Von Tape Lago und Alfred Denzinger – Chemnitz. In der sächsischen Universitätsstadt Chemnitz demonstrierten am Samstag, 1. Juni, gut 2000 Menschen gegen einen Naziaufmarsch. Zum „Tag der deutschen Zukunft“ hatten die Neonazis 500 TeilnehmerInnen angemeldet. Dafür mobilisierten die NPD, „Der Dritte Weg“ und Die Rechte. Doch es kamen nur rund 250 Anhänger des Nationalsozialismus. Zu der Gegendemonstration hatte das Bündnis „Chemnitz Nazifrei“ unter dem Motto „Für eine Zukunft ohne Nazis – TddZ verhindern!“ aufgerufen (siehe „Protest gegen Neonazi-Aufmarsch in Chemnitz„). Die Polizei war nach eigenen Angaben mit mehr als 2200 Kräften und schwerem Gerät vor Ort. Sie ermöglichte den Neonazis den Aufmarsch. Dabei schränkte sie die Pressefreiheit ein und behinderte JournalistInnen bei ihrer Arbeit.
Außerdem waren am Samstag 360 BundespolizistInnen an Bahnhöfen im Einsatz. Dem bundesweiten Aufruf von „Chemnitz Nazifrei“ schlossen sich mehrere antifaschistische Gruppen an. Die AntifaschistInnen reisten aus Dresden, Leipzig, Zwickau, Stuttgart, Mannheim, Ulm und anderen Städten an. Sie setzten ein starkes Zeichen gegen die Hitler-Getreuen und zeigten ihnen, dass Neonazis in Deutschland keine Zukunft haben.
Auch „Fridays for Future Chemnitz“ und der Studentenrat (Stura) der TU Chemnitz riefen zu Protesten gegen die Rechtsextreme auf. Die NazigegnerInnen hatten sich vorgenommen, den Naziaufmarsch zu blockieren. Doch die Polizei, die sichtbar in der Überzahl war, setzte alles daran, um eine mögliche Blockade des „Tags der deutschen Zukunft“ zu verhindern.
Polizeieinsatz auf Kriminalisierung ausgelegt
Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete der Linken in Sachsen und Anmelderin der Gegendemonstration, kritisierte am Ende des Demotages den Einsatz der Polizei aufs Schärfste. Das Vorgehen sei negativ gewesen und auf Kriminalisierung der antifaschistischen Demonstration ausgelegt. So habe es Vorkontrollen von AntifaschistInnen gegeben. Der Lautsprecherwagen wurde von der Polizei durchsucht. Auch habe die Polizei eine spontane Demo nicht zu der Großdemonstration durchgelassen. Nach unseren Beobachtungen blieben Personen des rechten Spektrums dagegen überwiegend unbehelligt.
Ebenso sei eine zugesagte Zwischenkundgebung in Hör- und Sichtweite der Neonazis von der Polizei blockiert worden. Sie nutzte dabei ihre Kräfte und Fahrzeuge, um die NazigegnerInnen im Zaum zu halten. Zum Schluss sei es noch zu „unschönen Szenen“ gekommen, so Nagel. VersammlungsteilnehmerInnen seien immer wieder von PolizistInnen geschubst und drangsaliert worden. So sollte es nicht sein, erklärte die Antifaschistin und linke Politikerin.
Großaufgebot zum Schutz von Neonazis
Die sächsische Polizei mobilisierte 2300 Einsatzkräfte aus Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen, um die Chemnitzer Polizei zu unterstützten. Bereits am frühen Morgen sperrte sie die Demoroute der Neonazis und das Viertel um die Johanniskirche – Ort der extrem rechten Kundgebung – weiträumig ab.
Der Hauptbahnhof und der Omnibusbahnhof, Versammlungsort der AntifaschistInnen, wurden ebenfalls von starken Polizeikräften abgeschirmt. AntifaschistInnen aus Leipzig wurden bei der Ankunft in Chemnitz eine Zeitlang von der Polizei festgehalten, weil sie in einer spontanen Demonstration zum Omnibusbahnhof ziehen wollten.
Unweit des Omnibusbahnhofs wurden die Leipziger AntifaschistInnen noch einmal gestoppt. Die Polizei hatte vor, alle GegendemonstrantInnen aus Leipzig zu durchsuchen und zu kontrollieren. Doch nach langen Verhandlungen der Demoanmelderin Juliane Nagel verzichtete die Polizei auf ihre Maßnahme.
Behinderung der Gegendemonstration und Pressearbeit
GegendemonstrantInnen, die versucht hatten, die Naziroute in der Höhe des Omnibusbahnhofs zu blockieren, wurden mit Gewalt zurückgedrängt. Zwei von ihnen wurden zu Boden geworfen und in Gewahrsam genommen.
