an der Dietmar Bartsch, Daniela Dahn, Petra Sitte, Lötzsch selbst, Jan Korte, Oskar Lafontaine, Ingo Schulze, Peter Sodann und Sahra Wagenknecht teilnahmen, wurde ins Kino Babylon verlegt.
„Aggressiver Kulturkampf von Rechts“
„Die Lesung war schon etwas Besonderes“, knüpfte der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch an das Gehörte an. Vieles sei heute noch bedenkenswert. Er erinnerte daran, dass Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg nur 15 Tage nach der KPD-Gründung ermordet wurden – neben vielen weiteren. „Das waren Kommunisten und Sozialisten, die für ihre Überzeugung mit dem Leben bezahlt haben. In dieser Tradition stehen wir“, erklärte er. Es sei infam, sie zu diskreditieren.
Handelskriege, Flüchtlinge, mehr als 150 bewaffnete Konflikte: „2019 wird ein Schlüsseljahr“, sagte Bartsch:“Wir haben eine Riesengefahr. Die Rechten haben das Ziel, Europa an sich zu reißen“. Es gebe einen aggressiven Kulturkampf von Rechts: „Wir sollten diesen Kampf annehmen. Sonst ist die Welt und die gesamte Menschheit gefährdet.“
„Den Wahnsinn der Waffenexporte stoppen“
Die Bundesregierung sei in einem desolaten Zustand. Sie verwalte nur, es sei deutlich spürbar, dass es sich um eine Koalition von Wahlverlierern handelt. In der Amtszeit Angela Merkels habe sich die Zahl der Vermögensmillionäre und der Kinder in Armut verdoppelt. Die Linke müsse nun „dranbleiben, dass der Wahnsinn der Waffenexporte nicht fortgesetzt wird“ und statt aufzurüsten in Soziales und Gesundheit investiert wird. Wenn die SPD Hartz IV abschaffen und eine Kinder-Grundsicherung einführen wolle, sei die Linke dabei: „Wir sind bereit, Verantwortung für jeden Fortschritt in der Gesellschaft mit zu übernehmen“.
Ein „ordentlicher Sozialstaat“ sei ein wichtiges Element im Kampf gegen Rechts, sagte Bartsch. Die Linke werde gemeinsam agieren. Ihr Ziel sei es, bei jeder Landtagswahl vor der AfD zu liegen. „Wir müssen uns zusammenreißen und gemeinsam agieren. In diesem Sinn war das vergangene Jahr kein gutes“, sprach er die Differenzen über Sahra Wagenknechts „Sammlungsbewegung“ an. „Wir dürfen nie vergessen, dass wir aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommen, und dürfen nie arrogant gegenüber denen sein, die arbeitslos sind“, appellierte er unter starkem Beifall an seine Genossen.
Wohnungsnot wurde in Stuttgart zum Thema
Die „Steinlandpiraten“ spielten Lieder von Gerhard Gundermann, ehe sich auf der Bühne eine Diskussionsrunde mit Gästen versammelte. Im Gespräch mit den Bundestagsabgeordneten Caren Lay und Sevim Dagdelen berichtete die Verdi-Gewerkschafterin und Mietenaktivistin Ariane Raad über die Hausbesetzungen im vergangenen Jahr in Stuttgart. Die Aktion habe den Stadtteil politisiert, sagte sie. Auch Nachbarn, Postboten, Cafébetreiber oder Beschäftigte der Abfallentsorgung hätten sich mit den Besetzern solidarisiert (siehe auch Video unten).
Auch in den Gewerkschaften habe die Aktion Druck aufgebaut, so die Einschätzung Raads. „Wir kämpfen weiter für höhere Löhne und niedrigere Mieten“, versprach Lay Unterstützung bei weiteren Aktionen. Solidarität benötigen auch die Beschäftigten des Pflegekonzern VITANAS. Ein Brandbrief der Heimbewohner habe sie sehr berührt, sagte Dagdelen. Harald Hahne vom Gesamtbetriebsrat nannte die Forderungen der Beschäftigten: Rekommunalisierung der Einrichtungen, einen bedarfsgerechten Pflegeschlüssel, bessere Bezahlung und einen flächendeckenden Tarifvertrag mit der Gewerkschaft Verdi.
„219 a ist ein Armutsparagraf“
Die wegen angeblicher Verstöße verurteilte Ärztin Kristina Hähnel berichtete über ihren Kampf gegen den Paragrafen 219 a, der es Ärzten verbietet, auf ihrer Homepage über Abtreibungen zu informieren. Inzwischen gibt es eine Petition.
