Berlin. Vor zwei Jahren verbot das Bundesinnenministerium die Internetplattform linksunten.indymedia. Drei Berliner AutorInnen erhielten im März Post. Sie bekamen eine Anklage wegen angeblicher Unterstützung des angeblichen Vereins linksunten.indymedia und angeblicher Verwendung dessen vermeintlichen Kennzeichens zur Stellungnahme zugestellt. Ihnen fehle jegliches Unrechtsbewusstsein, untermauerten Peter Nowak, Achim Schill und Detlef Georgia Schulze nun in einer Pressemitteilung: Sie seien überzeugt, „dass das Unrecht ganz auf Seiten des Medien verbietenden Bundesinnenministeriums und der uns anklagenden Staatsanwaltschaft liegt“.
In Wirklichkeit sei linksunten.indymedia ein gruppenunabhängiges Internet-Medium gewesen. Das lasse sich auch den Berichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz für 2016 und 2018 entnehmen (siehe unten). Trotzdem hatte das Bundesinnenministerium diese Internet-Zeitung im August 2017 zu einer Vereinigung im Sinn des Artikels 9 II Grundgesetz (Vereinigungsverbot) erklärt und aufgelöst.
Seither sei es nicht nur unmöglich, neue Artikel in der fraglichen Internet-Zeitung zu veröffentlichen, sondern ebenfalls unmöglich, in Vergangenheit veröffentlichte und – sowohl von der Strafjustiz als auch in der Verbotsverfügung unbeanstandet gebliebene – alte Artikel zu lesen.
Die drei angeschuldigten AutorInnen hatten deshalb kurz nach dem Verbot ihre alten – ebenfalls unbeanstandet gebliebenen – Linksunten-Artikel wiederveröffentlicht und andere Linksunten-AutorInnen aufgefordert, es ihnen gleichzutun. Außerdem hatten sie ihre Erklärung mit einem Ausschnitt aus der amtlichen Verbotsverfügung, in dem unter anderem das Logo der verbotenen Internet-Zeitung zu sehen ist, bebildert und bekundet:
„linksunten war […] ein Portal der – v.a. außerparlamentarischen – Linken in ihrer ganzen Vielfalt. […] Nicht anders als bei kommerziellen Medien, heißt der Umstand, dass eine Redaktion (im Falle von linksunten: ‚Moderation‘ genannt) Texte veröffentlicht (bzw. im Falle von linksunten: nicht löscht), nicht notwendigerweise, dass die Redaktion den Inhalt dieser Texte teilt. […]. Wir möchten […] linksunten in seiner ganzen Pluralität – von links-militant bis pazifistisch-sozial-bewegt – wieder haben.“
Dass sie die Verbotsverfügung bildlich zitierten, brachte den Angeschuldigten den Vorwurf der Verwendung des Kennzeichens des angeblichen Vereins ein; das Statement, Linksunten in seiner bisherigen publizistischen Form wiederhaben zu wollen, anscheinend den Vorwurf der Unterstützung des vermeintlichen Vereins.
Nach langer Verzögerung erhielten die Angeschuldigten kürzlich die vollständige offizielle Ermittlungsakte zur Kenntnis. Darin stießen sie auf Blatt 56 und 57 von Band II der Akten auf einen Vermerk eines Kriminalhauptkommissars Haberdank vom 25. März 2019. Er war den Akten also noch nach Anklageerhebung hinzugefügt worden.
Dort heißt es über die nicht verbotene Schwester-Subdomain von Linksunten „de.indymedia.org“: „Am 23.03.2019, um 01:06 Uhr, wurde auf der linksextremistischen Internetseite ‚indymedia‘ unter der Adresse https://de.indymedia.org/node/30398 […] ein Artikel mit dem Titel ‚Die Zensur findet längst statt‘ veröffentlicht. Als Autoren werden Achim Schill, Detlef Georgia Schulze und Peter Nowak genannt.
In dem Artikel wird die Aufforderung der Staatsanwaltschaft an die drei genannten Personen, zu den gegen sie im Ermittlungsverfahren erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen, thematisiert. Ans Ende des Artikels wurde am 23.03.19 um 09:24 Uhr eine Ergänzung derselben Autoren angehängt. Diese enthält vier Links. Der Link
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2018/10/Unteilbar-Flugi.pdf
führt direkt auf ein Flugblatt […], auf dessen Vorderseite das Logo des verbotenen Vereins ‚linksunten.indymedia.org‘ abgebildet ist.
Hier wird davon ausgegangenen, dass der Artikel tatsächlich von den drei genannten Personen veröffentlicht worden ist. Es wird angenommen, dass die veröffentlichte Stellungnahme gleichlautend auch der Staatsanwaltschaft zugegangen ist. Die Verlinkung auf das Logo ‚linksunten.indymedia‘ macht deutlich, dass den Beschuldigten jegliches Unrechtsbewusstsein in Bezug auf den in Rede stehenden Verstoß gegen das Vereinsgesetz abgeht.“Dazu nehmen die drei Angeschuldigten wie folgt Stellung:
„1. Wir bestätigen gerne: Der Artikel vom 23.03.2019 stammt in der Tat von uns; desgleichen die ‚Ergänzung‘ zum selben Tage. (Sie wurde allerdings nicht ‚ans Ende des Artikels‘ angefügt, sondern unter dem [= außerhalb des] Artikel/s hinzugefügt.)