Bevor die Neonazis die Kreuzung Bahnhofstraße / Straße der Nation erreichen konnten, schirmte die Polizei die Gegenkundgebung mit Fahrzeugen und starken Polizeikräften ab. Sie forderte danach die Journalisten im Bereich der Gegenkundgebung auf, den Platz zu verlassen. Die Polizei könne nicht für ihre Sicherheit sorgen, hieß es.
Als die Neonazis am früheren Nachmittag auf den antifaschistischen Protest trafen, wurde dieser noch lauter. Einige GegendemonstrantInnen warfen aus Protest Böller und Flaschen. Die Stimmung war sehr angespannt. Begleitet von massiven Polizeikräften konnten die Neonazis jedoch ihren Aufmarsch ungehindert fortsetzen.
Daraufhin setze sich die Antifa-Demonstration Richtung Wilhelm-Külz-Platz in Bewegung und wurde 50 Meter vor der Kreuzung Straße der Nation / Wilhelm-Külz-Platz von der Polizei mit Gewalt gestoppt. Obwohl eine Zwischenkundgebung in Hör- und Sichtweite der Neonazis geplant und angemeldet war, wurde diese nicht zugelassen.
Als die Neonazis vorbei gezogen waren, durften auch die GegendemonstrantInnen weiterlaufen. Es kam immer wieder zu neuen Blockaden der Gegendemonstration durch Polizeikräfte. Dabei wurden JournalistInnen und GegendemonstrantInnen von der Polizei angegangen. Dieses Bild setzte sich bis zum Ende der Gegenveranstaltung fort.
Rechtswidrige Bild- und Tonaufnahmen
Die Demobeobachtungsgruppe Leipzig kritisierte in einer Pressemitteilung rechtswidrige Bild- und Tonaufnahmen bei der Gegendemonstration. Schon im Verlauf der Spontandemonstration sei es zu rechtswidrigen polizeilichen Maßnahmen gekommen. Kurz nachdem sich die Spontandemonstration am Ersatzhalt Chemnitz-Küchwald in Bewegung gesetzt hatte, wurde sie von einem Kamerawagen videografiert.
Auf Nachfrage wurden diese Aufnahmen als „Übersichtsaufnahmen“ bezeichnet. Gemäß § 20 II des sächsischen Versammlungsgesetzes (sächsVersG) seien solche Übersichtsaufnahmen nur dann zulässig, wenn und soweit dies wegen der Größe der Versammlung oder Unübersichtlichkeit der Versammlungslage zur Lenkung und Leitung eines Polizeieinsatzes im Einzelfall erforderlich ist. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Spontandemonstration aus circa 150 Personen, die sich friedlich der Hauptdemonstration am Omnibusbahnhof anschließen wollten.
Übermäßige Polizeipräsenz prägte die Außenwirkung
Permanent wurde die Demonstration von einer hohen Zahl an PolizistInnen begleitet. Schon zu Beginn ging dem Demonstrationszug eine geschlossene Reihe behelmter BeamtInnen voraus, seitlich war der Demonstrationszug teilweise von vier Reihen BeamtInnen sowie geschlossenen Reihen von Polizeifahrzeugen eingerahmt. An mehreren Stellen wahrten die PolizistInnen dabei keinen Abstand zur Demonstration – so beispielsweise in der Müllerstraße, wo der Demonstrationszug auf der linken Seite zeitweise von drei Reihen PolizistInnen gesichert wurde. Dabei befand sich eine Reihe – etwa 50 bis 60 BeamtInnen – quasi in der Demonstration. Auch am Brühl wahrten die PolizistInnen keinen Abstand. Der wiederholten Aufforderung der Versammlungsleitung, mehr Abstand einzuhalten, kamen die Einsatzkräfte nicht nach.
Nazisymbole zur Schau gestellt
Die Polizei meldete in einer Pressemitteilung, sie hätte fünf Strafanzeigen aufgenommen, darunter zwei Anzeigen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Teilnehmer der Versammlung unter dem Motto „Tag der deutschen Zukunft 2019“ hätten verfassungswidrige Symbole auf der Bekleidung beziehungsweise als Tätowierung zur Schau gestellt.
Kurz nach 15 Uhr sollen „im Park der Opfer des Faschismus zwei Personengruppen, offenbar aus den widerstreitenden Versammlungen aufeinandergetroffen“ sein. Dabei soll es zu Flaschen- und Steinwürfen gekommen sein. Niemand soll dabei verletzt worden sein.
Parallel zu den Protesten der AntifaschistInnen nahmen nach Polizeiangaben rund 2 250 Teilnehmer an einem Familienfest anlässlich des Kindertages im Zentrum teil.
Videos
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!