Von Alfred Denzinger – Stuttgart/Kandel/Wörth. Es ging heftig her am 7. April 2018. Die Polizei demonstrierte ihr Gewaltmonopol über die Grenze des Üblichen hinaus. Im Wörther Bahnhof kam es zu schweren Übergriffen von vermummten Polizeibeamten auf anreisende DemonstrantInnen in einer „Reichsbahn“ (Versprecher des Staatsanwalts vor Gericht – er meinte wohl Regionalbahn). Die etwa 150 AntifaschistInnen im Zug wollten ins südpfälzische Kandel, um dort gegen einen rechten Aufmarsch zu protestieren.
Daraus wurde nichts: Die Polizei stürmte den Zug und hielt die Anreisenden drei Stunden lang in Wörth fest (siehe „Polizei stürmt Zug mit Nazi-GegnerInnen„). Angeklagt wurde am Donnerstag, 18. Juli, aber nicht etwa ein Polizist, sondern ein 20-jähriger Azubi. Das Urteil von Richterin Schwörer vom Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt: 30 Stunden gemeinnützige Arbeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.
Der Polizeiübergriff in Wörth schlug damals hohe Wellen. Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke aus den Bundesländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – Gökay Akbulut, Michel Brandt, Brigitte Freihold, Heike Hänsel, Tobias Pflüger, Bernd Riexinger und Alexander Ulrich – wandten sich an die jeweiligen Landesinnenministerien und das Bundesinnenministerium (siehe „Auch Polizei muss Grundrechte achten„). Die Bundestagsabgeordneten erklären, dass Berichte, Fotos und Videos unter anderem des Online-Politikmagazins Beobachter News zeigten, dass es vor den Demonstrationen am 7. April 2018 in Kandel am Bahnhof Wörth zu einem massiven und gewalttätigen Polizeieinsatz kam. Eingesetzt waren Landespolizisten aus den beiden Bundesländern und die Bundespolizei.
Vermummt und gewaltbereit
Obwohl nach Berichten die Zugfahrt friedlich verlief und der Zug nahezu überfüllt war, drängten vermummte und behelmte Beamte – auch unter Anwendung von Gewalt – hinein. Danach wurden laut Berichten alle Fahrgäste von den Polizisten durchsucht, ihre Personalien aufgenommen und gefilmt. Insgesamt wurde der Zug drei Stunden im Bahnhof festgehalten, sodass die DemonstrantInnen nicht mehr an den Kundgebungen in Kandel teilnehmen konnten und ihnen so ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verwehrt wurde.
Diese ganzen Umstände waren aber vor dem Amtsgericht völlig ohne Bedeutung. Allein der Umstand, dass sich die jungen Nazigegner „untergehakt“ hatten, reichte Richterin Schwörer für die Verurteilung wegen Widerstands. Der polizeiliche Platzverweis sei zweifellos angeordnet gewesen, und der Angeklagte sei durch den Polizeibeamten identifiziert worden. Zugunsten des Antifaschisten wirkte sich das angewandte Jugendstrafrecht aus.
Störungen zu verhindern, das sei ihr Auftrag gewesen, gab der 47-jährige polizeiliche Zugführer vor Gericht an. Man habe in Wörth nicht zusteigen können. Die Insassen des Zugs hätten geschlagen und getreten. Daraufhin habe man Gewalt eingesetzt.
„Wenn ich nicht schon so alt wäre, wäre ich auch dabei“
Die Staatsanwaltschaft forderte 35 Stunden gemeinnützige Arbeit – Rechtsanwalt Thomas Fischer plädierte auf Freispruch. Er führte aus, wer an diesem besagten Tag auf der rechten Seite vertreten war: AfD, NPD und die „Identitäre Bewegung“ (IB). „Alle bekannt“, verdeutlichte er. Auch die Verbindungen der IB zum rechtsextremistischen Christchurch-Attentäter von Australien seien hinlänglich bekannt. Er wies auch auf die Ermordung des Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und die Todeslisten der terroristischen Organisation „Nordkreuz“ hin. „Ich bin um jeden jungen Mann dankbar, der dagegen aufsteht“, formulierte der Verteidiger eindrücklich. „Wenn ich nicht schon so alt wäre, wäre ich auch dabei“. Sein Mandant möge zwar dort dabei gewesen sein, und es könne sogar möglich sein, dass er sich untergehakt habe. Dies allerdings sei nicht nachgewiesen, so Fischer.
Richterin Schwörer verurteilte den jungen Mann schließlich zu 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Von der Auferlegung der Gerichtskosten wurde abgesehen.
Polizeiliche Videoaufnahmen wurden dem Gericht nicht vorgelegt. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt, aber naheliegend.
Unser Video vom damaligen Polizeiübergriff in Wörth:
Folge uns!