Von Sahra Barkini – Stuttgart. „Kein Tanz ist illegal“: Am Karfreitag, 19. April, wurde ab 17 Uhr auf dem Karlsplatz in Stuttgart und in weiteren Städten gegen das Tanzverbot „angezappelt“? Denn wirkliches Tanzen ist nicht gestattet. Wie das überprüft und beurteilt werden kann, was als zappeln gilt und was als tanzen, ist jedoch rätselhaft. Auch in Karlsruhe gab es eine Demonstration.
Zu der Demonstration hatten die Piratenpartei, die Jusos Stuttgart, die GBS Stuttgart (Giordano Bruno Stiftung), die Partei der Humanisten und die Climax Institutes aufgerufen.
Etwa 350 Menschen versammelten sich zum „Protestzappeln“. Es galten strenge Auflagen für die Veranstaltung, so waren nur 10 Minuten Musik pro halbe Stunde erlaubt. Die restliche Zeit war für Reden vorgesehen.
„Auch das kirchliche Arbeitsrecht abschaffen“
Oliver Burkardsmaier von den Piraten begrüßte die Anwesenden: „Verehrte Gemeinde. Heute vor ungefähr 1980 Jahren oder so…Quatsch. Hallo Stuttgart! Willkommen zu unserer Demonstration für die Trennung von Kirche und Staat, an diesem wunderschönen 19. April!“ dann fuhr er fort: „Warum demonstrieren wir für eine Trennung von Kirche und Staat? Dabei geht es keineswegs nur um die stillen Feiertage. Wir demonstrieren heute, am Karfreitag, weil man uns heute zuhört. Wir wollen auch, dass das kirchliche Arbeitsrecht abgeschafft wird. Das erlaubt es nämlich, Mitarbeitern zu kündigen, weil sie schwul oder lesbisch sind. Und sogar, wenn sie sich scheiden lassen. Wir reden hier übrigens von Arbeitsplätzen, die zum großen Teil mit Steuermitteln finanziert werden. In Deutschland ist so eine Diskriminierung aus gutem Grund verboten. Nicht aber für die Kirchen. Die dürfen das, und das wollen wir abstellen.“
Er erklärte, dass nicht gegen die Kirchen demonstriert werde, und wer glauben möchte, das dürfe. Aber die Kirchen sollten keinen Einfluss auf die Gesetze des Landes nehmen. „Wir wollen diese Dauer-Alimentierung der Kirchen beenden. Wir wollen, dass unserem Grundgesetz endlich Geltung verschafft wird! Rücksichtnahme ist keine Einbahnstraße.“ Anmerkung: Die vollständige Rede kann unten nachgelesen werden.
„Verordnete Trauer ist ein Trauerspiel“
Für die GBS Stuttgart sprach Christoph Houtman (Pressesprecher der Regionalgruppe). Er berichtete, dass die GBS die Filmvorführung „Das Leben des Brain“ gerichtlich erstritten hat. „Wir haben für diese Vorführung eine Ausnahmegenehmigung vom Feiertagsgesetz beantragt, die das Ordnungsamt der Stadt Stuttgart – nach Rücksprache mit der katholischen und protestantischen Kirche – nicht erteilen wollte. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat dann letztendlich am Dienstag zu unseren Gunsten entschieden – aber nur für eine Filmaufführung in kleinem Maßstab, und das finden wir unfair: Begrenzte Anzahl von TeilnehmerInnen, Isolieren der Räumlichkeiten durch das Verbot, während der Veranstaltung Türen und Fenster zu öffnen, damit religiöse Feierlichkeiten nicht gestört werden. Um das klar zu sagen: Wir wollen keine religiösen Feierlichkeiten stören. Jeder soll das Recht haben, den Feiertag nach seiner Fasson zu begehen. Aber dieses Recht wollen wir auch.“
Christoph Houtman sagte weiter, dass das Stuttgarter Ordnungsamt als Grund noch anführte, dass der heitere Film bewirken könnte, dass der Alkoholkonsum steigt“ und kommentiere dies folgendermaßen: „Also mich treiben eher die Kräfte in den Suff, die sich in unserem Land der konsequenten Trennung von Kirche und Staat widersetzen.“ Er schloss seine Rede mit folgendem Satz: „Verordnete Trauer ist keine Trauer, sondern ein Trauerspiel. Und dieses Trauerspiel müssen wir beenden!“
Ein Verbot aus der Nazizeit
Für die Partei der Humanisten sprach der Landesvorsitzende Mark Simon. Er erklärte, dass das Tanzverbot ursprünglich 1939 eingeführt wurde, um dem „Ernst der Lage zu entsprechen“. Den Höhepunkt erreichten diese strikten Verbote ab Februar 1943 nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad und der Kapitulation der 6. Armee. Laut NS-Propaganda sollte das Tanzverbot als „ein Ausdruck der Solidarität der Jugend mit der kämpfenden Front“ gesehen werden.
