Von Paul Linker – Stuttgart. Wie wir bereits berichteten, wurde im Mai 2018 ein Obdachloser vom Verwaltungsgericht Stuttgart zur Zahlung der sogenannten Rundfunkgebühr verurteilt (siehe „Obdachloser muss Rundfunkbeitrag bezahlen„). Der Mann bekam jetzt in einer weiteren Instanz vor Gericht Recht.
Der Mann hatte sich mit einer Klage gegen einen Festsetzungsbescheid des SWR über 600 Euro gewehrt. Nach seiner Ansicht war dieser Bescheid nicht gerechtfertigt, da er nur eine Meldeadresse bei einer Bekannten hatte, dort aber gar nicht wohnte.
Schon im Mai 2018 argumentierte der Mann, dass er einen alternativen Lebensstil bevorzuge. Er habe nur deshalb eine Meldeadresse, um regelmäßig seine Post erhalten zu können und bei Kontrollen vor staatlichen Repressionen besser geschützt zu sein. Ihm sei bekannt, dass es bei häufig willkürlichen Personenkontrollen immer wieder vorkomme, dass Obdachlose ohne feste Meldeadresse gerne mal mit auf die Wache genommen werden. Da lasse das kapitalistische Gesellschaftsmodell grüßen, dass Armut und eine aus bürgerlicher Sicht fremde Lebensweise gerne diskriminiere.
Klage abgelehnt wegen Anwaltszwangs
Im Mai 2018 fand der Mann beim Verwaltungsgericht Stuttgart unter Vorsitz des damals zuständigen, überfordert wirkenden Einzelrichters Epple kein Verständnis für seine Argumente. Er wurde zur Zahlung der offenen GEZ-Gebühren verurteilt.
Eine Berufung des Mannes gegen dieses Urteil beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim wurde mit den lapidaren Hinweisen abgewiesen, das der Mann angeblich Fristen versäumt hätte und vor allem keinen Anwalt hatte. Vor dem Verwaltungsgerichtshof gilt ein Anwaltszwang. Wer sich keinen Advokaten leisten kann, hat eben Pech gehabt.
Unmittelbar nach der Ablehnung der Berufung meldete sich bereits im Juni 2018 der SWR mit Nachdruck bei dem betroffenen Obdachlosen, um die offene Gebühr einzufordern. In der Folge erfüllte der Mann mit der Unterstützung solidarischer Freunde und Bekannter diese Forderung trotz seiner sehr prekären finanziellen Situation, um möglichen Repressionen zu entgehen.
SWR beauftragt Gerichtsvollzieherin
Nun entwickelte sich ein sehr kurioser Verlauf: Da das Konto des Mannes aufgrund seiner persönlichen Situation keine Deckung besaß, wurden zunächst Barzahlungen per Brief an den SWR gesandt – verbunden mit der Bitte, Ratenzahlung zu akzeptieren. Das Geld wurde vom SWR umgehend zurückgesandt, zusammen mit dem Hinweis, das der SWR aus Gründen der „Verwaltungspraktikabilität“ grundsätzlich keine Barzahlungen akzeptiere.
Gleichzeitig beauftragte der SWR die Gerichtsvollzieherin des Amtsgerichts Stuttgart Frau Herrmann mit der Vollstreckung der Forderung. Diese Gerichtsvollzieherin spielte in der Folge noch eine merkwürdige Rolle.
Solidarischen Freunden des Obdachlosen gelang es tatsächlich, die geforderte Summe innerhalb einer sehr knapp bemessenen Frist auf das Konto der Gerichtsvollzieherin zu überweisen, um damit einer möglicherweise drohenden Erzwingungshaft zu begegnen.
Gerichtvollzieherin Herrmann aber behauptete, die Summe sei nicht vollständig eingegangen. Es wurden ständig neue Rechnungen und „Überweisungsgebühren“ präsentiert, die für den Schuldner keinesfalls nachvollziehbar waren. Auskünfte wurden nicht erteilt. Die Gerichtsvollzieherin wies in ihren Schreiben stets darauf hin, dass sie zu der Anrechnung dieser oder jener Zahlung „nichts sagen könne“ beziehungsweise „nicht beurteilen könne“, ob Zahlungen beim Gläubiger SWR eingegangen seien.
SWR verschickt neue Bescheide
Auch der SWR schien nun frisches Blut geleckt zu haben – vermutlich nach der Devise, wenn der Kerl schon zahlt, kann er ja gleich noch mehr zahlen. Im August und Oktober 2018 wurden neue „Festsetzungsbescheide“ des SWR über erneut 600 Euro an die Meldeadresse des Mannes gesandt.
Nach reiflicher Überlegung und trotz schlechter Erfahrungen entschloss sich der Obdachlose, erneut Klage gegen die aus seiner Sicht nicht gerechtfertigten weiteren Forderungen beim Verwaltungsgericht Stuttgart einzureichen.
Am 5. April fand die Verhandlung in den neuen und edlen Räumen des Verwaltungsgerichtes in der Schellingstraße in Stuttgart statt. Überraschenderweise lud der neue Einzelrichter Volkmann auch die eigentliche Mieterin der Wohnung als Zeugin, um Aufklärung über die Wohnverhältnisse des Mannes zu erhalten.
Mieterin plädiert für Solidarität
Die Zeugin, wegen ihrer eigenen prekären Situation selbst von der Zahlung der Rundfunkbeiträge befreit, nutzte ihre Aussage zu einem Plädoyer dafür, anderen Menschen in Notlagen eine solidarische Unterstützung zu geben und damit auch ein Zeichen gegen Wohnungsnot, prekäre Verhältnisse und die zunehmende soziale Kälte und Verdrängung unliebsamer Personen aus dem öffentlichen Bewusstsein zu setzen. Die Zeugin wollte mit ihrer Aussage „ein klares Zeichen gegen die kapitalistischen und menschenverachtenden Zustände der bürgerlichen Gesellschaft“ setzen.
Die Zeugin berief sich ausdrücklich auf die im Grundgesetz festgehaltenen Grundrechte, was bei Richter Volkmann auf wenig Verständnis stieß. Da es im Folgenden, wie schon bei der Verhandlung im Mai 2018, erregte Zwischenrufe aus den Reihen der Zuhörer gab, endete der Prozess erneut recht tumultuös.
Richter erklärt SWR-Bescheide für rechtswidrig
Das Urteil, welches dem betroffenen Mann nicht einmal eine Woche später zugestellt wurde, hatte es aber dennoch in sich. Richter Volkmann zeigte in diesem Urteil großes Verständnis für die Argumente des Mannes und gab ihm in allen Punkten recht. Die Argumente der Zeugin, dass auch Obdachlose eine Meldeanschrift haben sollten, akzeptierte der Richter ebenfalls.
Die Bescheide des SWR seien rechtswidrig. Sie verletzten den obdachlosen Mann in seinen Rechten, entschied Richter Volkmann. Die Kosten des Verfahrens wurden dem SWR auferlegt.
Der betroffene Obdachlose hofft nun auf Ruhe in dieser unangenehmen Angelegenheit. Ihm ist aber klar, dass sich eine Vielzahl anderer Menschen in ähnlichen Situationen befinden.
Dieses Urteil könnte sehr wohl eine gewisse Symbolkraft haben, allerdings besteht für den SWR noch die Möglichkeit, Berufung gegen das Urteil vor dem Verwaltungsgerichtshof einzulegen.
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