2. In der Tat fehlt uns jegliches Unrechtsbewusstsein: Wir sind voll und ganz überzeugt, dass das Unrecht ganz auf Seiten des Medien verbietenden Bundesinnenministeriums und der uns anklagenden Staatsanwaltschaft liegt.
a) Medien sind keine Vereinigungen beziehungsweise Vereine und können (dürfen) daher auch nicht auf der Grundlage von Art. 9 II GG und § 3 I VereinsG verboten werden. Maßnahmen gegen Medien sind vielmehr an Artikel 5 I, II GG (Meinungsäußerungs-, Informations- und Medienfreiheiten sowie Zensurverbot) zu messen.
b) Dagegen mögen die HerausgeberInnen von linksunten.indymedia ein Verein gewesen sein, was aber zu bezweifeln ist. In Bezug auf den HerausgeberInnenkreis mögen die Verbotsvoraussetzungen vorgelegen haben, was zu bestreiten ist.
Aber selbst wenn sie ein Verein gewesen sein sollten und die Verbotsvoraussetzungen vorgelegen hätten, so hieße dies nur, dass der verbotene vermeintliche Verein das fragliche Medium nicht mehr herausgeben darf. Dies heißt aber nicht, dass das fragliche Medium nicht mehr erscheinen und dessen Logo und URL nicht mehr verwendet werden darf (wie aber das Bundesinnenministerium und die Berliner Staatsanwaltschaft behaupten). Denn einzeln oder zu mehreren eine Internet-Zeitung herauszugeben und herausgeben zu dürfen, hängt nicht davon ab, vorher einen Verein gegründet zu haben – und hängt folglich auch nicht davon ab, dass ein etwaig gegründeter Verein nicht verboten wurde. Von einem Vereinsverbot ist vielmehr allein die vereinsförmige Organsiertheit und die herausgeberische Tätigkeit des Vereins betroffen.
c) Den Bundesanzeiger, in dem das Linksunten-Verbot amtlich bekannt gemacht wurde, bildlich zu zitieren, ist nicht verboten. Wenn es das Innenministerium für sinnvoll oder gebotenen hält, in der Verbotsverfügung das abzubilden, was es für das „Kennzeichen“ des vermeintlichen Vereins hält, in Wirklichkeit aber das Logo der fraglichen Internet-Zeitung war, dann muss das Innenministerium auch damit leben, dass auch dieses Logo mitzitiert wird.
3. Nicht bestätigen können wir leider, das wir den fraglichen Artikel auch an die Staatsanwaltschaft geschickt haben. Wäre dem so gewesen, dann hätten wir den Artikel als Offenen Brief bezeichnet. Inhaltlich haben wir uns aber in der Tat gegenüber der Staatsanwaltschaft und dem zuständigen Gericht bei verschiedenen Gelegenheiten in gleicher Weise
wie in dem Artikel geäußert.
4. Zusätzlich bestätigen wir aber gerne noch, dass auch der inkriminierte – in der online-Version nicht namentlich gezeichnete – Text in der Datei
https://de.indymedia.org/sites/default/files/2018/10/Unteilbar-Flugi.pdf
(#Unteilbares Zensurverbot: Warum das Verbot von linksunten.indymedia grundgesetzwidrige Zensur darstellt)
von uns stammt. Die – mit einem ordnungsgemäßen Impressum und unseren drei Namen versehene – Papierversion des Textes hatten Achim Schill und Detlef Georgia Schulze am 13. Oktober 2018 bei der #Unteilbar-Demonstration in größerer Auflage verteilt (Peter Nowak war in an diesem Tag nicht in Berlin und konnte sich daher an der Verteilung
nicht beteiligen, war und ist aber mit Text und Verteilung vollständig einverstanden).
5. Wir stellen anheim, ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen uns einzuleiten beziehungsweise die gegen uns erhobene Anklage entsprechend zu ergänzen.“
Ergänzende Hinweise der beschuldigten Autoren:
1. Über die bereits 2017 erhobenen Klagen gegen das Verbot von linksunten.indymedia hat das zuständige Bundesverwaltungsgericht immer noch nicht entschieden. Für den Samstag vor dem ersten Tag der noch nicht terminierten mündlichen Verhandlung läuft eine Mobilisierung unter dem Motto Tag (((i))).
2. a) Aus Anlass des zweiten Jahrestages des Linksunten-Verbotes gab es in Hamburg am Freitag, 2. August, und in Berlin am Dienstag, 13. August, Veranstaltungen:
https://prp-hamburg.org/der-rote-abend/ und https://perspektive.nostate.net/724.
b) Bereits am 26. Juli fand aus diesem Anlass in Bochum eine Veranstaltung statt. Die dortigen Beiträge von Mag Wompel (labournet.de), Peter Nowak und Detlef Georgia Schulze sind bei
http://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/solidaritaet-gegen-das-verbot-von-linksunten-indymedia-widerstand-gegen-polizeistaat/ (Abschnitt „Bericht und Mitschnitte der Veranstaltung in Bochum“) dokumentiert.
Eine weitere Anmerkung der Beschuldigten:
[*] Im Verfassungsschutzberichtbericht 2016, der kurz vor dem Verbot von Lnksunten veröffentlicht wurde, hieß es auf S. 115: „Um die eigene Wahrnehmbarkeit zu erhöhen, nutzen Linksextremisten daher seit Jahren verstärkt – neben sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter – gruppenunabhängige Internetplattformen wie ‚linksunten.indymedia’.“ (Hv. hinzugefügt) Auch an anderen Stellen des Berichts war in Bezug auf Linksunten ausschließlich von „Internetplattform“ und nirgends von „Verein“ die Rede.
Im kürzlich veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2018 heißt es auf S. 138 folgende: „Zu den linksextremistischen Medien zählte bis zu ihrem Verbot im August 2017 die Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘. Sie fungierte als das wichtigste Medium im gewaltorientierten Linksextremismus in Deutschland.“ (Hervorhebungen aus der Pressemitteilung).
Unsere bisherigen Beiträge zum Thema „linksunten.indymedia“ kann hier nachgelesen werden.
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