Die Begründung der Tanzverbote sei erst nach den Weltkriegen als „religiöse Tradition“ gedeutet worden. Heute werde das staatliche Tanzverbot allgemein religiös begründet. Der Staat verpflichte an diesem Tag alle Bürger, keinen Spaß zu haben. Simon sagte: „Wir, die Humanisten, hatten in Freiburg eine eigene Tanzveranstaltung geplant unter dem Heidenspaß-Motto. Daran, dass wir hier sind, könnt ihr euch denken: Unsere Tanzveranstaltung wurde untersagt.“
Auch Jusos für Trennung von Kirche und Staat
Heiner Scholz von den Stuttgarter Jusos schloss sich seinen Vorrednern an, denn die Jusos setzten sich ebenfalls für eine Trennung von Kirche und Staat ein und lehnen daher Privilegien wie das Tanzverbot für die beiden christlichen Kirchen ab.
- Heiner Scholz von den …
- … Jusos zeigte sich …
- … sichtlich verblüfft
Im Vorfeld sorgte die Unterstützung dieser Demonstration durch die Jusos für Zoff mit der Stuttgarter CDU. Der Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann (CDU) warf sowohl den Jusos als auch den Piraten vor, keine Achtung gegenüber Christen aufzubringen, und empfand die Tanzdemo als „inakzeptable Provokation“.
„Anders- und Nichtgläubige nicht einschränken“
Ein weiterer Redner war Stephan Erdmann von den Piraten. Er sagte: „Das Tanzverbot an Karfreitag ist eine moderne Form der Passion Christi. Ein christliches Ritual öffentlicher Trauer. Wer sich zum Christentum bekennt, darf dies gerne tun, aber sollte die anders Gläubigen oder Nichtgläubigen in Deutschland nicht einschränken.“
Am 19. April könne man auch an andere Ereignisse ohne christlichen Bezug erinnern oder ihrer gedenken. Beispielsweise begannen am 19. April 1943 der Aufstand des Warschauer Ghettos und der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Ausschwitz. Dies rettete das Leben von 1618 JüdInnen. Es gebe mehr als genug Gründe, dieses Datum zu feiern, ohne ein Ritual zu praktizieren, das eine einzelne Religion vorschreibt.
Nur rhythmisches Bewegen erlaubt
Die Demonstration auf dem Karlsplatz, sowie der sich anschließende Demozug wurde unterstützt von „VTS-Heyl und der Black Pearl“. Allerdings durfte der DJ die 12 000 Watt aufgrund des stillen Feiertags nicht annähernd nutzen. Aber während des Zuges durch die Stuttgarter Innenstadt durfte die gesamte Strecke Musik gespielt werden, doch selbstverständlich nicht getanzt. Es war nur erlaubt, sich rhythmisch zu bewegen.
Da um 19 Uhr in der Stiftskirche ein Konzert stattfand, setzte sich der Demonstrationszug gegen 18.50 Uhr in Bewegung. Die Strecke führte Richtung Charlottenplatz zum Gebhard-Müller-Platz, am Hauptbahnhof vorbei und endete auf dem Börsenplatz.
ZuschauerInnen freuen sich am Zappeln
Die gute Stimmung der DemonstrantInnen schien sich auch auf PassantInnen zu übertragen. Viele freuten sich „zappelnd“ am Straßenrand stehend über die etwas andere Art der sonst bekannten Karfreitagsprozession. Hin und wieder schlossen sich überwiegend junge PassantInnen dem Demonstrationszug an.
Im Anschluss zeigte die GBS im „LSBTTIQ Weissenburg Zentrum“ den Film „Das Leben des Brain“. Nach Veranstalterangaben schauten sich circa 50 Personen den Monty-Python-Streifen an.
