Von Alfred Denzinger – Stuttgart. Die Staatsanwaltschaft in Ludwigsburg handelte sich bereits am 5. August eine derbe Niederlage ein (siehe „Freispruch für Antifaschistin„). Nun wurde auch der nächste Vertreter der Anklagebehörde auf die Bretter geschickt: Knockout in der letzten Runde im „Ring“ des Amtsgerichts in Cannstatt. Aus dem staatsanwaltschaftlichen Traum einer Geldstrafe über 5400 Euro wegen angeblich versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen wurde nichts. Der Urteilsspruch von Amtsrichterin Fink am Mittwoch, 7. August: Freispruch für den 33-jährigen AfD-Gegner – wie von Rechtsanwalt Axel Oswald gefordert.
Der Staatsanwalt warf dem Angeklagten vor, er habe am 12. Mai 2018 bei einer Versammlung der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ in Stuttgart-Feuerbach (siehe „Polizei riegelt AfD-Kundgebung mit Großaufgebot ab„) aus einer Gegenveranstaltung heraus „pyrotechnische Gegenstände in Richtung Polizei geworfen“. Verletzt wurde niemand, aber es handle sich um „versuchte gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen“. Der Beschuldigte sollte per Strafbefehl 4500 Euro (150 Tagessätze à 30 Euro) bezahlen.
Der Kriminalisierungsversuch der Staatsanwaltschaft war trotz vier Polizeizeugen nicht von Erfolg gekrönt. Vorstrafen waren beim Beschuldigten nicht vermerkt. Ganz im Sinne von „Anna und Arthur“ machte der Angeklagte weder zur Sache noch zur Person Angaben. Er überließ den „Kampf im Ring“ seinem Rechtsanwalt.
Völlig unklar, wer Böller warf
Die Polizisten hatten teilweise erhebliche Anfahrtswege zum Gericht in Kauf zu nehmen. Ein 35-jähriger Beamter aus Dresden gab seine Erinnerungen an den Tag der angeblichen Tat im Zeugenstand preis. Es sei mehrfach Pyrotechnik gezündet worden – Rauchfackeln und Böller. In den Reihen der Polizei seien Böller explodiert. Er habe gesehen, dass der Angeklagte „mit der rechten Hand“ etwas geworfen habe. Was das genau war, konnte der Zeuge nicht sagen.
15 Minuten will der Polizeibeamte den Täter danach ständig im Blick gehabt haben. Er habe dabei mehrere Würfe des Mannes wahrgenommen. Auf Nachfrage der Richterin, ob er genau sehen konnte, was der Beschuldigte geworfen habe, kam ein klares „Nein“. Es seien mehrere Gegenstände geflogen, und es habe mehrere Explosionen gegeben.
Aufgrund der per Funk übermittelten Personenbeschreibung des Beamten soll es am Ende der Veranstaltung zu der Festnahme des Mannes gekommen sein. An dieser Festnahmeaktion war der Dresdner Polizist allerdings nicht beteiligt. Erkennungsmerkmale: „schwarze Basecap, schwarze Umhängetasche, schwarzes T-Shirt mit weißer Schrift“.
Die Prozessbeteiligten nahmen ein Polizei-Video vom Geschehen in Augenschein. Dieses Video konnte aber offenbar auch nicht zur Erhellung des nebulösen Tathergangs beitragen. Der mutmaßliche Wurf blieb im Unklaren, und nach dem vermeintlichen Wurf im Video gab es im Anschluss keinen Knall.
Von Eiern, Böllern und Knallfröschen
Auch der nächste Zeuge – ein Beamter der Abteilung Staatsschutz der Stuttgarter Kriminalpolizei – brachte kein Licht ins Dunkel. Er war beim Tathergang und bei der Festnahme gar nicht dabei. Er brachte den Festgenommenen lediglich ins Feuerbacher Revier. Da der Beschuldigte keine Angaben gemacht habe und auch sonst „unkooperativ“ gewesen sei, habe ein Vorgesetzter eine „erkennungsdienstliche Behandlung“ angeordnet. Auch dabei sei der Mann „unkooperativ“ gewesen.
