Karlsruhe. Für die Redaktion der Stuttgarter Wochenzeitung Kontext war die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom Mittwoch ein Sieg auf ganzer Linie – und zwar für die Pressefreiheit. Das Gericht wertete die Berichterstattung über Marcel Grauf, einen wissenschaftlichen Mitarbeiter der beiden AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum und Heiner Merz, als rechtmäßig. Mit seinem Urteil hob es eine Entscheidung des Mannheimer Landgerichts vom August 2018 auf. Es hatte Graufs Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung stattgegeben.
Kontext kann damit sämtliche Artikel über den wissenschaftlichen Mitarbeiter, der sich in Facebook-Chats rassistisch und menschenverachtend äußerte, erneut veröffentlichen. Grauf hatte die Artikel „„Sieg Heil“ mit Smiley“ und „Gefährder im Landtag“ beanstandet. Das Oberlandesgericht stufte auch die identifizierende Berichterstattung unter Klarnamen als zulässig ein.
„Das ist nicht nur ein großer Erfolg für Kontext, sondern auch ein Sieg für die Pressefreiheit“, erklärte die Chefredakteurin Susanne Stiefel in einer Pressemitteilung. Journalisten müssten Ross und Reiter nennen können, ohne Gefahr zu laufen, sofort gerichtlich belangt zu werden. Die Entscheidung des Senats stärke diese Aufgabe der Presse. Das sieht auch der Vorsitzende des Kontext-Beirats Edzard Reuter so: „Die Feinde unserer Demokratie können sich nicht im Dunkeln verstecken. Danke an Kontext.“
Die Redaktion der Wochenzeitung sieht sich auch durch eine Ausführung des Senats bestätigt, wonach die beanstandeten Presseartikel „mit Rücksicht auf die Diskussion um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld der AfD“ einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage leisteten. Laut Gericht hat Kontext auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Facebook-Chatprotokolle authentisch sind.
Die Pressemitteilung des OLG Karlsruhe vom 13. Februar 2019 im Wortlaut:
„Oberlandesgericht Karlsruhe erlaubt Berichterstattung über rechtsextreme Äußerungen eines Mitarbeiters zweier AfD Landtagsabgeordneter in Facebook-Chats
Die Wochenzeitung „KONTEXT“ darf einstweilen wieder berichten, ein namentlich benannter wissenschaftlicher Mitarbeiter zweier Abgeordneter der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag habe sich in privaten Facebook-Chats in näher zitierter Weise menschenverachtend, rassistisch und demokratiefeindlich geäußert und sei früher Mitglied der NPD gewesen. Das hat der unter anderem für Presserecht zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe am 13. Februar 2019 entschieden.
Der Beklagte erstellt als eingetragener Verein die Zeitschrift „KONTEXT“, die sowohl im Internet als auch als Printbeilage der „taz“ verbreitet wird. Im Mai 2018 berichtete „KONTEXT“ unter der Überschrift „»Sieg Heil« mit Smiley“ über den beruflichen und politischen Werdegang des Klägers. Unter anderem behauptete „KONTEXT“, der namentlich genannte Kläger sei früher „NPD-Mitglied“ gewesen. Der Bericht enthält eine größere Anzahl dem Kläger zugeschriebener Zitate aus privaten Facebook-Chats mit Personen, die die Zeitschrift der extremen rechten Szene zuordnet. Einige Behauptungen über den Kläger wurden in einem Ende Mai erschienenen Artikel „Gefährder im Landtag“ wiederholt und vertieft.
Gegen diese Berichterstattung ist der Kläger mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vorgegangen, mit der er begehrt hat, dem Beklagten zu untersagen, identifizierend über ihn zu berichten und u.a. zu behaupten, er sei Mitglied der NPD gewesen und habe sich in der zitierten Weise geäußert. Er macht u.a. geltend, die angeblichen Zitate stammten nicht von ihm, sie seien nachträglich in die dem Beklagten vorliegenden Chat-Protokolle hineinmanipuliert worden.
Der Eilantrag hatte vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe keinen Erfolg. Das Gericht sieht es als hinreichend glaubhaft gemacht an, dass die im Rechtsstreit vorgelegten Chat-Protokolle authentisch sind. Somit ist es für den Senat überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger sich in der zitierten Weise menschenverachtend, rassistisch und demokratiefeindlich geäußert hat und früher NPD-Mitglied gewesen ist, wie er dies gegenüber verschiedenen Chat-Partnern selbst angegeben hatte.
Die Berichterstattung ist auch nicht deshalb verboten, weil die Chat-Protokolle möglicherweise widerrechtlich „geleakt“ wurden. Der Kläger konnte nicht glaubhaft machen, dass der Beklagte den etwaigen Rechtsbruch selbst begangen oder in Auftrag gegeben hat. Deshalb überwiegt das von dem Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und sein Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit das Interesse des Klägers am Schutz seiner Vertraulichkeitssphäre. Denn mit Rücksicht auf die Diskussion um rechtsextreme Bestrebungen im Umfeld der AfD leisten die beanstandeten Presseartikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage. Aus diesem Grund darf in diesem Zusammenhang auch identifizierend über den Kläger berichtet werden.
Die Eilentscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist nicht anfechtbar. Dem Kläger steht die Möglichkeit offen, die Angelegenheit in einem Hauptsacheverfahren endgültig gerichtlich klären zu lassen. Die Vorinstanz hatte noch zugunsten des Klägers entschieden und das beantragte einstweilige Verbot der Berichterstattung erlassen.
Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 13.02.2019 Az. 6 U 105/18
Vorinstanz: Landgericht Mannheim, Urteil vom 03.08.2018, Az. 3 O 58/18“
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