Von Alfred Denzinger – Ludwigsburg. Man fühlte sich um einige Jahrzehnte zurückversetzt an diesem Montag, 5. August, im Amtsgericht Ludwigsburg. Zurückversetzt in die Jahre vor 1945. Bereits der ursprüngliche Strafbefehl war nach Einschätzung der Verteidigung ein Skandal. Beschädigt wurde die Deutschlandfahne eines AfD-Sympathisanten, der mit der Fahne über der Schulter und bekleidet mit einem Sakko im „Deutschlandflaggen-Look“ in die Demonstration der AfD-GegnerInnen lief. In ihrem Schlussplädoyer forderte Staatsanwältin Munz vier Monate Gefängnis ohne Bewährung, was viele Zuhörer an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnerte. Amtsrichterin Carolin Brenner sprach die angeklagte Aktivistin frei.
Die 29-jährige AfD-Gegnerin sollte 4050 Euro Strafe bezahlen. Viertausendundfünfzig Euro wegen einer angeblichen Sachbeschädigung. Der Schaden wurde von der Staatsanwaltschaft mit 15 Euro beziffert.
Provokateur in der antifaschistischen Demo
Was der 63-jährige Diplomingenieur mit seiner Aktion am Samstag, 7. Juli 2018, bezwecken wollte, wird sein Geheimnis bleiben (siehe „AfD darf Klima nicht weiter vergiften„). Er lief provokativ mit seiner „Schwarz-Rot-Gold-Ausstattung“ in die Gegendemonstration. Dabei wurde ihm die Fahne entwendet. Von wem, vermochte er nicht zu sagen.
Später tauchte die Fahne bei der Polizei wieder auf. Fahnenstange gebrochen und der Stoff „leicht eingerissen“, führte der Geschädigte aus. Er habe dann die Fahne zusammengefaltet und mit nach Hause genommen. An einer weiteren Strafverfolgung habe er jetzt kein Interesse mehr, erklärte er vor Gericht.
Polizei legte Strafanzeige nahe

Immer wieder Polizeifilmerei am 7. Juli 2018, aber die „Beweise“ wurden nicht vorgelegt – Archivbild
Noch vor Ort „legte mir die Polizei nahe, Strafanzeige zu erstatten“, erklärte der Fahnenträger vor Gericht. Zunächst stellte er Strafantrag gegen unbekannt. Später wurde der Name der jetzt Angeklagten eingetragen. Die Polizei habe wohl „die Beschädigung auf Video aufgezeichnet“, so der Antragsteller.
Der 29-jährige Beamte der Bereitschaftspolizei Göppingen im Zeugenstand erklärte, die Angeklagte habe zwar damals einen anderen Haarschnitt gehabt, aber er habe sie an ihrer Größe erkannt. Und schließlich: „Ich würde sagen, sie war es.“ Zehn GegendemonstrantInnen hätten den Geschädigten bedrängt.
Ob ein Video aufgenommen wurde, konnte der Beamte nicht sagen. Ebenso wenig, wer die Fahne beschädigt hatte. Die Angeklagte habe aber „Stimmung gemacht“, habe Parolen geschrien und gesungen. Auf Nachfrage von Rechtsanwalt Axel Oswald, ob seine Mandantin die einzige war, die „Stimmung gemacht“ habe, antwortete er: „natürlich nicht“.
Skandalöser Strafbefehl
Angeblich vorhandene Bilder der Polizei wurden dem Gericht nicht vorgelegt. Auch die polizeilichen Videos wurden dem Gericht vorenthalten. Rechtsanwalt Oswald brachte seinen Unmut auf den Punkt: „Es geht wohl um eine Falschbelastung.“ Schließlich gebe es im Polizeiapparat „einige AfD-affine Beamte“. Es sei ein Skandal, dass es zu diesem Strafbefehl kam und das Amtsgericht Ludwigsburg ihn überhaupt annahm; auch in Bezug auf die Höhe der Strafe von über 4000 Euro, erläuterte Oswald seinen Standpunkt.
