Von Andreas Scheffel – Berlin/Karlsruhe. Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im September 2018 in Berlin war, drangen Beamte der Bundestagspolizei ohne Anfrage und ohne dessen Erlaubnis in das Bundestagsbüro von Michel Brandt ein und entfernten Plakate. Der Karlsruher Abgeordnete der Linken sieht dadurch seine verfassungsmäßigen Rechte verletzt. Er hat Anfang April beim Bundesverfassungsgericht eine Organklage gegen Wolfgang Schäuble eingereicht, der als Bundestagspräsident über das Hausrecht und die Polizeigewalt in den Parlamentsgebäuden verfügt.
Es geschah am Samstag, 29. September 2018. Zu dieser Zeit hielt sich der türkische Präsident Erdogan in Berlin auf. Der Fall ist brisant. Das Gericht muss klären, ob überhaupt und unter welchen Voraussetzungen Polizisten in Büros von Bundestagsabgeordneten eindringen dürfen. Der Abgeordnete und seine Mitarbeiterin waren nicht anwesend. Sie wurden auch nicht vorab über die Maßnahme informiert. Michel Brandts Klage gegen das aus seiner Sicht unzulässige Eindringen in sein Bundestagsbüro richtet sich gegen Wolfgang Schäuble. Er besitzt als Bundestagspräsident in den Liegenschaften des Parlaments nicht nur das Hausrecht, sondern auch die Polizeigewalt.
Der Vorgang muss geklärt werden
An Fenstern der Räume Michel Brandts hingen insgesamt sechs farbige Abbildungen der Kurdistan-Flagge und eines YPG-Wimpels der kurdischen Volkseinheit in Syrien im Format DIN A 3. Sie waren teils innen an die Scheiben geklebt und teils außen angebracht.
„Es ist nicht ausgeschlossen, dass meine Räume auch durchsucht wurden“, erklärt dazu Michel Brandt: „Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, wodurch meine Rechte als Abgeordneter im Kern verletzt wurden. Ich bin daher gezwungen, vor dem Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen, dass die Bundestagspolizei nicht nach Belieben durch die Abgeordnetenbüros stöbern kann. Als Abgeordneter muss ich jederzeit sicher sein können, dass ich in meinen Büroräumen mein Mandat im Sinne von Artikel 38 des Grundgesetzes unbeeinträchtigt ausüben kann.“ Der Linken-Abgeordnete bewertet das Betreten seiner Räume als Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte.
Eindringen diente angeblich der Gefahrenabwehr
Die Polizei argumentiert, dass Erdogan-Anhänger sich von der Kurdistan-Flagge und dem Wimpel hätten provoziert fühlen und „in der Folge Aktionen zum Nachteil des Deutschen Bundestages unternehmen“ können. Sie drang mit Hilfe von Zentralschlüsseln in die Büroräume ein und entfernten alle Abbildungen, da eine Gefahrenlage bestünde.
Brandt sieht das anders: „Das ist an den Haaren herbeigezogen. Es gab keine unmittelbare Gefahrenlage, denn die Erdogan-Anhänger hielten sich woanders auf. Der weiträumig abgesperrte Bereich vor den Büroräumen diente lediglich der Zu- und Abreise des türkischen Präsidenten zum Hotel. Es waren im Bereich auch zahlreiche Polizisten vor Ort und der Zugang zum Bundestag durch gesicherte Pforten nicht ohne weiteres möglich.“ Zudem hätte sein Büroleiter informiert werden können, der eine Zugangsberechtigung für die Wochenenden hat. Dieser hätte auf Weisung die Abbildungen entfernen können.
Verwirrung über Anzahl der abgenommenen Plakate
Die Polizei behauptet, nur zwei Abbildungen im Format DIN A 4 abgenommen zu haben. Drei befanden sich in einem Umschlag, der im Büro verblieb, mit dem Vermerk „Plakatierung abgenommen gemäß §4 Abs. 2 Hausordnung anlässlich des Staatsbesuch des türkischen Präsidenten“, so Brandt. Die Hausordnung besagt unter §4, Abs. 2: „Es ist nicht gestattet, Spruchbänder oder Transparente zu entfalten, Informationsmaterial zu zeigen oder zu verteilen, es sei denn, es ist zur Verteilung zugelassen.“
„Abgesehen davon, dass zahlreiche Abgeordnete Plakate und Info-Material aushängen und zeigen, rechtfertigt die Hausordnung an dieser Stelle in keiner Weise das Eindringen der Polizei in die Abgeordnetenräume. Erst später ging die Polizei dann dazu über, von Gefahrenabwehr zu reden“, so Brandt.
Eindringen stellt Verletzung von Abgeordnetenrechten dar
Das Vorgehen der Polizei führte im Ältestenrat des Bundestags zu erheblicher Verärgerung. Insbesondere der Bundestagspräsident selbst habe seinen Unmut über die Aktion der Polizei ausgedrückt, berichtete der Linken-Abgeordnete Jan Korte. Nach dessen Auffassung müssten Abgeordnete sicher sein können, mit ihren Büroräumen ihr Mandat im Sinn von Artikel 38 des Grundgesetzes unbeeinträchtigt ausüben zu können.
Aus Sicht der Linksfraktion stellt das Eindringen der Polizei eine Verletzung von Abgeordnetenrechten dar. Es sei nicht auszuschließen, dass in dem Büro möglicherweise auch Informationen gesammelt wurden. „Um zu verhindern, dass die Bundestagspolizei zukünftig unter vorgeschobenen Gründen in Abgeordnetenbüros eindringt, wollen wir die Unzulässigkeit vor dem Bundesverfassungsgericht feststellen lassen“, erklärt die Fraktion.
In seiner Organklage verweist Brandt auch darauf, dass in den Büros der Mandatsträger üblicherweise – oft vertrauliche – Unterlagen gelagert seien, die Abgeordnete von Wählern erhielten. Diese Unterlagen genössen einen besonderen Schutz, der durch das Eindringen der Polizei in seiner Abwesenheit verletzt worden sei.
Folge uns!