Von Sahra Barkini – Stuttgart. 22 Interessierte kamen am Mittwoch, 22. Mai, zu einer Führung durch den „Lern- und Gedenkort Hotel Silber“. Eingeladen hatte die DKP Rems-Murr-Kreis. Die TeilnehmerInnen erfuhren von Imanuel Baumann vom „Haus der Geschichte“ und Janka Kluge von der VVN-BdA viel über diesen geschichtsträchtigen Ort und den jahrelangen Kampf um seine Erhaltung. Mit Heinz Hummler war auch ein Zeitzeuge vor Ort. In bewegenden Worten erzählte er die Geschichte seines ermordeten Vaters.
Der etwa zweistündige Rundgang führte sowohl ums Haus herum, als auch durch die zwölf Zimmer der Ausstellung. Im jetzigen Foyer, dem einstigen Frühstücksraum des Hotels, wurde die Gruppe von Imanuel Baumann, Janka Kluge und auch von Dieter Keller, dem Sprecher der DKP Rems-Murr begrüßt. Dort sieht man noch angedeutet die ehemalige Wendeltreppe, die zum Keller führte. Und ein altes Mauerfragment.
Die Führung begann vor dem Gebäude, wo Janka Kluge auf die Fassade hinwies. Rund um das Haus sieht man Fenster, die mit Schlagwörtern versehen sind. Dort steht „Widerstand, Ausgrenzung, Vorurteil, Verhaftung, Denunziation, Mut, Würde, Recht, Verfolgung, Überwachung“. Gegenüber des „Hotel Silber“ liegt das ehemalige „Deutsche Auslandsinstitut“. Es war von 1933 an auf „Nazilinie“. Dort wurden Statistiken angefertigt über die rumänische und sowjetische Bevölkerung und diese eingeteilt in „arisch“ und „nicht arisch“.
Inzwischen heißt es „Deutsches Institut für Auslandsbeziehungen“. Es befindet sich noch immer am selben Standort und zählt zu den wenigen, die ihre eigene Geschichte aufgearbeitet haben und sich dieser auch stellten. So wurden die Archive geöffnet und eine Historikerin eingestellt.
Die grauen Busse nach Grafeneck
Ein paar Häuser weiter, etwa gegenüber des Karlsplatzes, war das Innenministerium untergebracht, erläuterte Janka Kluge. Von dort aus wurden die „grauen Busse“ Richtung Grafeneck organisiert. Dort begann im Jahr 1940 die sogenannte Aktion „T4“. In nur einem Jahr wurden unter der Naziherrschaft 10 654 Menschen, die an einer geistigen, psychischen oder körperlichen Erkrankung litten, ermordet.
Von Stuttgart aus wurden allerdings nur zwei Personen nach Grafeneck gebracht. Dies ist damit zu erklären, dass es in Stuttgart keine „Heilanstalten“ gab. Die meisten Erkrankten lebten in Stetten im Rems-Murr-Kreis und wurden von dort aus deportiert. Da das Gebäude abgerissen wurde, findet sich nirgends eine Gedenktafel.
Das Schicksal von Else Josenhans
Weiter ging der Rundgang auf die andere Gebäudeseite in die Else- Josenhans-Straße (ehemals Lederstraße). Sie ist nach einer 1896 geborenen Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie in Heilbronn benannt, die den evangelischen Beamten Wilhelm Josenhans heiratete und mit ihm zwei Töchter bekam. Nach der Machtübernahme begannen die Repressalien, und ihr Ehemann verlor seine Arbeit.
1945 bekam Else Josenhans den Bescheid zur Deportation. Nach Behandlung durch eine befreundete Ärztin wurde sie ins Robert-Bosch-Krankenhaus eingeliefert. Dort bekam sie Besuch von einem Mann, der vorgab, sie und ihre Familie über die Grenze zu bringen. Am vereinbarten Treffpunkt erschien aber die Gestapo und verhaftete die gesamte Familie. Else Josenhans kam ins Gestapo-Gefängnis Hotel Silber und wurde dort auf Befehl von Gestapochef Mußgang am 11. April umgebracht (die Geschichte der Else Josenhans: https://www.stolpersteine-stuttgart.de/index.php?docid=851).
Kampf um den Erhalt des „Hotel Silber“
Wieder im Inneren angekommen erzählte Janka Kluge über den Kampf um den Erhalt des Gebäudes und der Entstehung des „Geschichtsorts Hotel Silber“. 2007 wurden Pläne zur Neugestaltung des Dorotheenquartiers vorgestellt. Sie sahen vor, das Gebäude abzureißen. Daraufhin schlossen sich GegnerInnen dieses Projektes zur „Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber“ zusammen.
