Von Wolfgang Weichert – Stuttgart. Zwei Pflegekräfte eines Stuttgarter Krankenhauses berichten vom alltäglichen Wahnsinn auf einer sogenannten Interdisziplinären Station. Auf der Station mit 35 Betten und Personalmangel kämpfen die Pflegekräfte gegen die Arbeit an. Wobei eine einzige Pflegekraft oft alleine für bis zu 18 Patienten zuständig ist.
Morgens 6 Uhr in der Klinik: Die gehetzte Übergabe vom Nachtdienst, weil währenddessen wieder einmal fünf Patienten gleichzeitig klingeln und ein Patient ungeduldiger als der andere ist. Als der Nachtdienst schließlich völlig übermüdet und erschöpft den Heimweg antritt, beginnt die eigentliche Schicht.
Zu Schichtbeginn fallen folgende Arbeiten an: Tabletten kontrollieren, nebenbei das Telefon beantworten, das Klingeln der Patienten im Auge behalten und auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen. Demente, umherirrende Patienten wieder zurück in ihre Zimmer begleiten und das alles, bevor überhaupt alle ihre Medikamente erhalten haben, die Vitalzeichen kontrolliert und die Infusionen verabreicht wurden, unselbständige Patienten gewaschen und positioniert wurden, um zur Frühstückszeit essen zu können.
Hektik schon am frühen Morgen
Noch vor dem Frühstück: Ehe die erste Mahlzeit des Tages eingenommen wird, herrscht das reine Chaos – die ersten Patienten werden bereits zu Untersuchungen oder in den OP abgeholt und müssen vorbereitet sein. Die Visite beginnt und muss durch die Pflegekräfte begleitet werden, um den Austausch zwischen Ärzten und Pflege über das Geschehene und Anstehende zu gewährleisten und im Anschluss neu Besprochenes zeitnah umsetzen zu können.
Patienten möchten bereits vor dem Frühstück gewaschen werden, stürzen, weil sie ohne Schuhe aufstehen oder durch plötzliche krankheitsbedingte Veränderungen kollabieren. Den Gestürzten zurück ins Bett bringen, was meist alleine gar nicht möglich ist, zuvor den Arzt informieren, um Sturzfolgen abzuklären, falls nötig Schmerzmedikamente aushändigen oder Untersuchungen organisieren, um Hirnblutungen oder Knochenbrüche auszuschließen, schlussendlich noch ein Sturzprotokoll anlegen.
Mitten im Chaos ein Gespräch über den Tod
Der Nachbarpatient erbricht sich nach beendeter Chemotherapie, quält sich an die Bettkante, spricht davon, die Therapie nicht mehr fortführen zu wollen. Während der Patient in dieser Situation entsprechend unterstützt und ein Medikament gegen Übelkeit verabreicht wird, entsteht aus dem Nichts eine Unterhaltung über den Tod, schließlich seien die letzten Ergebnisse nicht vielversprechend gewesen, es sei eine palliative Situation, hieß es bei der Visite. Tränen fließen, Aussichtslosigkeit.
Ein Gespräch ist gefragt, Ruhe ausstrahlen, Halt und Kraft geben, trösten, Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen. Bloß nicht anmerken lassen, dass noch diverse Patienten auf einen warten, drei davon bereits klingeln und die Kollegin in der Tür steht, weil sie Hilfe bei einem Problem braucht, das sofort bewältigt werden muss.
Nach zwei Stunden an den Grenzen der eigenen Kraft
Im letzten Zimmer angekommen wartet ein Patient seit dem letzten Nachtdienstrundgang darauf, endlich seine Inkontinenzhose frisch gemacht zu bekommen, weil er sich selbst aufgrund seiner Erkrankung nicht melden konnte, damit früher jemand nach ihm hätte schauen können. Teilweise mehrere Stunden in den eigenen Ausscheidungen zu liegen, gehört leider zur Tagesordnung.
Nach nicht einmal zwei Stunden auf der Arbeit schon an den Grenzen der körperlichen und psychischen Kräfte angekommen zu sein – das ist leider zur Realität geworden. Auf einer interdisziplinären Station mit 35 Betten und fehlendem Personal ist man als einzige Pflegekraft an manchen Tagen für 17 oder 18 Patienten zuständig.
Von Pausen kann man nur träumen
Wenn es gut läuft, müssen nur etwa ein Drittel der zu betreuenden Patienten bei der Mobilisation, Nahrungsaufnahme und Körperpflege unterstützt werden, aber auch dies kann aufgrund der hohen Patientenzahl kaum gewährleistet werden. Dazu noch die medizinische Therapie, samt Infusionen, Medikamenten, Verbandswechsel, Drainagen- und Katheterkontrollen, Chemotherapien, Untersuchungen und Punktionen, nach welchen spezielle Überwachungsstandards eingehalten werden müssen – von dem absurden Dokumenationswahnsinn mal ganz abgesehen, der pro Patient teilweise mehrere Seiten umfasst. Da dies der einzige Nachweis ist, um die geleistete Arbeit abzubilden und sich selbst abzusichern, werden täglich Überstunden in Kauf genommen – von regelmäßigen Pausen kann man in diesem Beruf nur noch träumen.
Anmerkung der Redaktion:
Man kann im Interesse von Pflegekräften und PatientInnen nur hoffen, dass die Gesetzgebung schnellstmöglich etwas gegen den Pflegenotstand und gegen die übertriebenen Sparmaßnahmen in den Einrichtungen unternimmt.
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