Vor Ort sei dem Beamten eine Plastiktüte mit Böllern übergeben worden. Es soll sich dabei um „diverse Böller und Böllerreste“ gehandelt haben, die vor Ort geworfen worden seien. Auch „Knallfrösche“ sollen darunter gewesen sein. Eine Zuordnung, wer was geworfen habe, sei nicht erfolgt.
Der nächste Staatschutz-Zeuge war ebenfalls nicht am angeblichen Tatort. Der 30-jährige Beamte gab an, ein Kollege habe beobachtet, wie der Angeklagte einen Gegenstand geworfen habe. Danach sei es zu einer Explosion gekommen. Bei der Person sei wohl keine Pyrotechnik gefunden worden. Vor der Festnahme soll vom Beschuldigten ein Ei auf den Boden geworfen worden sein. In einem Video soll ein Wurf zu sehen sein, der einen Beamten trifft. Dieser Wurf könne aber nicht vom Angeklagten gewesen sein, führte der Staatsschützer aus. Auch schon vor dem Wurf des Angeklagten habe es von jemandem Böller- und Eierwürfe gegeben.
„Ich weiß nicht, wer geworfen hatte“
Schließlich breitete noch ein 26-jähriger Beamter der Bereitschaftspolizei Göppingen seine Erinnerungen vor Gericht aus. Als Gruppenführer sei er nach dem Aufbau der „Hamburger Gitter“ hinter der Absperrungslinie gestanden. Irgendwann seien dann Böller und Eier in seine Richtung geflogen. „Von wem, habe ich nicht gesehen. Ich wurde nicht verletzt“, erklärte der Polizist. Es sei auch nicht zu laut für ihn gewesen, da er einen Helm aufgehabt habe.
Der Beamte gab an, dass es mehrere Böller- und Eierwürfe gegeben habe. Nach seiner Erinnerung soll es sich um drei bis fünf Böller und maximal zehn Eier gehandelt haben. Ein Böller sei zwei bis drei Meter neben ihm gelandet. „Ich musste nicht mal zur Seite gehen. Ich weiß nicht, wer geworfen hat“, erörterte er das Geschehen.
Obwohl nach der Beweisaufnahme klar war, dass dem Angeklagten kein Böllerwurf nachgewiesen werde konnte, stand für den Staatsanwalt fest, dass der Angeklagte einen pyrotechnischen Gegenstand in Richtung der Polizei geworfen habe, der dort detonierte. Somit sei der Angeklagte schuldig. Der Anklagevertreter erhöhte die ursprüngliche Forderung aus dem Strafbefehl von 4500 auf 5400 Euro.
K.o. für die Anklage
Rechtsanwalt Oswald stellte in seinen Schlussplädoyer fest, dass es in der polizeilichen „Pufferzone“ zu verschiedenen Würfen kam. Ob der Angeklagte der besagte Werfer war, sei unklar. Ein Polizist könne in einer dynamischen Situation nicht 15 Minuten lang eine Person im Blick haben. Allein schon deshalb gebe es erhebliche Zweifel an den Aussagen und der Wahrnehmung des Zeugen. Dieser habe „nur Basecap und schwarzes T-Shirt“ registriert. Der Böllerwurf sei nicht zuzuordnen. „Wir sehen im Video, dass der Arm hoch geht. Man sieht einen „Fleck“, der sich vom Arm wegbewegt. Was das war, ist unklar.“ Letztlich fordert Oswald für seinen Mandanten einen Freispruch.
Für Richterin Fink war klar, dass der Angeklagte etwas geworfen habe. Dies sei ausreichend festgestellt worden. Nicht klar sei hingegen, was geworfen wurde. Es seien mehrere Gegenstände geflogen. Es sei nicht möglich, die Würfe zweifelsfrei zuzuordnen. Deshalb lautete ihr Urteil: Freispruch. Die Kosten trägt die Staatskasse.
Boxen kann so schön sein. An einem Rückkampf (Berufungsverhandlung) dürfte aber die schwer angeschlagene Staatsanwaltschaft kaum Interesse haben.
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