2009 gab es eine medienwirksame Banner-Aktion im Kaufhaus Breuninger. Danach war Breuninger zu Gesprächen bereit und bot an, im Keller des Kaufhauses eine Gedenkstätte einzurichten nach dem Motto: „Shoppen ist wichtiger als Gedenken“. 2011 wurde dann beschlossen das Gebäude zu erhalten. Von 2011 bis zur Eröffnung im Jahr 2018 wurde vom Haus der Geschichte gemeinsam mit der Initiative ein Konzept erarbeitet.
Von 1874 bis zum Jahr 1919 war dieses Gebäude das „Hotel Silber“ das erste Hotel am Platz. Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Hotelbetrieb eingestellt, und die Oberpostdirektion Württemberg nutzte das Haus. Ab dem Jahr 1928 wurde es zum Polizeipräsidium inklusive der Abteilung der politischen Polizei.
Deportation „unter den Augen der Gemeinde“
Bevor die oberen Räume besichtigt wurden, erzählte Janka Kluge, wie sie bei früheren Stadtbesichtigungen mit SchülerInnen hier vorbei kam. Damals war nicht ersichtlich, welche Geschichte dieses Gebäude verbirgt. Es gab zwar eine Gedenktafel im Inneren, aber um sie zu sehen, musste man erst einmal das Haus betreten. Dies ist Kluge zufolge bei vielen Gedenkstätten der Fall. Viele mussten erst von Initiativen erkämpft werden.
Eine Ausnahme bildet die „Stauffenberg Gedenkstätte“ im Alten Schloss. Sie wurde vom Land initiiert. Das „Mahnmal der Antifaschisten“ wurde dagegen nur auf Druck und gegen erheblichen Widerstand aufgestellt. Eine weitere Gedenkstätte in Stuttgart befindet sich am Nordbahnhof: die Erinnerungsstätte für die deportierten Menschen. Dort setzte der Pfarrer der nahegelegenen Kirchengemeinde durch, dass auf der Gedenktafel steht: „Unter den Augen der Gemeinde wurden hier Menschen deportiert.“
Ein Viertel der Gestapo-Beschäftigten waren Frauen
Im ersten Stock fällt den BesucherInnen im Flur, der zu den einzelnen Ausstellungsräumen führt, ein Porträt eines Gestapo-Mannes auf. Es wird durchbrochen durch die Türen der einzelnen Räume. Außerdem sieht man noch weitere Porträts der damals in der Gestapo-Zentrale beschäftigen Männer und Frauen.
Im ersten Raum berichtete Imanuel Baumann vom Haus der Geschichte, dass dieses Museum in Zusammenarbeit von bürgerlichem Engagement und Land ermöglicht wurde. Die Findungsphase sei schwierig gewesen, da unterschiedliche Sichtweisen aufeinander prallten. Über jedes im Haus befindliche Ausstellungsstück wurde ausgiebig diskutiert, bis zuletzt dieser Gedenkort entstanden ist. Etwa 25 Prozent der Beschäftigten in der Gestapo-Zentrale seien Frauen gewesen. Und ohne diese Frauen, beispielsweise Schreibkräfte, hätten die Deportationen nicht funktioniert.
Aus dem Widerstand ins Exil
Eine Besucherin erzählte, dass ihr Vater, der Kaufmann war, zu einer Veranstaltung mit Adolf Hitler gehen musste. Nach diesem Veranstaltungsbesuch wurde er denunziert und musste ein Jahr ins KZ Heuberg, da er einen Freund sagte: „Was will denn das kleine Männle?“ Diesen Satz hörte ein Denunziant.
In einem weiteren Raum liest man an der Wand die drei Namen „Paul Schlotter“, „Erwin Schoettle“, „Fred Uhlmann“. Schlotter und Schoettle waren im Widerstand aktiv, alle drei mussten ins Exil. Fred Uhlmann schrieb das Buch: „The Making of an Englishman – Erinnerungen eines Stuttgarter Juden“. Dieses Buch empfahl Janka Kluge den ZuhörerInnen als sehr lesenswert.
Nach der KPD verfolgte die Gestapo Zwangsarbeiter
Ein geheimes KPD-Treffen am Kräherwald wurde verraten. Mitglieder der KPD gaben unter der Folter Namen preis. Es wurden führende Funktionäre verhaftet. Dennoch versuchte die KPD, weiterhin mit Tarnschriften Widerstand zu schaffen, und war dabei sehr einfallsreich. Einige dieser Tarnschriften sind im Hotel Silber zu sehen. 1936 wurde die geheime Staatspolizei in Gestapo umbenannt, und nun wurden auch andere Gruppen verstärkt ins Visier genommen. Damit befasst sich ein weiterer Raum.
