Stuttgart. Nach einer Kundgebung gegen die Vertreibung von Mietern durch Modernisierung in der Forststraße 168 in Stuttgart haben AktivistInnen am Samstag, 9. März, ein seit langem leerstehendes Mehrfamilienhaus in der Forststraße 140 besetzt. Die BestzerInnen wollen bleiben. Doch einem Bericht des SWR zufolge droht die Stadt Stuttgart mit Räumung. Angeblich wolle der Eigentümer aufstocken.
Nach Angaben des Aktionsbündnisses Recht auf Wohnen sollen die Türen des Hauses offen gewesen sein. Es sei nichts beschädigt worden. „Es wäre unverantwortlich gewesen, diesen Leerstand länger zu dulden“ – so Maria Piave, eine Besetzerin.
Dutzende Menschen waren nach einer Kundgebung gegen Modernisierungsvertreibung wenige Häuser weiter durch die Straßen gezogen und besetzten das leerstehende Haus. Diese und bereits hinzugekommene UnterstützerInnen feierten spontan ein Fest im Gebäude, im Hof und davor. Es sammelten sich über Hundert Menschen, die deutlich ihre Sympathie für die Besetzung zeigten. Die Polizei beobachtete und filmte das Geschehen, griff jedoch nicht ein.
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AktivistInnen beenden Leerstand
Nach Informationen des Aktionsbündnisses soll das Haus bereits seit etlichen Jahren leer stehen. Dies sollen etliche Nachbarn bestätigt haben. Das mehrstöckige Haus habe über 20 Zimmer. Die Wohnungen seien zwar größtenteils renovierungsbedürftig, aber es seien teilweise noch vollständige Küchen eingebaut. Eine Wohnung soll gar bezugsfertig sein. Die notwendigen Renovierungsarbeiten bei den übrigen Wohnungen könnten potentielle neue BewohnerInnen selbst erledigen, meint das Bündnis in einer Erklärung. Wem das Haus gehört, sei nicht bekannt. Nach Angaben der Stadt soll es sich um eine Baugesellschaft handeln.
Maria Piave hierzu: „Uns ist egal wem das Haus gehört. In der derzeitigen Situation ist es Wahnsinn, Wohnraum ungenutzt zu lassen. Fakt ist: Häuser verfallen langsam aber sicher, wenn sie nicht bewohnt werden. Diesen Zustand haben wir jetzt beendet.“
Zwei Mietinteressentinnen stehen bereit
Zwei Frauen würden gern in Wohnungen in der Forststraße 140 einziehen. Die eine ist Tanja Klauke. Sie wohnt bisher ein paar Meter weiter in der Forststraße 168. Vor diesem Haus fand vor der Besetzung eine Kundgebung statt. Sie sollte darauf aufmerksam machen, dass die Besitzerin „Schwäbische BauWerk GmbH“ das Haus generalsanieren möchte und den Mietparteien danach Mietsteigerungen von bis zu 136 Prozent drohen. Tanja Klauke zahlt bisher 488,30 Euro für 66 Quadratmeter. Nach der Sanierung soll sie nach eigenen Angaben 1155,24 Euro zahlen.
Das kann sich die 44-jährige Krankenpflegerin, die im Stuttgarter Katharinenhospital arbeitet, nicht leisten. Die Wohnung sei „noch gut in Schuss, ein paar Kleinigkeiten könnte man schon richten, notwendig ist eine Generalsanierung aber bei Weitem nicht“, meint das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen und führt weiter aus: „Tanja Klauke würde zu gleichen Konditionen wie in ihrer bisherigen Wohnung in eine der Wohnungen in dem nun besetzten Haus ziehen.“
Tanja Klauke führte dazu aus: „Ich verstehe nicht, warum ich ausziehen muss und keine bezahlbare Wohnung finde, während ein paar Meter von meiner alten Wohnung entfernt ein ganzes Haus verfällt, weil es leersteht. Ich verstehe nicht, warum niemand etwas dagegen unternimmt.“
Die andere Frau, die in eine Wohnung einziehen würde, ist Rosevita Thomas. Die alleinerziehende Mutter eines zehnjährigen Sohnes soll bereits vor über einem Jahr aus ihrer Wohnung im Stuttgarter Westen geworfen worden sein, angeblich aus Eigenbedarf. Heute soll sich in der Wohnung ein Architektenbüro befinden. Sie besetzte im Frühjahr letzten Jahres eine von zwei Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße 4 in Stuttgart Heslach (wir berichteten). Nach einem Monat wurde sie zwangsgeräumt.
Die Wohnungen dort stehen immer noch leer, und Thomas muss sich seitdem mit ihrem Sohn ein kleines Zimmer bei ihrer Schwester teilen. Fündig sei sie auf dem Stuttgarter Wohnungsmarkt seitdem nicht geworden. Das Aktionsbündnis Recht auf Wohnen erklärt, „eine Wohnung in der Forststraße 140 wäre für die beiden optimal, sie hätten wieder eine eigene Bleibe in ihrer früheren Nachbarschaft“.
Ende des Wirtschaftens für Profitinteressen gefordert
Maria Piave: „Wir haben keine großen Erwartungen an Politik und Investoren. Sie haben über Jahre des Wirtschaftens für Profitinteressen statt für Menschen die Wohnungskrise verursacht. Wir appellieren an alle Menschen, selbst aktiv zu werden. Zum Beispiel indem sie die Besetzung unterstützen oder zur Mietendemo am 6. April kommen.“
Das Aktionsbündnis fordert bezogen auf das besetzte Haus: „Die Wohnungen müssen in bezahlbaren Wohnraum umgewandelt werden. Eine Renovierung ist sicher notwendig, eine Luxussanierung darf es aber nicht geben. Und natürlich sollen Tanja Klauke und Rosevita Thomas hier einziehen“. Besonders sehe man die Stadt hier in der Verantwortung, sich sofort und mit allen Mitteln dafür einzusetzen.
„Stadt steht in der Verantwortung“
Weiter erinnert das Bündnis an die seit 2016 geltende Zweckentfremdungssatzung der Stadt Stuttgart, die jedoch bis dato nicht wirksam durchgesetzt worden sei. „Im konkreten Fall der Forststraße 140 wäre daher die Enteignung ein gerechtfertigtes, wirksames und signalstarkes Mittel. Einige der aktuell 4700 auf der städtischen Warteliste für eine Sozialwohnung stehenden wohnungssuchenden Haushalte würden es sicher danken“, führt das Bündnis Recht auf Wohnen aus.
Regio-TV meldete am Dienstagabend, 12. März, dass sich das besetzte Haus in Privatbesitz befinde. Seit eineinhalb Jahren liege eine Baugenehmigung für das leerstehende Gebäude vor. Die Stadt werde gegen die Hausbesetzer nicht vorgehen. Im Gegensatz dazu meldete der SWR am Dienstagabend, dass die Stadt Stuttgart mit der Räumung des Hauses drohe.
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Weitere Bilder von der Besetzung in der Forststraße 140
Weitere Bilder von der Kundgebung vor der Forststraße 168
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