Von Anne Hilger – Heilbronn. „Es ist für mich ein besonderer Ort, weil hier eine thüringische Polizistin ermordet wurde“, bekannte der Erfurter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bei einen Besuch in Heilbronn am Mittwoch, 24. April. Es war der Vortag des Jahrestags des Mords an Michèle Kiesewetter im Jahr 2007. Ramelow hat in Thüringen den bundesweit ersten NSU-Untersuchungsausschuss auf den Weg gebracht. Er sei „zigmal am Tatort auf der Theresienwiese“ gewesen und habe „viele endlose Telefonate“ mit Clemens Binninger (CDU), dem Vorsitzenden des 2. NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, über den möglichen Ablauf des Verbrechens geführt. „Es kann nicht angehen, dass soviel Vertuschung bleibt“, sagte Ramelow.
Der Ministerpräsident von Thüringen glaubt nicht daran, dass sich der Täterkreis auf „die beiden Uwes“ Böhnhardt und Mundlos und die in München verurteilte Beate Zschäpe beschränkt. Das erklärt Bodo Ramelow, der zwei Bücher über den „Nationalsozialistischen Untergrund“ herausgegeben hat, auf dem Kiliansplatz an der ersten Station seines Heilbronn-Besuchs: „Es bleibt dichter, undurchdringlicher Nebel.“
Wer mit Blick auf den Mord in Heilbronn jahrelang von Sinti und Roma als möglichen Tätern gesprochen hat, habe sich mitschuldig am Mangel an Aufklärung gemacht: „Man wusste, dass es eine hohe Gewaltbereitschaft von Rechten, dass es eine militärische Zurichtung und Aufrüstung gab.“
Linke fordert höhere Investitionen in die Bahn
Aktuell mache er sich große Sorgen. „Bei uns brennt gerade der Wald“, berichtete der 63-Jährige bei seinem Wahlkampfauftritt am Stand der Linken um die Mittagszeit. JournalistInnen und KandidatInnen der Linken zur Kommunalwahl waren gekommen, um den thüringischen Ministerpräsidenten zu hören, ebenso einige PassantInnen. Florian Vollert, Sprecher des Kreisverbands der Linken Heilbronn-Unterland, begrüßte die Versammelten. Dann sprach Ramelow als erstes Thema die Klimakrise an. Spanien ertrinke gerade im Regen, doch er wäre froh, wenn in Mitteleuropa mehr Wasser vom Himmel käme. In Thüringen sei es derzeit so trocken wie sonst im Juli.
Er habe vergangene Woche die Bewegung „Fridays for Future“ besucht und sich gefreut, den SchülerInnen als oberster Dienstherr der Lehrer frei geben zu können. „Wir müssen mit den SchülerInnen reden“, ist für Ramelow keine Frage – etwa über die Auswirkungen des längst überfälligen Klimaschutzes beispielsweise auf die Verkehrspolitik. „Egal, von welcher Seite man nach Heilbronn kommt: Man steht immer im Stau und in Stuttgart immer im Smog.“
„Wir müssen über einen funktionierenden öffentlichen Verkehr reden, mit dem die Leute von A nach B kommen – und zwar so, dass es bezahlbar ist. Die Infrastruktur der Bahn sei lange vernachlässigt worden. Man brauche ein Konzept, den Schienenverkehr von Steuern zu befreien und billiger zu machen, aber gleichzeitig auszubauen. Doch dazu brauche der Staat Geld. Es gehe nicht, dass große Konzerne die Infrastruktur nutzen, aber nichts zu ihrem Unterhalt beitragen: „Wenn alle bei Amazon und Zalando bestellen und die keinen Cent Steuern in Deutschland bezahlen, dann akzeptieren wir das als Linke nicht.“
Thüringen habe 350 Millionen Euro vom Bund zur Elektrifizierung der Strecken erkämpft. Es gebe ein vom Land stark bezuschusstes Monatsticket für Azubis. „Es lohnt sich, sich in der Kommunalpolitik auf städtische und regionale Verkehre zu konzentrieren“, empfahl Ramelow. Doch der Bund müsse seinen Teil beitragen.
