Von Lotta Thalmann – Karlsruhe. Gut ein Jahr nach einer rechten Störaktion bei einer Seebrücken-Demo in Karlsruhe (wir berichteten) stand einer der Störer nun vor dem Karlsruher Amtsgericht. Nach einem turbulenten Prozess erhielt der Angeklagte eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen von jeweils 200 Euro.
Mit einigen Minuten Verspätung begann die Verhandlung vor einem restlos gefüllten Zuschauerraum. Viele der damals bei der Demo Anwesenden hatten großes Interesse am Ausgang des Verfahrens und waren deshalb zum Prozess erschienen. Der Angeklagte, selbst als Anwalt tätig, hatte sich zwei Verteidiger als Rechtsbeistand an seine Seite geholt.
Der Prozess begann mit der Verlesung des Strafbefehls, in dem dem Angeklagten „tätlicher Angriff“ zur Last gelegt wurde. Anschließend hatte der Angeklagte selbst das Wort, um sich zu den Vorwürfen zu äußern. Er erklärte, dass er lediglich die Rede während der Seebrücke-Demo anhören wollte, als er Zwischenrufe gehört habe. Daraufhin hätten die Teilnehmer der Kundgebung begonnen, den Verursacher der Rufe zu umringen und anzugreifen.
Angeklagter pocht auf Notwehr
Um dies zu verhindern, habe er sich in die Menschenmenge begeben und versucht dazwischen zu gehen. Darauf sei auch er, „mehrmals von allen Seiten“ angegriffen worden. Um sich zu verteidigen, habe er einen „ungezielten Schlag“ ausgeführt, ehe er von der Polizei aus der Situation herausgeführt worden sei.
Den Vorwurf des tätlichen Angriffs sehe er als nicht gerechtfertigt an, da er ja aus Notwehr gehandelt und es noch dazu keine ersichtlich Verletzten gegeben habe. Hätte er richtig zugeschlagen, hätte es doch Platzwunden oder Knochenbrüche geben müssen, führte er weiter aus.
Er kenne auch keinen der übrigen rechten Störer. Beim Sichten einiger Bilder der Situation ergriff einer der Anwälte des Angeklagten das Wort und meinte, einen der Zuhörer im Publikum anhand seines „muskulösen Oberarms“ als Angreifer erkannt zu haben. Das führte zu großem Gelächter der Zuschauer.
Polizei wollte Anzeige nicht aufnehmen
Nach einigen Nachfragen der Richterin und der Staatsanwältin wurde das Opfer des Angriffs als Zeuge befragt. Der Mann schilderte die Situation. Die Faust habe ihn deutlich am Kiefer getroffen. Als erneut die Bilder betrachtet wurden, warf der Anwalt des Angeklagten dem Geschädigten vor, angegriffen zu haben. Das führte zu großem Protest im Publikum. Ein Zuschauer stand auf und bot sich spontan als Zeuge an. Nach einiger Irritation akzeptierte das Gericht den neuen Zeugen. Er wurde gebeten, vor der Tür zu warten.
Ebenfalls für Irritation sorgte die Aussage des Geschlagenen, dass bei der Demonstration anwesende Polizisten seine Anzeige nicht aufnehmen wollten. Erst einige Tage später wurde von Amts wegen Anzeige erstattet.
Anschließend wurde einer der an diesem Tag eingesetzten Polizisten befragt. Er konnte wenig zu den Umständen sagen, versicherte aber, mit absoluter Sicherheit den Schlag des Angeklagten gesehen zu haben.
Auch der Zwischenrufer trat auf
Es folgten zwei weitere Zeugen, die beide dem rechten Spektrum der Region zuzuordnen sind. Zunächst erzählte der erste der beiden, ein bekannter Neonazi, dass er rein zufällig bei der Demonstration gewesen sei, und bestätigte anschließend zum größten Teil die Version des Angeklagten. Zudem berichtete er, dass er diesen auch aus dem Sportverein kenne.
Beim folgenden Zeugen handelte es sich um den Zwischenrufer. Er trat arrogant und herablassend auf und äußerte sich verächtlich über die Seebrücke-Demo. Ihn habe „das Rumgeheule“ genervt, und er habe deswegen dazwischengerufen. Daraufhin hätten ihn die Menschen bedrängt. Er sei schließlich von Polizisten weggeführt, durchsucht und nach Hause geschickt worden. Von irgendwelchen Schlägen habe er nichts gesehen.
Neue Zeugen werden geladen
Nach der Anhörung der Zeugen berieten die Beteiligten des Prozesses über dessen Fortgang. Die Anwälte des Angeklagten machten deutlich, dass sie die Sache schnell durch eine Einstellung des Verfahrens zu Ende bringen wollten, worauf die Staatsanwältin vehement widersprach. Ihrer Meinung nach sei die Tat definitiv zu ahnden. Einer der Anwälte betonte, dass es auch um berufliche Konsequenzen für seinen Mandanten gehe, da er als Anwalt tätig ist. Nach einigen Minuten der Diskussion wurde der Prozess auf den 8. August vertagt – auch im Hinblick auf die Anhörung neuer Zeugen, die sich im Laufe des Prozesses ergeben hätten.
