Von unseren ReporterInnen – Pforzheim. Der extrem rechte „Freundeskreis Ein Herz für Deutschland“ missbrauchte erneut den Jahrestag der Bombardierung Pforzheims im Zweiten Weltkrieg, um zu einer „Fackelmahnwache“ aufzurufen und einen Opfermythos zu beschwören, ohne die Vorgeschichte des von deutschen Faschisten entfesselten Kriegs zu thematisieren. Nach Angaben der Polizei fanden sich am Samstagabend, 23. Februar, 110 Neonazis auf dem Wartberg ein. Andere Beobachter sprechen von bis zu 130 Neonazis. Sie stießen vor Ort auf den lautstarken Protest von laut Polizei 400, nach unserer Schätzung bis zu 650 NazigegnerInnen. Es gab keine Zwischenfälle.
Als die Fackeln brannten, entzündeten Protestierende unterhalb des Wartbergs und in seinem rückwärtigen Bereich Raketen und Feuerwerk. Auch ein Böller explodierte. Aus der Ferne waren in dem von der Polizei komplett abgeschotteten Aufmarschbereich Sprechchöre wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ gerade noch leise zu vernehmen.
Rechte dürfen sich vermummen
Die Polizei war mit Hunderten von Einsatzkräften und schwerem Gerät vor Ort – auch mit Wasserwerfern. Sie hatte den Freibad-Parkplatz auf dem Wartbergplateau komplett mit ihren Fahrzeugen und Mannschaften belegt und mit Hamburger Gittern abgesperrt. Auch die Hunde- und die Pferdestaffel waren im Einsatz. .
Die Einsatzleitung ließ das Gelände, auch den Aufmarschplatz der überwiegend mit dem PKW angereisten Fackelträger, mit Unterstützung des THW komfortabel und zum Teil taghell ausleuchten. Der Boden war extrem trocken. Auch die Feuerwehr stand für alle Fälle bereit, als die versammelten Neonazis kurz nach 19.40 Uhr ihre Fackeln anzündeten. Die Polizei schritt nicht dagegen ein, dass Fackelträger vermummt erschienen.
Protest in Sichtweite der Neonazis nicht möglich
Am späten Abend des 74. Jahrestages der Bombardierung von Pforzheim zog das Polizeipräsidium Karlsruhe vielmehr eine rundum positive Bilanz des Einsatzes. Das Konzept der „strukturierten Separierung“ habe sich erneut bewährt. Die Polizei habe ein Aufeinandertreffen beider Lager verhindern können. Es habe weder Fest- noch Gewahrsamnahmen und auch keine Verletzten gegeben, resümiert der Leitende Polizeidirektor Christian Ostertag als Einsatzleiter.
Auch habe die Polizei „das Recht auf Versammlungsfreiheit und den friedlichen Protest in vollem Umfang gewährleisten“ können. Allerdings fand er hinter einem breiten Korridor von Absperrungen in ungünstigem Gelände gerade noch in Hörweite, aber keinesfalls in Sichtweite der Fackelmahnwache statt, wie es das Versammlungsrecht vorsieht. Auch mussten sich Medienvertreter registrieren lassen, ehe sie zum Ort der „Mahnwache“ geführt wurden.
Freie Berichterstattung behindert
Dort bekamen sie einen kleinen, mit Gittern und Flatterband abgesperrten Bereich in einiger Entfernung zugewiesen, um Fotos und Filmaufnahmen zu machen. Von dort aus verfolgten auch der Erste Bürgermeister von Pforzheim Dirk Büscher und der Karlsruher Bundestagsabgeordnete der Linken Michel Brandt das Geschehen.
Die Beamten lehnten es ab, die Journalisten näher an die Fackelträger heranzuführen, wie es früher zum Teil der Fall war. Das wurde damit begründet, dass man die Sicherheit der Medienvertreter gewährleisten wolle. „Wir schützen Sie“, hieß es gegenüber den Journalisten, die per Megafon von den Neonazis als „linksextreme Presse“ tituliert worden waren. Auch der Chefredakteur der Beobachter News wurde namentlich genannt. Doch in Wirklichkeit behinderte die Polizei durch dieses Vorgehen die freie Berichterstattung und vermied es gerade, ihre Aufgabe zu erfüllen und die Medienvertreter bei ihrer Arbeit zu schützen.