„Eiertanz zum Hasenfest“
Nicht nur in Stuttgart wurde an diesem Tag gegen das Tanzverbot demonstriert. Auch in Karlsruhe veranstaltete die GBS auf dem „Platz der Grundrechte“ eine solche Demonstration. Mit Spaß, Tanz und Musik solle auf die Einschränkungen der Weltanschauungsfreiheiten aufmerksam gemacht werden. Unter dem Motto „Eiertanz zum Hasenfest“ versammelten sich nach Veranstalterangaben circa 100 TänzerInnen.
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Die Rede des Piraten Oliver Burkardsmaier im Wortlaut:
„Trennung Kirche Staat
Verehrte Gemeinde.
Heute vor ungefähr 1980 Jahren oder so…
Quatsch.
Hallo Stuttgart!
Willkommen zu unserer Demonstration für die Trennung von Kirche und Staat, an diesem wunderschönen 19. April!
Eingeladen zu unserer Demonstration haben die Piratenpartei, die Jusos, Partei der Humanisten, Giordano-Bruno-Stiftung, und der Club Climax institutes.
Und natürlich VTS Heyl, die uns die Black Pearl geliehen haben.
Ich finde, dafür haben die einen dicken Applaus verdient!
Heute ist Karfreitag. Laut Landesgesetz in Baden-Württemberg ein stiller Feiertag. Übrigens auch in allen anderen Bundesländern.
Allerdings nicht nicht für Krankenpfleger, Polizisten, Rettungswagenfahrer, aber auch Mitarbeiter des Zoll und diverse andere Berufe. Die „dürfen“ heute arbeiten. Aber tanzen dürfen sie trotzdem nicht.
Wir hören immer wieder, warum es denn nicht möglich wäre, an einem einzigen Tag im Jahr aufs Tanzen zu verzichten.
Mal abgesehen davon, dass ich gerne wüsste, warum man der Kirche – der ich nicht angehöre – erlauben sollte, festzulegen, welcher Tag das sein soll:
In Baden-Württemberg gibt es nicht einen, sondern sieben stille Feiertage.
Am Gründonnerstag ab 18.00 Uhr, am Karfreitag ganztags, am Karsamstag bis 20:00 Uhr, an Allerheiligen von drei Uhr früh bis Mitternacht, am Volkstrauertag ab fünf Uhr früh, am Buß- und Bettag ab drei und am Totensonntag wieder ab 5 Uhr früh.
Der Volkstrauertag ist dabei übrigens der einzige säkulare.
In Bayern kommen noch der Aschermittwoch und Heiligabend dazu, in Hessen die Oster- und Pfingsttage, Fronleichnam und die Weihnachtstage.
Am wenigsten stille Feiertage haben übrigens Berlin und Bremen, die nur an drei Tagen im Jahr, und auch nur tagsüber das Tanzen verbieten.
An den stillen Feiertagen darf man nicht tanzen. Das wussten wir ja bereits. Außerdem ist an diesen Tagen Glücksspiel verboten und sportliche Wettkämpfe.
Dazu gehören übrigens auch Schachturniere. Vermutlich, weil da die Fans immer so laut jubeln und randalieren?
Und dann sind an diesen Tagen auch noch eine ganze Menge Filme verboten.
Über 700 sind das mittlerweile.
Nicht nur eine Menge wirklich peinlicher Softsexfilmchen aus den sechzigern und siebzigern, die wohl kaum einer vermisst, auch jede Menge Action- und Horrorfilme.
Ebenso so anrüchige Streifen wie „Heidi in den Bergen“ oder „Mary Poppins“. Warum auch immer.
Und natürlich „Life of Brian“.
Die Giordano-Bruno-Stiftung zeigt den Film übrigens heute Abend im Weissenburg—Zentrum, ab 20:00 Uhr.
Warum demonstrieren wir für eine Trennung von Kirche und Staat? Dabei geht es keineswegs nur um die stillen Feiertage. Wir demonstrieren heute, am Karfreitag, weil man uns heute zuhört.
Wir wollen auch, dass das kirchliche Arbeitsrecht abgeschafft wird.
Das erlaubt es nämlich, Mitarbeitern zu kündigen, weil sie schwul oder lesbisch sind. Und sogar, wenn sie sich scheiden lassen. Wir reden hier übrigens von Arbeitsplätzen, die zum großen Teil mit Steuermitteln finanziert werden.