Bis zum Sommer 1937 waren die meisten Mitglieder der württembergischen KPD verhaftet. Bei der sehr informativen Führung von Janka Kluge erfuhren die ZuhörerInnen, dass sich im Rems-Murr-Kreis irgendwann Widerstand aus Kirchenkreisen formierte. Der Grund war wohl, dass Kinder aus kirchlichen Gruppen austreten und in die HJ eintreten sollten.
- Übersichtskarte
- Zeichenerklärung
- Gedenkstein in Welzheim – Archivbild
Ab 1939 waren dann die ZwangsarbeiterInnen neuer Schwerpunkt der Gestapo. Auch hierzu gibt es allerhand informatives in den Ausstellungsräumen. In dieser Zeit wurden Personen wegen sogenannter „Arbeitsbummelei“ im KZ Welzheim und im Steinbruch Rudersberg zum Tode verurteilt.
Verzweifelter Appell eines Kindes
Unter den TeilnehmerInnen der Ausstellungsführung befand sich auch ein Zeitzeuge. Heinz Hummler schrieb am 10. August 1944 einen Brief an seinen inhaftierten Vater Anton. Dieser war zum Tode verurteilt. Der damals 12-jährige Heinz wollte alles dafür tun, seinen Vater aus dem Gefängnis zu bekommen. Der Brief gehört zu den eindrucksvollsten Dokumenten in der Ausstellung.
Der erste Satz des Briefes lautet: „Unterzeichnender Pimpf bittet um Begnadigung seines Vaters Anton Hummler.“ Im ganzen Schriftstück ist die Verzweiflung eines kleinen Jungen zu lesen, der versucht, seinen Vater aus dem Gefängnis zu befreien und ihn damit vor dem Tode zu bewahren. Der Brief endet mit folgenden Worten: „Sollte uns das Schwere alles treffen, weiß ich nicht, wie es meine Geschwister und meine liebe Mutter tragen können. Darum bitte ich von ganzem Herzen noch einmal um mildernde Umstände meines Vaters.“
- Dieter Keller (links) und Heinz Hummler
- Heinz Hummler
Leider zeigte dieser emotionale und verzweifelte Brief keine Wirkung. Anton Hummler wurde am 25.09.1944 hingerichtet. Heinz Hummler erzählte, vom Moment an, als sein Vater verhaftet und später getötet wurde, habe er nur noch die Sehnsucht danach gehabt, dass dieses Regime ein Ende haben muss. Weiter erzählte er, dass er viele Jahre später bei der Stolperstein-Verlegung für seinen Vater im Stuttgarter Westen von dem Historiker Wolfgang Kreß erfuhr, dass sein Vater noch einen weiteren Brief am Tag seiner Hinrichtung schrieb.
Auf den Spuren des ermordeten Vaters
Leider wurde der Brief damals nicht an die Familie weitergegeben. So erhielt er ihn erst viele Jahre später. Dabei dachte die Familie 40 Jahre lang, sie hätten das letzte Lebenszeichen des Vaters und Ehemanns bereits gehabt. Heinz Hummler berichtete den BesucherInnen, dass er viele Jahre später einmal das Zuchthaus besuchte, in dem sein Vater in Brandenburg inhaftiert war. Es ist auch heute noch Gefängnis. Dort gibt es eine Gedenktafel im Inneren des Gebäudes. Nach Voranmeldung und der üblichen Prozedur, wenn man ein Gefängnis betritt, konnte er die Tafel anschauen.
Als er das Gebäude wieder verließ, fiel Heinz Hummler eine weitere Gedenktafel auf, die außerhalb hängt und für jeden zugänglich ist. Auf ihr ist zu lesen: „Den Opfern der kommunistischen Gewalttaten 1945-1989.“ Janka Kluge merkte an, dass sie einmal um das Gefängniskrankenhaus Hohenasperg lief, um die dortige Gedenktafel zu suchen. Sie fand sie ziemlich verwildert und hinter Gestrüpp. In Deutschland sollen wohl 74 Jahre nach Kriegsende die schrecklichen Gräueltaten des Naziregimes nicht präsent sein.
Den Anstand haben, nicht mitzumachen
Zum Abschluss dieses Abends erfuhren die TeilnehmerInnen noch, dass es etwas schwierig durchzusetzen war, dass Janka Kluge durch das Haus führen durfte. Denn dies gehe erst, wenn sie bei jemanden vom Haus der Geschichte hospitiert hat. Deshalb war zumindest bei einem Teil der Führung auch Imanuel Baumann anwesend.
Vielleicht sollte man als Fazit dieser Führung Folgendes ziehen: Damals hatte kaum jemand den Anstand, nicht mitzumachen. Haben wir nun den Anstand, uns dagegen zu stellen, dass es nicht noch einmal passiert.
- Dieter Keller
- Janka Kluge
- Heinz Hummler
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