Starke Delegation der „Omas gegen Rechts“
Im Vorjahr hatten sich nur 60 bis 70 Neonazis auf dem Wartberg versammelt. Bei dem Zulauf dürfte auch das für die Jahreszeit ungewohnt schöne Wetter eine Rolle gespielt haben. Zum Protest hatte die Initiative Pforzheim gegen Rechts unter dem Motto „Rechte Hetze und Gewalt stoppen – für eine offene, solidarische Gesellschaft“ aufgerufen.
Am Treffpunkt beim Bahnhof fanden sich antifaschistische Gruppen aus Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim, Landau und Kandel ein. Auch die Linke und ihre Jugendorganisation Solid war stark vertreten, ebenso die Grünen und gewerkschaftliche Gruppen. Mit etwa 50 Vertreterinnen kamen die „Omas gegen Rechts.“ Auch eine Trommelgruppe war vor Ort. Insgesamt hatten sich rund 750 NazigegnerInnen versammelt.
Zügig vom Hauptbahnhof zum Wartberg
Bei der Auftaktkundgebung sprachen Vertreter der Initiative gegen Rechts und von „Nicht lange fackeln“. Dann setzten sich um die 100 Menschen in Richtung Marktplatz in Bewegung, wo die Regionssekretärin des DGB Susanne Nittel für ein buntes und weltoffenes Pforzheim und Europa warb. An der Synagoge gab es einen Zwischenstopp.
Begleitet von einer Abordnung der Demo-Sanitätsgruppe Südwest zog der größere Teil der am Bahnhof Versammelten lautstark und ohne Zwischenfälle über die Nordstadtbrücke und durch die Heinrich-Wieland-Allee zügig zum Wartberg. Vor dem Café Hasenmayer hatten die Versorger aus Stuttgart ein Zelt aufgebaut, um warme und kalte Getränke und Verpflegung anzubieten. Dort gab es auch einen Stand des AABS (Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart und Region).
Lautstarke Sprechchöre gegen Neonazis
Die Demonstrierenden hielten sich jedoch nicht weiter auf. Ein Teil von ihnen marschierte hoch zum Wartberg. Andere versuchten, sich in kleinen Gruppen auf anderen Wegen dem Aufmarschort der Neonazis zu nähern. Der Polizei zufolge versuchten einige oben am Wartberg-Freibad, Absperrgitter zu übersteigen. Sie wurden aber von den Beamten zurückgedrängt.
Die Rückkehr der DemonstrantInnen zum Hauptbahnhof verlief ebenfalls ohne Zwischenfälle. Das Fazit der Initiative gegen Rechts am Sonntag: „Gestern demonstrierten rund 700 TeilnehmerInnen in Pforzheim gegen die rechte Fackelmahnwache auf dem Wartberg. Die zwei Demozüge zeigten friedlich und mit Nachdruck, dass wir keine rechten Geschichtsrevisionisten in unserer Stadt dulden! Die Gegendemo zum Wartberg in Kooperation mit dem Bündnis „… nicht lange fackeln“ verlief, entgegen den Erwartungen von Presse und Polizei, gewaltfrei! Wir hoffen, dass die generelle Kriminalisierung der Gegendemonstrant*innen auf dem Wartberg damit endlich ein Ende findet!“
Glocken und Kerzen zum Gedenken
Zwischen 19.50 Uhr und 20.12 Uhr hatten in Pforzheim wie jedes Jahr die Glocken im Gedenken an Menschen geläutet, die bei dem Bombenangriff getötet und verletzt wurden – aber auch an alle anderen Opfer des verbrecherischen Krieges. Auf dem Marktplatz versammelten sich etwa 400 PforzheimerInnen und entzündeten Kerzen.
Zuvor hatte Oberbürgermeister Peter Boch in seiner Rede auf der Markplatzbühne an alle, „die der von Deutschland entfesselte Bombenkrieg heimsuchte“, erinnert. Auch rief der Rathauschef zum gemeinsamen Gedenken an „alle Opfer von Krieg, Gewalt, Verfolgung und Unterdrückung auf der ganzen Welt“ auf. Schon tagsüber hatte es eine Reihe von Gedenkveranstaltungen gegeben, unter anderem auf dem Hauptfriedhof.
Siehe auch unsere frühere Berichterstattung in Sachen „Wartberg„.
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