Von Paul Linker – Stuttgart. Wie in den Beobachter News angekündigt wurde am Dienstag, 1. Oktober, vor dem Amtsgericht Stuttgart unter Vorsitz von Richter Dr. Berg gegen einen Aktivisten aus Stuttgart verhandelt. Trotz widerprüchlicher Zeugenaussagen wurde der Mann zu einer Geldstrafe von 400 Euro verurteilt, da er eindeutig als eine angeblich bei einer Demonstration vermummte Person identifiziert sei.
Dem wurde vorgeworfen, sich im März 2019 in Stuttgart während einer Demonstration für die hungerstreikenden Gefangenen des Erdogan-Regimes in der Türkei und für die Forderung nach Freiheit für Abdullah Öcalan mit Wollmütze, Schal und einem Mundschutz vermummt zu haben.
Gleich zu Beginn des Prozesses teilte der Vorsitzende Richter Dr. Berg dem Angeklagten mit, dass sein Wahlverteidiger vom Gericht mit einem am Prozesstag ergangenen Beschluss abgelehnt wurde. Die Gründe erschienen dem Angeklagten obskur. Er sah sich nun für ihn völlig überraschend dem Umstand ausgesetzt, den Prozess nun nicht nur politisch, sondern auch formaljuristisch auf sich allein gestellt bewältigen zu müssen.
Der Angeklagte stellte unverzüglich und den Umständen entsprechend improvisiert einen ein Befangenheitsantrag gegen den Richter, Aussetzungsanträge und Beschwerden gegen die Nichtzulassung des Wahlverteidigers. Richter Dr. Berg lehnte die Anträge samt und sonders ab.
Auf Antrag eine halbe Stunde Akteneinsicht
Lediglich der Antrag auf Akteneinsicht hatte Erfolg. Trotz einer sehr dicken Akte wurde dem Angeklagten jedoch gerade einmal eine halbe Stunde Zeit gewährt. Ihm wichtig erscheinende Unterlagen mussten zum Stückpreis von 50 Cent in einer schlechten Qualität kopiert werden.
Da die Kopien sofort bezahlt werden mussten und die dafür zuständige Zahlstelle des Amtsgerichts schon in der Mittagspause war, wurde dem Angeklagten nach zeitdauernder Diskussion beschieden, dass die Kopierkosten dann eben auf die „Gesamtrechnung“ gesetzt würden. Dem Angeklagten schwante Übles, da dies nach Vorverurteilung klang.
Weitere Anträge des Angeklagten wurden ebenfalls abschlägig beschieden. Sie hatten lediglich zur Folge, das sich der Prozess über drei Stunden hinzog. Nachfolgende Prozesse im selben Saal wurden rigoros um bis zu eine Stunde nach hinten verschoben. Das führte bei den dort beteiligten Anwälten und Delinquenten zu sichtbarem Unmut. Es war jedoch deutlich, dass Richter Dr. Berg den Prozess an diesem Tag zu Ende bringen wollte.
Er schien auch um die Sicherheit des Angeklagten sehr besorgt zu sein. Während der drei Stunden saßen zwei muskulöse Justizbeamte mit stark tätowierten Unterarmen in unmittelbarer Nähe des Aktivisten. Der Mann hätte nur zu gern einen Blick auf die Symbolik dieser Tätowierungen geworfen, unterließ dies dann aber doch wohlweislich.
Widersprüchliche Zeugenaussagen
Der Prozess selbst verlief dann relativ unspektakulär. Bei den beiden vom Gericht geladenen Zeugen handelte es sich natürlich um zwei Polizeibeamte. Eine junge Polzeianwärterin machte überraschenderweise gleich zu Beginn ihrer Aussage klar, dass sie den Angeklagten bei der Demonstration im März gar nicht bemerkt und ihn auch noch nie zuvor gesehen habe.
Auf die Frage des Angeklagten, warum sie dann überhaupt als Zeugin geladen sei, gab es nur ein Achselzucken. Die Vernehmung der jungen Frau wurde von Richter Dr. Berg dann auch recht schnell beendet.
Beim zweiten Zeugen schient es sich um einen altgedienten und gemütlichen Polizei-Veteranen zu handeln. Er gab bei seiner Aussage ebenfalls ein sehr dürftiges Bild ab. In typisch schwäbischer Manier gab er langatmige und ausschweifende Erklärungen zum Verlauf der damaligen Demonstration ab. Sie verlief nach seiner Aussage überraschenderweise friedlich.
Über den Angeklagten konnte aber auch er nicht viel sagen. Der Mann sei ihm von verschiedenen politischen Aktionen „bekannt“. Auf die Frage, um welche „Aktionen“ es sich dabei genau handle, kam es zu recht lustigen Äußerungen des Zeugen. Sie waren, wie der Angeklagte im Gespräch mit der Beobachter News betonte, so nicht zutreffend.
In den Polizeiakten wurde eine unbekannte Person erwähnt, deren Personalien bei der damaligen Demonstration nicht aufgenommen wurden und die laut Beschreibung ungefähr 20 Jahre jünger als der angeklagte Aktivist war. Trotzdem war sich der Zeuge sicher, dass es sich bei dieser unbekannten Person eindeutig um den Angeklagten handelt.
Auf die Frage, wo und wann der Angeklagte vermummt aufgetreten sei, gab der Zeuge sehr widersprüchliche Aussagen ab, die in die Richtung liefen, ungefähr da und dort sei sich der Zeuge sicher, dass eine Vermummung vorgelegen habe. Genaueres wisse er jetzt auch nicht mehr.
Eine Einsichtnahme in die der Akte beiliegenden Videoaufzeichnung der Demonstration erbrachte auch nicht viel, der Angeklagte war darauf nicht zu erkennen. Lediglich ein sogenanntes Standfoto schien den Aktivisten zu zeigen. Allerdings eindeutig ohne Vermummung, wie selbst der Zeuge zugab.
Angeklagter sagt zur Sache nicht aus
Der angeklagte Aktivist weigerte sich konsequent, Stellung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu nehmen, und ging auf angebliche „Verständigungsvorschläge“ nicht ein. In seinem Schlusswort beschrieb er ausdrücklich die Repressionen des Erdogan-Regimes gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei, Syrien und dem Irak sowie die Situation der Gefangenen in der Türkei.
Trotz der mehr als eindeutigen Widersprüchlichkeit der Aussagen der Zeugen attestierte Richter Dr. Berg in seiner Urteilsbegründung diesen Glaubwürdigkeit. Er verurteilte den Aktivisten zu einer Geldstrafe von 400 Euro, da er eindeutig als die angeblich vermummte Person identifiziert sei. Der Mann wird gegen dieses in seinen Augen absurde Urteil Rechtsmittel einlegen.
Siehe auch „Strafbefehl für Mundschutz und Mütze“ und „Wegen Wollmütze, Mundschutz und Sonnenbrille vor Gericht„
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