Stuttgart. Nach dem Mord an Walter Lübcke (CDU) folgten rund 60 Menschen am Mittwoch, 19. Juni, einem spontanen Aufruf des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (AABS). Sie versammelten sich auf dem Marienplatz. Die AktivistInnen wandten sich in Redebeiträgen und mit einem kleinen Straßentheater gegen den Naziterror und seine staatlichen Helfer.
Janka Kluge von der VVN-BdA und Redner der Informationsstelle Militarisierung (IMI) und des AABS beleuchteten verschiedene Facetten der staatlichen Verflechtungen mit der rechtsterroristischen Szene. Sie thematisierten Verstrickungen des NSU, des NSU 2.0 in der Frankfurter Polizei und des rechten Prepper-Netzwerks „Uniter“ mit Mitgliedern der Bundeswehr, der Polizei und des Verfassungsschutzes (siehe auch „Rechtes Netzwerk in Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten„).
In einer Performance wurden das vermutete Verhältnis von Staat und Neonazis mit kleinen Aktionen dargestellt. So bekam ein Neonazi von Verfassungsschutz und Polizei Geld, Pässe und Waffen. Mit geworfenen Wattebällchen wurde die Verfolgung der Nazis durch die Deutschen Behörden symbolisch dargestellt.
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Der AABS-Redebeitrag im Wortlaut:
„Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
liebe Passantinnen und Passanten,
der neuste faschistische Terror, der mit dem Tod endete, spielte sich vor zwei Wochen in Hessen ab. Der CDU-Politiker Walter Lübke wird von dem Nazi Stephan E. mit einem Kopfschuss auf der Terrasse seines Hauses hingerichtet. Dass die hessische Polizei erstmal nicht von faschistischem Terror spricht, ist kein Wunder, wenn man in die kürzere Vergangenheit blickt: Die hessische Polizei steckt tief in Verstrickungen mit Nazis und hat ein Problem mit rechter Gewalt in eigenen Reihen.
Ist unser Nachbarbundesland etwa ein Einzelfall? Keinesfalls, etliche vergangene Beispiele zeigen, dass Staat und Nazis sich gerne die Hand geben. Immer wieder zeigt sich ein Bild des Verfassungsschutzes mit verbundenem rechten Auge. Dass der Staat den Feind auf linker Seite sieht und bekämpft, merkt man schnell, wenn man auf linke Proteste geht: Den Nazis wird die Straße freigeprügelt. Erst im Mai hat die faschistische Kleinstpartei „Die Rechte“ in Pforzheim demonstriert. Hier wurde die ganze Stadt mit Gittern abgeriegelt und zu einer Polizeifestung umgestaltet. Dieses riesige Aufgebot wurde für die 200 Nazis veranstaltet, während mehrere hundert Menschen dagegen protestierten und teilweise von Polizeigewalt betroffen waren. Dieses Beispiel von polizeilicher Taktik gegen bzw. für Nazis ist nur eines von vielen, das die aktuelle Haltung von Staat gegenüber Nazis und Faschisten aufzeigt.
Diese Haltung verwundert kaum, blickt man in die Geschichte der BRD. Nach der Befreiung vom Faschismus gab es keine großartigen Veränderungen in den personellen Besetzungen der wichtigen Posten in Westdeutschland. Nazis, die vor 1945 in Machtpositionen waren, waren nach 45 wieder auf solchen Posten. Auch die Geschichte des Verfassungsschutzes ist ein reiner Skandal rechter Verstrickungen, Unterstzützungsaktionen und eigenen rechten Aktivitäten. Egal ob die Gründung des Verfassungsschutzes betrachtet wird, bei der ehemalige NSDAP-Mitglieder die Leitung übernahmen, oder die Verstrickungen in den NSU, der zwölf Jahre in Deutschland mordete und faschistische Anschläge verübte.
Historisch und aktuell zeigt sich ein klares Bild: Ein Staat, der Nazis und Faschisten bekämpft, sieht anders aus. Ein Interesse an konsequentem Antifaschismus hat der Staat nicht, bei oberflächlichen Aktionen gegen rechte Strukturen bleibt er stehen. Wenn faschistischer Terror an die Öffentlichkeit gerät, gibt es zwar einen Aufschrei, aber keine Reaktion, die tatsächlich etwas ändert.
Wer erwartet, dass staatliche Strukturen etwas gegen Nazis und Faschisten tun, wird immer wieder aufs Neue enttäuscht. Wer wirklich etwas gegen Nazis und Faschisten tun will, muss selbst aktiv werden, sich mit anderen zusammentun und den politischen Kampf überall da führen, wo sie auftreten – auf der Straße, in den Parlamenten, im Betrieb oder in der Schule! Rechter Terror kann nur gedeihen in einer Gesellschaft, in welcher der eine mehr wert ist als der andere, in einer Gesellschaft, in der es immer normaler wird, dass gefordert wird, Menschen im Mittelmeer ersaufen zu lassen.
Daher liegt es an uns – an dir und mir! –, schon im Kleinen konsequent gegen dieses rechte Klima vorzugehen. Doch das reicht uns nicht. Wir wollen nicht nur, dass alles bleibt, wie es ist, nur ein bisschen weniger rechts – nein. Wir alle sollten stets für mehr einstehen: solidarische Gesellschaft ohne Ausbeutung, ohne Unterdrückung des Menschen durch den Menschen und ohne einen Staat,der diese unmenschlichen Verhältnisse zementiert!
Es gibt viele Möglichkeiten sich in diese Richtung zu engagieren und zu organisieren. Hier in Stuttgart machen wir das im Antifaschistischen Aktionsbündnis Stuttgart und Region, in dem Proteste und Aktionen gegen Nazis geplant werden oder in anderen offenen Treffen im Linken Zentrum Lilo Herrmann in der Böblinger Straße 105. Für alle, die auch die Schnauze voll haben und nicht mehr länger zuschauen wollen, wie alles schlimmer wird: Kommt vorbei, bringt euch ein! Staat und Nazis Hand in Hand – organisiert den Widerstand.“
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