In Deutschland ist so eine Diskriminierung aus gutem Grund verboten. Nicht aber für die Kirchen. Die dürfen das, und das wollen wir abstellen!
Und dann ist da noch die Sache mit den Staatsleistungen.
Die Staatsleistungen, das sind Zahlungen, die der deutsche Staat jedes Jahr an die evangelische und die katholische Kirche leistet, zusätzlich zu den Kirchensteuern.
Ursprünglich mal waren das Entschädigungen für Enteignungen.
Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 hatte bereits festgelegt, dass diese Staatsleistungen abgelöst werden sollen. Der Gesetzgeber hätte mit einmaligen Zahlungen alle eventuellen Restforderungen der Kirchen aus diesen Enteignungen ablösen sollen. Das war vor einhundert Jahren!
Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in Kraft getreten im Jahr 1949, hat im Artikel 140 die entsprechenden Teile der Weimarer Reichsverfassung übernommen.
Vor 70 Jahren also wurde die Forderung erneuert, dass die Staatsleistungen abgelöst werden sollen.
Passiert ist seither : nichts!
2018 hat der deutsche Staat den Kirchen 538 Millionen Euro überwiesen. 14 Millionen mehr als das Jahr davor.
Die Staatsleistungen sind an die Beamtenbesoldung gekoppelt, und steigen also munter immer weiter.
Der Spiegel hat nachgerechnet, dass der deutsche Staat seit 1949 insgesamt knapp 17,9 Milliarden Euro an die Kirchen ausgeschüttet hat!
Ohne Zweckbindung übrigens. Das heißt: Für dieses Geld müssen die Kirchen keinerlei Gegenleistungen bringen.
Wenn man sich dagegen anschaut, was jemand, der Bafög beantragt, oder ein Hartz4-Empfänger alles über sich ergehen lassen muss, damit der Staat ihm gnädigerweise das Recht zu überleben zugesteht, dann ist das der blanke Hohn.
Wir wollen diese Dauer-Alimentierung der Kirchen beenden. Wir wollen, dass unserem Grundgesetz endlich Geltung verschafft wird!
Immer wieder wird ja auch gerne erzählt, dass das Christentum ja zu unserer Kultur gehören würde.
Das stimmt schon, das tut es.
Das Judentum übrigens auch, und eine Menge anderer Religionen genauso. Deren Feiertage schützt aber niemand.
Vor Allem aber gehört zu unserer Kultur die Aufklärung und die Religionsfreiheit!
Friedrich der Große sagte siebzehnhundert-irgendwas:
„In meinem Staate kann jeder nach seiner Façon selig werden.“
Und Art. 136 (4) WRV von 1919 sagt: Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.“ Das wurde so auch ins deutsche Grundgesetz übernommen.
Wir demonstrieren ausdrücklich nicht gegen die Kirchen. Wer glauben möchte, darf das. Wir wollen aber, dass die Kirchen keinen Einfluss auf die Gesetze in unserem Land nehmen.
Das Grundgesetz sichert uns zu, dass wir nicht zur Teilnahme an religiösen Handlungen verpflichtet werden dürfen. Es sichert uns auch zu, dass wir eine Religion frei wählen können, und auch frei wählen können, keiner Religion anzugehören.
Noch wichtiger als die Frage, warum sich manche Leute anmaßen, mir vorschreiben zu wollen, an welchen Tagen ich Spaß haben darf und an welchen nicht, ist, dass diese Leute gerne behaupten, dass ihre religiösen Gefühle verletzt würden.
Ganz ehrlich:
Ich nehme Rücksicht auf die religiösen Gefühle meiner Mitmenschen!
Aber wenn jemand behauptet, es würde ihn stören, wenn wir an einem Ort tanzen, wo die gar nichts davon mitbekommen, dann glaube ich das nicht!
Wenn wir in einem Club eine Party feiern, dann bekommt das spätestens eine Straße weiter niemand mehr mit!
Es ist schlicht nicht wahr, dass es darum geht, dass jemand gestört würde.
Diese Regelung ist ausschließlich dazu da, allen Menschen im Land die Regeln der christlichen Kirchen aufzwingen zu wollen! Und das ist klar gegen das Grundgesetz!
Ich nehme Rücksicht auf die Religion anderer Menschen.
Und ich hätte gern, dass diese Menschen ebenfalls Rücksicht auf mich nehmen!
Rücksichtnahme ist keine Einbahnstraße!“
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