Gastbeitrag von Judith Klein – Stuttgart. Laute Musik ließ Spaziergänger*innen, die am Sonntag, 31. März, über die Stuttgarter Königstraße flanierten, neugierig innehalten. Zum „Transgender Day of visibilty“ (TDoV) hatten die queere Menschenrechtsorganisation 100 % MENSCH und der Arbeitskreis Baden-Württemberg der Deutschen Gesellschaft Transidentität und Intersexualität (dgti) eingeladen. Das Freie Radio für Stuttgart sendete live vom Schlossplatz.
Der Tag der Sichtbarkeit wird seit zehn Jahren von der Transcommunity begangen. Er soll bewusst einen Gegenpunkt zum Tag der Erinnerung an die ermordeten trans*Menschen (Transgender Day of Rememberance) sein.
Warum es für die betroffenen Menschen wichtig ist, einen Tag der Sichtbarkeit zu haben, fasste Janka Kluge, in Doppelfunktion als Moderatorin der Radiosendung und Vertreterin der dgti Baden-Württemberg, so zusammen: „Auch wenn sich viele von uns nach einem Leben sehnen, in dem sie nicht erkannt werden, und ein ganz normales Leben führen möchten, ist es wichtig, aus der Unsichtbarkeit herauszutreten. Emanzipation und verbesserte rechtliche und medizinische Versorgung gelingen nur, wenn wir sichtbar für unsere Rechte eintreten.“
Die Sichtbarkeit war an diesem Tag durchaus gegeben. Zum einen durch Interviews im Rahmen der Live-Sendung, zum anderen durch die Infostände, an denen sich Interessierte informieren konnten.
Als erstes informierte Holger Edmaier von 100 % MENSCH, warum es noch immer Defizite in der Anerkennung und Akzeptanz transsexueller Menschen, von Transgendern, sich nicht binär verortenden Menschen und Intersexuellen gibt. Nach diesem Aufschlag hielt Tessa Ganserer, Landtagsabgeordnete der bayrischen Grünen, eine Rede. Sie sprach darüber, wie es für sie war, erst vor wenigen Wochen ihr Coming Out gehabt zu haben.
- Tessa Ganserer (rechts), MdL Die Grünen, im Gespräch mit Janka Kluge
- Holger Edmaier von 100 % MENSCH
Davor lebte sie nach außen als Mann und versteckte ihr eigentliches Geschlecht so gut es ging. Irgendwann kam sie an den Punkt, „dass es für sie anstrengender wurde, den Mann zu spielen, als ganz Frau zu sein“. Sie überbrachte auch die Grüße vom Bundesverband Trans. Sie hatte dieses Treffen in Hamburg vorzeitig verlassen, um nach Stuttgart zu fahren.
Im anschließenden Interview erzählte sie, dass es nicht nur positive Reaktionen auf ihr Outing gab. Auf rechten Internetseiten wurde sie beschimpft und bedroht. Auf die Frage, was das mit ihr gemacht hat, sagte sie lakonisch: „Wer so danach lechzt, angezeigt zu werden, der soll es haben.“ Von Diskriminierungen berichtete auch die Moderatorin Dana Diezemann. Sie hat nach ihrem Outing die Arbeit verloren und war psychisch am Ende. Sie erzählte aber auch mit einem strahlenden Gesicht, wie wichtig es für sie trotz aller Widrigkeiten war, zu sich zu stehen. Vor allen Dingen auch, dass ihre Frau während des ganzen Prozesses fest an ihrer Seite stand. Dafür bekam sie fast den größten Applaus des Nachmittags.
Viele der Anwesenden wussten wahrscheinlich aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, Menschen an der Seite zu haben, die den Weg mitgehen – und wie schwer es ist, sie zu finden. Diesen Menschen hat auch Christin Löhner, die eine Selbsthilfegruppe für trans*Menschen am Bodensee leitet, gefunden. Sie hat ihre Frau in der Selbsthilfegruppe kennengelernt. Als die Presse über die anstehende Hochzeit berichtete, brach über die beiden ein wahrer rechter Shitstorm los. Ein gleichgeschlechtliches Paar, bei dem beide einen transsexuellen Hintergrund haben, sprengte die Toleranzgrenze vieler Menschen. Christin machte den Vorgang öffentlich und konnte so den Hassmails etwas entgegensetzen.
- Christin Löhner, Selbsthilfegruppe für trans*Menschen am Bodensee
- July Schmidt kandidiert für die Linken für den Stuttgarter Gemeinderat
Die Stuttgarterin July Schmidt macht im Moment auch ihren persönlichen Weg öffentlich. Sie kandidiert erkennbar als Frau noch unter ihrem alten Namen für die Linken für den Stuttgarter Gemeinderat. Da sie die Namensänderung noch nicht hat, ist sie gezwungen, entweder im falschen Geschlecht zu kandidieren, nur weil es so im Pass steht, oder sich aus der Politik herauszuhalten. Sie hat einen anderen Weg gewählt: Als offen lebende transsexuelle Frau mischt sie sich in die Politik ein.
Alle betonten, wie diskriminierend die bestehenden gesetzlichen Regelungen für sie sind. Tessa Ganserer formulierte es so, dass „es nicht akzeptabel ist, dass Betroffene für den Weg so viel Geld wie für einen Kleinwagen ausgeben“ müssen.
Dass Diskriminierung viele Gesichter hat, wurde durch das letzte Interview deutlich. Der Vater einer Tochter, von der er lange angenommen hatte, dass sie ein Junge ist, erzählte von ihr: „Ich hatte früher ein depressives Kind, jetzt ist sie fröhlich und steht mitten im Leben.“ Er hat mit anderen Eltern zusammen die Selbsthilfegruppe „Eltern / Angehörige transidenter Kinder und Jugendlicher“ gegründet. Die Gruppe besteht jetzt ein Jahr und hilft Eltern, mit der besonderen Situation ihrer Kinder umzugehen.
Wie wichtig dieser Tag der Sichtbarkeit für alle war, zeigte auch der Andrang an der Fotowand. Viele standen Schlange, um sich mit einem Schild wie „trans ist beautiful“ fotografieren zu lassen.
Am Schluss standen die Ankündigung und das Versprechen, weiter sichtbar zu bleiben und gemeinsam für mehr Rechte zu kämpfen. Möglichkeiten dazu bieten die Demonstrationen zum Christopher Street Day und der erste Trans*Pride day in Stuttgart am 7. September.
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