Von Sahra Barkini und Wolfgang Weichert – Stuttgart/Ulm. In Stuttgart und in Ulm wurde am Samstag, 13. April, für ein freies Internet demonstriert. In Stuttgart versammelten sich am frühen Nachmittag etwa 200 Menschen auf dem Schillerplatz. Sie wollten trotz des nasskalten Aprilwetters noch einmal Flagge zeigen. Da die endgültige Entscheidung über die EU-Urheberrechtsreform am Montag, 15. April, von den EU-Mitgliedsstaaten getroffen werden sollte, war dies die letzte Gelegenheit, den Protest gegen die umstrittene Reform auf die Straßen zu tragen.
Inzwischen haben die EU-Staaten wie erwartet für die Reform gestimmt. Die Bundesregierung gab eine Protokollerklärung ab, derzufolge in Deutschland auf den Einsatz der umstrittenen Uploadfilter verzichtet werden solle.
Hätte Deutschland am Montag gegen die Reform gestimmt oder sich enthalten, wäre keine ausreichende Mehrheit zustande gekommen. Die Niederlande, Polen, Italien, Luxemburg, Finnland und Schweden stimmten mit „Nein“. Estland, Slowenien und Belgien enthielten sich. Nun haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit, die Reform umzusetzen.
Am Samstag hatten die DemonstrantInnen auf dem Stuttgarter Schillerplatz aber noch einen Funken Hoffnung und zeigten mit Plakaten, was sie von der Reform halten. Die Redner versuchten noch einmal, Mut zu machen, und wiesen immer wieder auf die Europawahl am 26. Mai hin. Bei ihr solle man ein Zeichen setzen.
„Um die Urheber geht es nicht“
Oliver Burkardsmaier (stellvertretender Landesvorsitzender der Piratenpartei) sagte: „Was vom ersten Tag an das Internet ausgemacht hat, war, dass sich jeder, der sich ein bisschen auskennt, frei bewegen kann und dass jeder frei an Informationen kommt. Als Urheber soll nur gezählt werden, wer einen Vertrag mit einem Rechteverwerter hat und mit dem seinen Ertrag teilt. Und auch, wer so einen Vertrag hat, wird durch die geplante Reform schlechter gestellt und muss in Zukunft mehr von seinen Einnahmen abgeben. Um Urheber geht es also überhaupt nicht. Es geht darum, dass die großen Rechteverwerter mehr Geld wollen. Wenn das Ding nächste Woche verabschiedet wird und bald jeder, der User Generated Content auf seiner Plattform erlaubt, einen Uploadfilter braucht, dann werden es gerade Firmen wie Facebook und Google sein, die es sich leisten können, solche Filter zu entwickeln, und dann als Service anzubieten.“
Zustimmung aus Koalitionsräson
Mark Simon (Landesvorsitzender der „Partei der Humanisten“) meinte, am Montag benötige es nur etwas Ehrlichkeit von Julia Klöckner (CDU), denn es handle sich einfach um das Einhalten des Koalitionsvertrages. Sogar die wirklichen Internetexperten von CDU und SPD (und natürlich alle unabhängigen) seien von Anfang an gegen die derzeitige Form der Urheberrechtsreform gewesen. Aber das scheine den restlichen Abgeordneten egal zu sein.
Der Demozug und die Kundgebung wurden unterstützt von V.T.S Veranstaltungstechnik, die wie bereits drei Wochen zuvor mit ihrer „Black Pearl“ dafür sorgten, dass der Demonstrationszug nicht zu überhören war. Die Demo führte vom Schillerplatz über die Bolzstraße zur Theodor-Heuss-Straße über die Olgastraße und Eberhardstraße am Marktplatz vorbei zurück zum Schillerplatz.
Diesel-DemonstrantInnen wunderten sich
Am Marktplatz, auf dem gerade die Abschlusskundgebung der Dieselfahrverbots-GegnerInnen stattfand, entstand eine grotesk anmutende Situation. Eine Vielzahl der Gelbwesten tragenden DemonstrantInnen schlossen sich dem Demozug an, der Initiator Joannis Sakkaros lief mit den Initiatoren der Urheberrechtsdemo vorne weg. Und so wurde der Weg zur Abschlusskundgebung auf dem Schillerplatz fortgesetzt.
Dort angekommen skandierten die DemonstrantInnen wieder das altbekannte „Wir sind keine Bots“ und „Nie, nie mehr CDU“, was bei einigen Dieselfahrverbots-GegnerInnen wohl auf Unverständnis stieß. Als dann Oliver Burkardsmaier die Dieselfahrverbots-GegnerInnen dafür kritisierte, dass die DUH (Deutsche Umwelthilfe) zum Feindbild auserkoren wurde, verließen viele die Kundgebung.
„Nie, niemals AfD“
Zum Abschluss sprach der Stuttgarter Bezirksbeirat Michael Knödler von der Piratenpartei. Er kritisierte, dass Europa als Innovationsstandort komplett abgehängt werde, und fuhr fort: „Vor ein paar Jahren, sagte man noch, die Jugend von heute sei nur noch politikverdrossen und desinteressiert. Schuld daran war eine Politik, die politikverdrossen macht. Deswegen brauchen wir eine neue, transparente und ehrliche Politik, die sich auch für das einsetzt, was sie verspricht, und keine Partei, die sagt, wir sind dagegen, aber wenn es darauf ankommt dafür stimmt. Keine Partei, die ihre Grundwerte verrät, nur um ihren Koalitionspartner nicht zu verärgern. Die TeilnehmerInnen skandierten daraufhin „Nie, nie mehr CDU“, „Nie, nie mehr SPD“ und „Nie, niemals AfD“.
An der Internet-Demonstration in Ulm waren nach Veranstalterangaben 150 DemonstrantInnen beteiligt.
Insgesamt gab es am Samstag in Stuttgart fünf Demonstrationen. Neben zwei Pro-Dieseldemos und der Demo für ein freies Internet waren auch eine Kurdendemo und eine Fahrraddemo unterwegs.
Kritische Szenen bei Protest gegen Erdogan
Um 14 Uhr trafen sich am Rotebühlplatz die Kurden mit rund 50 TeilnehmerInnen, um gegen das Erdogan-Regime in der Türkei zu protestieren. Hier kam es zu einer kritischen Szene, als türkische Landsleute die Kurden beschimpften und das Zeichen der grauen Wölfe zeigten. Außerdem wurden sie von einer Gruppe betrunkener Deutscher angegangen, bis die Polizei einschritt und diese Personen den Platz verwiesen.
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