Am zweiten Prozesstag wurden neun Zeugen vorgeladen. Von den vier geladenen Polizisten unter ihnen konnte nur ein Oberkommissar relevante Aussagen machen. Die AnmelderInnen der Seebrücke-Demo hätten ihn über einen Aufruf im Internet informiert, dass Identitäre zur Anwesenheit aufgefordert seien. Er habe Tumulte an mehreren Stellen mitbekommen, ebenso dass jemand auf der Bank gestanden habe. Auch seien die Rufe „Schlepper“ zu hören gewesen.
Übergriff auf Kundgebungswagen
Es gab tumultartige Szenen auf dem Kundgebungswagen bei der Rede des Bundestagsabgeordneten der Linken Michel Brandt. Jemand habe gewaltsam versucht, ihm das Mikrofon aus der Hand zu nehmen (siehe Video unten). Die Störer hätten vorne und hinten Schilder hochgehalten und „Schlepper, Mörder“ gerufen. Aus diesem Grund seien zusätzliche Kräfte angefordert worden, um weiteren Streckenschutz zu gewährleisten. Die Störer hätten Platzverweise erhalten.
Der Oberkommissar bejahte die Frage der Richterin, ob es zu gegenseitigem Gerangel kam. Aber die Leute von der Demo seien eher überrascht gewesen. Sie hätten nicht das Ziel gehabt, die Störer „zu vermöbeln“, sondern eher, sie zu verjagen. Seiner Einschätzung nach handelte es sich bei der Störung um eine bewusst herbeigeführte taktische Ablenkung. Die anderen drei Polizeibeamten hatten nicht viel mit bekommen oder wollten nichts gesehen haben.
Unbeteiligter Zeuge bestätigt aggressives Verhalten
Ein Zeuge, der als Gast bei der Gastronomie „Alte Bank“ saß und kein Teilnehmer war, bestätigte, dass der Mann, der auf einer Bank stand, lauthals und brüllend versucht habe, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er bat ihn, sich hinzusetzen, worauf dieser mit seinen Füssen gegen ihn stieß. Er könne nur aggressives Verhalten bestätigen und nicht, wie es in der Verhandlung versucht wurde, dieses im Sinne von Notwehr schönreden. Sein Eindruck war, dass mehrere Menschen die Veranstaltung mit Aktionen stören wollten. Die Geschädigten wollten die Situationen eher beruhigen.
Für die Anwälte war es sehr wichtig, von den Zeugen die Namen der Personen zu erfahren, die sie über die Gerichtsverhandlung informiert hatten. Auch das Gericht forderte die Auskunftspflicht ein. Der 79-jährige Zeuge verweigerte es dennoch standhaft, die Namen preiszugeben. Zudem beharrte der Anwalt auf einer Bestätigung, dass er Attac-Mitglied sei.
Auch die vorliegenden Fotos wurden nochmals betrachtet. Der Anwalt zeigte dem Gericht einen vor kurzem erschienenen Bericht auf der Internetseite Indymedia. Dort wurde über den Prozess berichtet und eine Recherche über die rechtslastigen Tätigkeiten und Kontakte des Angeklagten, dessen Zeugen und auch der Anwälte angefügt.
Anwälte diskreditieren Zeugen
Die Verteidiger erklärten, solch ein Verfahren noch nie erlebt zu haben. So gebe es in diesem Falle keine neutralen Zeugen. Es dürften nicht nur Sympathisanten der damaligen Versammlung zugelassen sein. Deshalb stelle sich die Frage der Unschuldsvermutung. Die logische Folge sei ein Freispruch.
Die Rechtsbeistände diskreditierten weiter alle Zeugenaussagen und sämtliches linke Engagement. Da dies Reaktionen bei den Zuschauern hervorrief, krönte der Anwalt sein Plädoyer mit der Aussage, man sei doch nicht im Plenarsaal, auf einer Parteiveranstaltung oder auf einem Weinfest. Er kenne die Gesetze, und man habe ihm deswegen zuzuhören.
Die Staatsanwältin, die den Tatvorwurf im Wesentlichen als erwiesen sah, forderte 40 Tagessätze zu je 200 Euro. Dies sei der Tat und der Schuld angemessen. Das Gericht urteilte kurz darauf unter dem geforderten Strafmaß. 20 Tagessätze zu je 200 Euro legte es dem Angeklagten als Strafe auf. Die Richterin betonte, dass sie sich sicher sei, dass der Schlag gegen den Geschädigten ausgeführt wurde und Notwehr in diesem Falle auszuschließen sei.
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