Für den 26. Januar sind bundesweit Aktionen geplant. Sie selbst nehme seit 30 Jahren Abbrüche vor und sei immer wieder angezeigt worden. Das Informationsverbot treffe vor allem Menschen, die etwa nicht so gut deutsch sprechen. „Es ist nach wie vor ein Armutsparagraf“, sagte Hähnel auf Nachfrage von Lay.
„Die soziale Frage ist international“
Sevim Dagdelen moderierte eine Diskussionsrunde mit den früheren Linken-Vorsitzenden Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. „Was müssen wir tun, um wieder aufrecht zu gehen?“, wollte sie wissen. „Es ist ein lebenslanger Kampf“, bekannte Lafontaine.
Erstes Thema der Linken müsse sein, Kriege zu bekämpfen – und das zweite soziale Gerechtigkeit, sagte Gysi. Die Konzerne hätten einen weltweiten Standortvergleich ausgelöst. Die soziale Frage sei schon immer eine internationale Frage gewesen und sei heute auch wegen moderner Kommunikationsmittel eine Menschheitsfrage: „Machen wir uns nichts vor. Wir haben lange nur so gut gelebt, weil die Menschen in Afrika das nicht wussten.“
Lafontaine: Dringende Bitte an die SPD
Lafontaine, der vor 50 Jahren in die SPD eintrat, mahnte den Kampf gegen Faschismus, Krieg und Ausbeutung als weiterhin aktuelle Traditionslinien an. Er erinnerte daran, dass Liebknecht und Luxemburg nicht für Kriegskredite stimmen und nicht an Sozialabbau mitwirken wollten. Heute sei die Linke die einzige Partei gegen Aufrüstung. „Wir brauchen eine neue gesellschaftliche Mehrheit, damit wir wieder unsere Ziele durchsetzen können im Bundestag“, sagte Lafontaine. „Wenn wir den Zeitgeist nicht verändern, werden wir die Politik nicht verändern“, pflichtete ihm Gysi bei.
An seine früheren Parteifreunde richtete Lafontaine einen eindringlichen Appell. Er habe gehört, dass Andrea Nahles die Beteiligung der SPD an der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts wieder bestritten habe: „Bitte arbeitet diesen Teil eurer Geschichte auf, um wieder freier zu werden.“
„Bei Kämpfen im Alltag Fernziel im Blick“
Als „nächstes Highlight“ kündigte Caren Lay einen Talk mit den beiden Partei-Chefs an. „Natürlich verteidigen wir alle Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie. Wir geben uns nur nicht damit zufrieden“, knüpfte Katja Kipping an Rosa Luxemburg an. Eine sozialistische Partei müsse immer die Alltagskämpfe führen, sie aber auch „immer in Beziehung setzen zum Fernziel“, löse Rosa Luxemburg die Frage nach der Realpolitik dialektisch auf.
Der Milliardär Warren Buffett habe 2005 gesagt, es herrsche Klassenkampf, und seine Klasse gewinne: Daran erinnerte Bernd Riexinger, der im Herbst das Buch „Neue Klassenpolitik: Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen“ veröffentlicht hat. Als Ergebnis neoliberaler Politik seien die Verteilungsverhältnisse heute so wie 1913. Deshalb habe es ihn geärgert, dass der DGB 100 Jahre Sozialpartnerschaft gefeiert habe und nicht 100 Jahre Novemberrevolution.
„Nicht auf Kosten von Mensch und Umwelt“
Die Arbeiterklasse sei heute „weiblicher, migrantischer, prekärer“. Doch es sei klar, dass beispielsweise der Kernarbeiter mit dem Leiharbeiter kämpfen müsse: „Eine Klasse, die sich dessen bewusst ist, braucht keine Sündenböcke“, sagte Riexinger: „Deshalb ist es so wichtig, einen modernen Klassenbegriff zu haben.“
Es sei ein Erfolg der Beharrlichkeit der Linken, dass es eine neue Debatte über Hartz IV gebe, sagte Kipping. Man werde nicht ruhen, bis es abgeschafft ist, kündigte sie an: „Jeder hat das Recht auf Teilhabe der Gesellschaft.“ Als weitere Herausforderungen im Europa-Wahljahr nannte Riexinger Friedenspolitik und Abrüstung. Auch müsse man verhindern, dass Konzerne ihre Kosten weiter auf Mensch und Umwelt abwälzen: „Wir kämpfen für ein soziales, ökologisches und vor allem humanes Europa.“
Für kostenfreie Bildung und eine bessere Bahn
Kristina Vogt und Bodo Ramelow diskutierten über die Landespolitik und die bevorstehenden Wahlkämpfe in Bremen und Thüringen. Matthias Höhn moderierte. Bildung und Betreuung sollten kostenfrei sein, waren sie sich einig. Der Bildungserfolg dürfe nicht länger von der Herkunft abhängen.