Freispruch beendet Gefängnisphantasien der Staatsanwältin
Staatsanwältin Munz hatte keinen Zweifel daran, dass der Polizeizeuge die Angeklagte wiedererkannt habe. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine falsche Belastung. Da die Angeklagte vier einschlägige Vorstrafen habe, attestierte ihr die Vertreterin der Anklage „keine günstige Kriminal- und Sozialprognose“. Sichtlich in Rage forderte die Staatsanwältin eine Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung.
Rechtsanwalt Oswald bescheinigte in seinem Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft, mit ihrem Strafantrag völlig im Abseits zu stehen. Die Strafforderung sei „in keinem Fall der Tat angemessen“, selbst wenn die Identifizierung feststünde. Der Nachweis der Sachbeschädigung durch die Angeklagte fehle. „Wir wissen überhaupt nicht, wer die Fahne beschädigt hat“ und wie diese beschädigt wurde, so der Verteidiger. Könne es sein, dass ein LKW drüber gefahren sei, oder dass ein AfDler die Fahne beschädigt hat? Das stellte er fragend in den Raum und forderte Freispruch.
„Ich habe keinen Zweifel, dass Sie die Fahne entrissen haben“, begründete Richterin Brenner ihren Urteilsspruch – aber sonst eben nichts. Das sei aber nicht strafbar. Ihr klares Urteil lautete auf Freispruch. Die Kosten trägt die Staatskasse.
Kommentar: Provokation, Kriminalisierung, Knastphantasien – was kommt noch?
Rechtsanwalt Axel Oswald hat völlig recht mit seiner Einschätzung. Es ist ein Skandal, dass es überhaupt zu diesem Strafbefehl kam. Ein noch größerer Skandal sind aber die Gefängnisphantasien einer völlig abgehobenen Staatsanwältin. Ein Glück, dass sie durch den Freispruch des Gerichts aus ihren Träumen gerissen wurde. Aber machen wir uns nichts vor: Im nächsten Prozess kann das Urteil schon ganz anders lauten. Vergessen wir niemals: Vor Gericht und auf hoher See ist man in „Gottes“ Hand.
Was war hier geschehen?
Polizei und Staatsanwaltschaft hatten die junge Antifaschistin aufgrund ihres bisherigen Auftretens im Visier. Ein Provokateur bettelte geradezu darum, von antifaschistischen DemonstrantInnen bedrängt oder gar angegriffen zu werden. Die Rechnung des Provokateurs ging aber nicht auf. Er bleibt völlig unversehrt. Lediglich seine provokativ getragene Deutschlandfahne verschwand zunächst, um später – von wem auch immer beschädigt – wieder aufzutauchen.
Die Polizei legte dem Provokateur nahe, Anzeige zu erstatten. Der beschädigte Gegenstand wurde nicht sichergestellt. Polizei-Videos und -Bilder wurden nicht vorgelegt. Ein Polizist erklärte vor Gericht: „Ich würde sagen, sie war es.“
Eine Staatsanwältin wollte eine Antifaschistin im Gefängnis sehen.
Was geschieht, wenn solche Menschen an Machthebel gelangen?
Das alles geschah nicht etwa in den Jahren 1933 bis 1945. Nein, es geschah im Jetzt. Im Jahr 2019. Wer jetzt die Gefahr noch immer nicht sieht, der will sie nicht sehen, oder schlimmer noch.
Das ist das Ergebnis einer ständigen Hetze aus der rechten Ecke.
An der Spitze dieser Entwicklung stehen Leute wie Höcke, Meuthen, Gauland und Co. Unterstützung erhalten sie aus gewissen Polizeikreisen und von Teilen der Staatsanwaltschaft.
Was geschehen wird, wenn solche Menschen an die Macht kommen, lehrt die Geschichte. Urteile, wie sie aktuell von der Staatsanwaltschaft gefordert wurden, werden keine Phantasien bleiben. Solche Urteile werden dann die mildeste Form der Bestrafung sein. Diese düsteren Aussichten sind Grund genug, um sich klar zum Antifaschismus zu bekennen.
In diesem Sinne:
Man sieht sich… auf der Straße! 😉
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