Ramelow: Bessere Kinderbetreuung auch im Westen nötig
Das sei nur ein Beispiel dafür, wie eine von links-geführte Regierung agiere. „Ich komme aus einem armen Bundesland in eine reiche Stadt“, sagte der frühere Gewerkschaftssekretär der HBV, um gleich danach zu betonen: „Bochum ist die ärmste Stadt. Es ist keine Frage von Ost und West, sondern von oben und unten.“
Man wolle in Thüringen auch, dass keine Beiträge mehr für Kinderbetreuung verlangt werden. Die Einrichtungen seien in Thüringen gesetzlich garantiert 10 Stunden täglich geöffnet. Nun brauche man ein ebenso verlässliches Angebot an Ganztagsschulen mit Horten. In Thüringen sei die Erwerbstätigkeit von Frauen doppelt so hoch wie im Westen. „Ihr gebt zu wenig Geld für Kinderbetreuung aus.“
Eintrag ins Goldene Buch von Heilbronn

Bodo Ramelow trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Heilbronn ein. Rechts hinter ihm Oberbürgermeister Harry Mergel und Konrad Wanner.
Neben dem Verbrechen an der Thüringerin Kiesewetter gebe es einen weiteren Bezug seines Bundeslands zur Stadt Heilbronn, sagte Ramelow, als ihn im Anschluss Oberbürgermeister Harry Mergel im Rathaus empfing und er sich als erster linker Ministerpräsident ins Goldene Buch der Stadt eintrug: die Bundesgartenschau, die derzeit in Heilbronn läuft und 2021 in Erfurt ausgerichtet werden soll. Mergel bedachte seinen Gast mit Wein und dem Gartenschau-Maskottchen, ehe er ihn über das Gelände führte.
Noch im Rathaus beschrieb Mergel scherzhaft seine Lebensdevise: „Ich wollte bis dreißig in die Schule, bis sechzig arbeiten und dann bis neunzig Rente beziehen.“ Auch hier kam Ramelow auf die ermordete Michèle Kiesewetter zu sprechen und berichtete von seinen Telefonaten mit Binninger. Gemeinsam habe man jede neue Entwicklung und jeden neuen Ermittlungsansatz verfolgt: „Da musst Du irgendwann überlegen, ob Du weiße Mäuse siehst.“
Walter Vielhauer als weiteres Bindeglied
Konrad Wanner, Spitzenkandidat der Linken für die Gemeinderatswahl, sprach einen dritten Bezugspunkt zwischen Thüringen und Heilbronn an: Walter Vielhauer – Gewerkschafter, KPD-Funktionär und Widerstandskämpfer gegen den Faschismus, war unter anderem im KZ Buchenwald interniert und gehörte dort dem internationalem Häftlingskomitee an.
1909 in Reutlingen geboren, zog seine Familie 1914 nach Heilbronn. Von 1924 bis 1932 arbeitete er bei der Firma Bruckmann. Er organisierte sich gewerkschaftlich und ab 1930 in der KPD. Von den Nazis 1933 in Schutzhaft genommen, war Vielhauer bis April 1945 unter anderem in den KZs Dachau, Mauthausen und Buchenwald. In Buchenwald war Walter Vielhauer an der Rettung des jüdischen Kindes Stefan Jerzy Zweig und an der Befreiung des KZ beteiligt.
Nach dem Krieg von der US-Verwaltung als Dezernent für Wohnungsfragen eingesetzt, gehörte er als KPD-Mitglied von 1948 bis 1958 dem Heilbronner Gemeinderat an. Mit dem KPD-Verbot erneut in die Illegalität gezwungen, musste er lange außerhalb Heilbronns arbeiten. Bis kurz vor seinem Tod engagierte sich Vielhauer gewerkschaftlich, in der VVN und gegen die Atomraketen auf der Waldheide.
„Wir kämpfen darum, dass er in Heilbronn gewürdigt wird“, sagte Konrad Wanner. Auch in Buchenwald sei eine entsprechende Würdigung bisher ausgeblieben, da er die KZ-Haft dort nur mit einem französischen Namen als Häftling Nr. 39282 überlebte.
Bodo Ramelow, der die Geschichte Walter Vielhauers bisher nicht kannte, zeigte sich beeindruckt. „Ich nehme das Anliegen gerne mit“, sagte er. Ramelows Wahlkampftour führte weiter nach Mannheim und Heidelberg.
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