Die Linke kämpfe in den Ländern gemeinsam – und zwar nicht für Rot-Rot-Grün, sondern für Inhalte. Anknüpfend an seine frühere Rolle als Schlichter im Tarifkampf der Lokführer wurde Ramelow auch zur Bahnmisere befragt. „Ich kämpfe für die Revitalisierung des Eisenbahnverkehrs“, stellte der Thüringer Ministerpräsident klar: „Die Bahn muss wieder öffentlich geführt werden.“
„Krieg darf nicht profitabel sein“
„Was kommt nach dem Tode?“ – „Was soll aus mir werden?“: Mit diesen Titeln der Stern-Combo Meißen bog die Veranstaltung auf die Zielgerade ein. Sahra Wagenknecht knüpfte ihre Rede an Luxemburg und Liebknecht als „großartige Kämpfer gegen Aufrüstung“ an. „All das, wofür sie gekämpft haben, ist noch nicht eingelöst“, erklärte sie und wies den Vorwurf zurück, die Linke romantisiere die Ermordeten. Schließlich habe die traurige deutsche Geschichte zum Faschismus und zum 2. Weltkrieg geführt.
„Wer Kriege überwinden will, muss verhindern, dass man mit Kriegen Profit machen kann“, forderte Wagenknecht. Luxemburg und Liebknecht hätten zurecht gesagt, es gehe nicht gegen den Zarismus, sondern um Menschenrechte und die Arbeiterbewegung, als sie die Kriegskredite verweigerten.
„Deutschland ist keine Kolonie der USA“
Wer Waffenexporte genehmige, mache sich mitschuldig am Tod vieler Menschen: „Da darf die Linke niemals mitmachen.“ Eine EU, die aufrüste und sich selbst an Kriegen beteiligen wolle, sei kein Friedensprojekt. Vehement warb Wagenknecht gegenüber Donald Trump für eine „eigenständige Politik, die sich nicht im Schlepptau in Kriege zwingen lässt.“
Wenn der INF-Vertrag gekündigt werde, brauche man eine neue Friedensbewegung, sagte Wagenknecht. Sie empörte sich auch darüber, dass der Botschafter der USA Richard Grenell Briefe an Unternehmen geschickt und ihnen Nachteile angedroht hat, wenn sie sich am Pipeline-Projekt Nordstream 2 beteiligen: „Sind wir hier in einer Kolonie der USA? Das ist doch abgrundtief unerträglich.“
Die Linke begrüßt die Gelbwesten-Bewegung
Die Linke müsse das Vertrauen derer haben, denen es schlecht geht, forderte Wagenknecht – und zwar „unabhängig davon, was sie gerade wählen. Wir müssen überlegen, was wir tun können, um ihr Vertrauen zurückzugewinnen“. Damit spielte sie auf ihre „Sammlungsbewegung“ an. Die Linke begrüße selbstverständlich die Gelbwesten-Bewegung. Sie sei froh, dass der Parteivorstand einen entsprechenden Beschluss gefasst habe.
Die Fraktionsvorsitzende wies auch Einwände zurück, dass es beim Protest auf Frankreichs Straßen Gewalt gebe: „Wir alle verurteilen Gewalt. Aber Gewalt ist doch nicht nur, wenn Autos brennen. Gewalt ist doch auch, wenn Millionen Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren“ – oder wenn jemand durch Hartz IV seine Lebensleistung verliert, mit einer Hungerrente abgespeist wird oder als alleinerziehende Mutter den Regelsatz gekürzt bekommt, weil die Tochter 20 Euro geschenkt bekommen hat.
„Hass spiegelt Härte der Gesellschaft wider“
„Woher kommt denn diese Wut und dieser Hass?“, stellte Wagenknecht als Frage in den Raum: Die Wut und die Kälte seien der Spiegel der Härte dieser Gesellschaft. Der Erfolg der AfD habe Mütter und Väter. Sie säßen in den Reihen derer, die das Land verändert haben. „Lasst uns selbstbewusst und klar in dieses Jahr gehen“, rief Wagenknecht den Versammelten unter Beifall und Jubel zu: „Wir brauchen andere Mehrheiten in Form eines linken sozialen Programms.“
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